Ukrainische Kinder lernen in Hanau Deutsch

„Die Not klopft an unsere Tür.“ Ein starker, eindringlicher Satz. Ein Satz, so ausgesprochen, dass er auch gleichzeitig impliziert: Es muss etwas getan werden. Gesagt hat diesen Satz Pfarrer Torben W. Telder von der Wallonisch-Niederländischen Gemeinde (WNG). Gemeinsam mit der Kathinka-Platzhoff-Stiftung (KPS) hat die Kirchengemeinde kurzfristig ein Lern- und Betreuungsangebot für ukrainische Kinder auf die Beine gestellt, die mit ihren Müttern vor dem Krieg in ihrem Heimatland geflohen sind.
Hanau - „Uns war schnell klar, wir wollen unterstützen“, sagen unisono Pfarrer Telder sowie Christina Hehn-Reis und Christoph Obladen von der KPS, die gemeinsam mit Miriam Trapani, Erzieherin bei der Stiftung und für Religionspädagogik zuständig, zum Pressegespräch eingeladen haben.
Um herauszufinden, wie sie am besten helfen können, knüpften die Projektbeteiligten Kontakte zu den Gastfamilien und fragten die Geflohenen selbst. Die überwiegende Antwort: Wir wollen Deutsch lernen.
Gruppe trifft sich dienstags bis freitags
Dank der bestehenden Netzwerke der Stiftung und der Kirchengemeinde konnte sehr kurzfristig ein Angebot umgesetzt werden. Schnell hieß es: „Wir fangen übermorgen an“, erzählt Hehn-Reis. Und so bekommen seit knapp drei Wochen bis zu 15 ukrainische Kinder und Jugendliche an vier Tagen in der Woche die Grundlagen der deutschen Sprache vermittelt.
Die Lerngruppe trifft sich dienstags bis freitags im Gemeindezentrum der WNG an der Gärtnerstraße und wird von Karyna Lamm, einer in Deutschland lebenden Ukrainerin, unterrichtet. Die Stiftung übernimmt die Finanzierung, die Gemeinde stellt die Räumlichkeiten zur Verfügung.
Kinder werden spielerisch an deutsche Sprache herangeführt
Die Lerngruppe soll die Kinder auf ihre Einschulung an einer der Hanauer Schulen vorbereiten. Voraussetzung zur Teilnahme an dem Kurs ist das Beherrschen des lateinischen Alphabets, das die ukrainischen Schüler ab der dritten Klasse lernen. Darüber hinaus unterhalten Kirchengemeinde und Stiftung – ebenfalls im WNG-Gemeindezentrum – eine Spielgruppe für maximal zehn Kleinkinder im Alter von drei bis sechs Jahren. Dort werden die Kleinen von deutschen und ukrainischen Kräften betreut und eher spielerisch an die deutsche Sprache herangeführt.
Um das Angebot zu ermöglichen, verschob die Kirchengemeinde eigene Angebote im Gemeindezentrum auf den Montag. Die Stadt Hanau liefert die Corona-Schnelltests für die Kurse.
„Wir wissen nicht, was sie erlebt haben“
An jenem Freitag unseres Besuchs sind es zwölf Kinder, acht Mädchen und vier Jungs, die im Unterricht von Karyna Lamm sitzen und der Reihe nach Sätze aus einem deutschen Text lesen sollen. Sie sprechen zum Teil sehr leise und etwas unsicher – zum einen, weil sie Maske tragen, zum anderen natürlich, weil sie sich in diesem Moment mit einer ihnen noch fremden Sprache auseinandersetzen. Und dennoch hat man das Gefühl, als säßen dort „ganz normale“ Kinder. Unversehrt – zumindest körperlich. Wie es in ihnen, in ihrer Seele, aussieht, kann man freilich nicht sehen.
„Wir wissen nicht, was sie erlebt haben, ob oder wie stark sie traumatisiert sind“, beschreibt Pfarrer Telder. „Man hört hier Lachen im Haus – es wird aber auch geweint.“ Ähnlich seien die Rückmeldungen aus den Gastfamilien. Sie machen deutlich, dass es sich um Kinder handelt, die ihre Väter, andere Verwandte, vielleicht auch Freunde in der Heimat zurücklassen mussten. Ohne zu wissen, für wie lange.
„Eine Art Notfallmedizin“
Klar ist: Eine psychologische Hilfe ist das Angebot nicht. Das können die Kathinka-Platzhoff-Stiftung und die Kirche auch gar nicht leisten. Aber es bedeutet eine gewisse Sicherheit. „Die Kinder wurden aus ihrem Alltag herausgerissen, wir bieten ihnen ein soziales Auffangbecken“, sagt Pfarrer Telder. „Das, was wir hier machen, ist eine Art Notfallmedizin“, bringt es Erzieherin Trapani auf den Punkt. Da die Nachfrage das Angebot übersteigt, gibt es in der Deutsch-Lerngruppe für Schulkinder einen Gruppenwechsel im zweiwöchigen Rhythmus, um möglichst vielen Kindern die Chance zu geben. Beide Gruppen sollen zunächst bis Mitte des Jahres laufen.
Darüber hinaus profitieren die ukrainischen Geflüchteten von einer weiteren Unterstützung: Seit Dezember vergangenen Jahres teilt die Wallonisch-Niederländischen Gemeinde einmal wöchentlich Lebensmittel an bedürftige Senioren. Seit wenigen Wochen reihen sich nun auch vermehrt Flüchtlingsfamilien aus der Ukraine ein. Pro Ausgabe werden etwa 150 dieser sogenannten Care-Tüten verteilt.
Kontakt
Interessierte, die ähnliche Angebote planen und sich dazu austauschen möchten, können mit der Kathinka-Platzhoff-Stiftung Kontakt aufnehmen per E-Mail an info@kp-stiftung.de.
Von David Scheck
