Helge Schneider veralbert Hanau

Es ist eigentlich kaum zu glauben, dass Helge Schneider auch mit 67 Jahren immer noch mit Vergnügen seinen gesammelten Unsinn zelebriert. Seine Sätze enden im Nichts, er albert herum, dass sich die Metallpfosten des Amphitheaters biegen, berichtet von der 96-jährigen Omma, die sich als Bademeisterin etwas zur schmalen Rente hinzuverdienen muss und kratzt mit dem Bogen über den Kontrabass, als hätte der Vollblutmusiker das Instrument noch nie im Arm gehabt.
Das Publikum im vollbesetzten Amphitheater jedenfalls rast (wieder) vor Vergnügen. Für die meisten ist es am vergangenen Sonntag ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten. Schließlich war Schneider schon unzählige Male in Hanau zu Gast. So oft, dass er diesmal ankündigt, er werde eines Tages überlegen, ob er sich nicht hier einbürgern lassen solle. „Hanau ist eine der schönsten Städte, die ich je....“, sagt er. Der Rest des Satzes wird vom Johlen und Klatschen der Zuschauer und Zuschauerinnen zugedeckt. Dass er jede Floskel und jeden abgenudelten Werbespruch ad absurdum führt, vor nichts und niemandem Respekt hat, lieben sie.
Sein Vergnügen konnte man wahrlich wieder haben – selbst dann, wenn man die meisten Gags und Lieder schon kannte. Denn Helge – Komiker, Entertainer, Kabarettist, Wortakrobat und Skurrilitätenschöpfer, der scheinbar jedes Instrument beherrscht – sorgt immer wieder für eine Überraschung. Hier eine neue Wendung, dort eine schräge Volte in einer bekannten Story über seine Kindheit oder die Jugend, in der er Duke Ellington auf den Fersen ist. Dass der sich am Ende als alte Dame mit einem Rettich in der Manteltasche entpuppt, wundert keinen mehr. Doch jedes Mal fragt sich der erstaunte Zuschauer aufs Neue, wie viel von seinen dahergeplauderten Texten ihm wohl spontan in den mit der altbekannten Wuschelmähne bedeckten Kopf kommen.
Stürmischer Empfang vom Publikum
Diesmal kommt Schneider, im altbekannten braunen Cordanzug mit Einstecktuch – rot – mit kleinem Besteck auf die Bühne. Er hat zwar seinen Flügel, sein Vibrafon, das Schlagzeug, die Harmonika, die Blockflöte, die Trompete und den Kontrabass mitgebracht, die er alle spielt. Bei seinem Programm „Ein Mann und seine Gitarre“ begleiten ihn aber nur sein Faktotum Sergej Gleithmann, der auch fürs Tee-Servieren zuständig ist, und sein Gitarrist Sandro Giampietro. Giampietro versteht sich mit seinem Gitarrenspiel meisterlich und unaufgeregt auf Schneider einzustellen, bleibt auch bei den schrägsten Späßen gelassen und sorgt, nicht nur, wenn Schneider am Flügel sitzt, für ein präzises und hörenswertes Zusammenspiel.
Zwei Jahre konnte Helge coronabedingt nicht in Hanau auftreten: „Eine geheimnisvolle Epidemie warf uns zurück!“ Entsprechend stürmisch ist der Empfang, den ihm das Publikum bereitet. Das wird sofort mit dem „Wurstfachverkäufer“ beglückt, genauer gesagt mit dem „Wurstfachverkäufer-IN“, der/die die Wurst so dünn schneiden muss, dass der Gatte der Kundin sie auf dem Brot nicht sehen kann, weil er ja keine Wurst mag. Vom Gendern scheint der gebürtige Mülheimer nichts zu halten, darüber muss nicht viele Worte verlieren. Es reicht schon, dass er hier und da ein IN anhängt, wo die Silbe absolut nichts verloren hat und verkündet, dass man unter den Zuschauern manchmal auch „Männinnen“ sieht.
„Meine Texte sind alle sozialkritisch“
Durch den Kakao zieht er alles und jeden, auch sich selbst und seine musikalische Virtuosität, die er schnell und gerne im Klamauk untergehen lässt. Künstler, selbsternannter Schlaumeier und Welterklärer, die Realität oder die Musik alles fällt ihm zum Opfer. Die Nebelmaschine, die er gerne und häufig betätigt, habe er gebraucht von Tina Turner gekauft, die sie wiederum von PUR abgestaubt habe. Der schwarze Hut, den er seinem Faktotum reicht, sei ihm von Hildegard Knef bei ihrer eigenen Beerdigung in die Hand gedrückt worden. „Dafür hatte sie noch die Kraft.“
Zu hören bekommen die Fans an diesem Abend viele der alt bekannten Helge-Songs. Den Meisenmann, zu dem Sergej Gleithmann im schwarzen Ganzkörperkondom mit orangefarbenen Socken herumtänzelt, als sei er einer dadaistischen Filmsequenz entsprungen, „Fitze, fitze, fatze“ , „Ich bin der Telefonmann“ und natürlich „Katzeklo“. Wie schön, dass uns Schneider erklärt, „meine Texte sind alle sozialkritisch. Mit ihnen will ich anecken, berühren, aufklären!“
105 Minuten ohne Pause
Wer genau hinhört, findet zwischen der Geschichte von der Oma, die auf der Rennrodelbahn am Königssee von Hühnern zu Tode gepickt wird und der Story vom Meisenmann, dessen von einem vorbeifliegenden Adler geschenkte Rehkuh den Sturz aus 1200 Metern Höhe unbeschadet übersteht, seine immer wiederkehrenden Themen: die Unwirtlichkeit von Städten, in denen der Parkplatz mit dem Supermarkt die Ecke mit den kleinen Häuschen zugedeckt hat, soziale Ungerechtigkeit, Lieferdienste oder Starallüren. Fernsehdeppen sind ebenfalls sein Thema. Markus Lanz beispielsweise, bei dem er schon in der Talk-Show saß, bekommt sein Fett ab. Glaubt man Helges Worten, wird ihn Lanz so schnell nicht wiedersehen: „Ich lass mir nicht gerne ein Ohr abkauen!“
Nach Eindreiviertelstunden, die Helge Schneider ohne Pause durchspielt – sieht man mal von seinen Pfefferminz-Teepäuschen ab – ist das Programm zu Ende. Eine Zugabe gibt es noch. Er habe extra keine Pause gemacht, damit das Publikum noch was essen kann. „Trinken tut ihr ja schon ne Weile“, sagt er freundlich in Richtung derer, die während der Vorstellung mit klappernden Flaschen vom Catering zurückkommen oder mal wieder ein Glas auf den Steinstufen zum Klirren gebracht haben. „Auf dem Balkon steht ein Kasten Bier“, beginnt der melancholische Song am Klavier über den verlassenen Mann, der nur „Ein falsches Wort“ gesagt hat und nun sogar sein Brot selbst schmieren muss.
Den Satz „Hau doch ab, du alte Sau“ hat ihm die wichtigste Frau in seinem Leben übel genommen. „Komm zurück, Mutter!“, jammert er ihr hinterher. Helge Schneider lässt sich nach dieser Zugabe nicht noch mal auf die Bühne bitten. Die Fans müssen schon bis zum nächsten Jahr warten.
Von Jutta Degen-peters

