Nachhilfelehrer Hong Ton aus Saigon möchte etwas weitergeben

Der Nachhilferaum im Kesselstädter Jugendzentrum (JUZ) ist ein bisschen wie sein zweites Wohnzimmer. Hong Ton heißt der Mann mit der schwarz gerahmten Brille, der hier an fast allen Tagen in der Woche Nachhilfe gibt. In Mathematik. Ehrenamtlich. Und mit ganz viel Herz.
Hanau - „Kommen Sie rein“, sagt der 70-Jährige, dem man sein Alter so überhaupt nicht ansieht. Er trägt Jeans, Sneaker, ein fliederfarbenes Hemd. An den Wänden im Raum hängen bunte Bilder – von seiner Frau und seiner Tochter. Eines zeigt einen Koi-Karpfen. Daneben eine Collage mit den Fotos und Namen von jungen Frauen und Männern, die ein Dankeschön schicken für die jahrelange Unterstützung. Sie haben den Abschluss geschafft. Realschule. Abitur.
Hong Ton ist in Saigon, heute Ho-Chi-Minh-Stadt, im Süden von Vietnam geboren. Hier geht er zur Schule und beschließt, auch aus Angst vor dem Krieg, im Ausland zu studieren. Amerika oder Deutschland? Der westlich und liberal erzogene junge Mann entscheidet sich für Deutschland und die Universität Stuttgart. Mit 19, gleich nach dem Abitur, packt er seine Koffer und beginnt hier chemische und thermische Verfahrenstechnik zu studieren. „Physik und Mathe, das waren immer meine Lieblingsfächer“, sagt der heute 70-Jährige mit einem Lachen, das so einnehmend und besonders ist, wie sein Engagement hier im JUZ.
Kesselstadt findet er gut
Seinen eigenen beruflichen Weg ist er konsequent gegangen, hat erst bei RWE in Frankfurt gearbeitet, später bei Siemens, dann bei der Commerzbank – dort nicht als Anlagenentwickler, sondern als Programmierer und Ausbilder. „Dieser Beruf hat mir einfach mehr Spaß gemacht“, sagt er. 30 Jahre haben er und seine deutsche Frau in Maintal gelebt, vor acht Jahren sind sie nach Kesselstadt gezogen. Hier leben sie in einem Haus mit Garten. Das JUZ ist nicht weit weg. Tons Kinder sind längst erwachsen, der Sohn 34, die Tochter 35; seine Enkeltochter ist 6.
Kesselstadt findet er gut. Die Leute, überhaupt die Hanauer, seien nett. Und dass es viele Ausländer gebe, die hier geblieben seien, bereichere das Zusammenleben. „Ich“, sagt er, „habe in Deutschland nie Probleme gehabt, ich habe zumindest nichts bemerkt von Vorurteilen oder Ressentiments.“ Seine Nachhilfeschüler berichten manchmal anderes. „Warum wird jemand aus der Türkei oder Marokko anders behandelt?“, fragt der 70-Jährige. Das sei nicht richtig, das sei ungerecht. Hong Ton ist Buddhist. „Manchmal machen wir hier Witze, auch über Moslems, lachen dann alle zusammen. Es kommt“, findet er, „immer darauf an, wer was wie sagt.“
Schon fast 50 Schülern geholfen
Als er vor sieben Jahren in Rente ging, „war ich kurz glücklich“. Vier Wochen hielt das „Glück“ an, dann suchte der Mann, der fast 40 Jahre lang nur gearbeitet hatte, eine neue Aufgabe. Er klopfte an die Tür des Weststadtbüros, erklärte, dass er was tun, helfen wolle. Seitdem ist er ehrenamtlicher Nachhilfelehrer, manchmal sogar samstags oder sonntags. „Ich habe hier in Deutschland eine sehr gute Ausbildung erhalten und möchte davon etwas weitergeben“, beschreibt er seine Motivation und schiebt hinterher, „das Wissen kann ich nach dem Tod nicht mitnehmen.“
Die Kinder und Jugendlichen, die bei ihm Nachhilfe nehmen, kommen von der Hohen Landesschule, von der Otto-Hahn- und der Karl-Rehbein-Schule, sogar vom Lichtenberg-Oberstufengymnasium Bruchköbel. Fast 50, schätzt Ton, habe er schon unterrichtet. Wer den Abschluss schafft, und das seien die meisten, bekomme ein kleines Geschenk von ihm. Auch zum 18. Geburtstag gibt es einen Gutschein. „Ich bin begeistert von den Jugendlichen, die herkommen. Sie wollen etwas lernen“, so Ton.
Das Ehrenamt macht ihm Spaß
Gerade sind Mouna und Helene gekommen. Die beiden Oberstufenschülerinnen haben heute eine Stunde früher Schule aus. „Er ist ein toller Nachhilfelehrer“, sagt Mouna. „Er weiß einfach alles.“ Und dass er so geduldig und nicht so streng sei, finde sie super. Hong Ton lächelt. Ihm macht das Ehrenamt Spaß. „Ich bin froh, dass ich die Jugendlichen habe“, sagt der Mann, der manchmal Seelentröster, Ratgeber, Vertrauensperson und sogar Vermittler zwischen Eltern und Kindern ist.
Seine Heimat hat Hong Ton das erste Mal nach 40 Jahren in Deutschland wieder besucht. Zwei Schwestern leben noch dort, ein Bruder ist geflüchtet und bis heute verschollen. Die Kinder und Jugendlichen, die zur Nachhilfe kommen, begleitet er ein Stück auf ihrem Lebensweg. „Es ist interessant zu sehen, wie sie sich entwickeln.“
Heute steht Kurvendiskussion auf dem Programm. Mouna und Helene holen ihre Tablets aus dem Rucksack. Hon Ton schlägt das Buch auf…
Von Yvonne Backhaus-Arnold
