In der „Hall of Fame“ können sich Sprayer legal betätigen

Spraydosen in verschiedenen Farben stehen bereit, ein Gerüst und Leitern sind an der Wand in Stellung gebracht, Beats beschallen den Platz unter der Brücke und über allem liegt ein Duft von Bratwurst. Die „Hall of Fame“, die demnächst den ersten Geburtstag feiern kann, war Schauplatz eines Events, zu dem das Team des Graffiti-Projekts eingeladen hatte und dem viele Sprayer folgten.
Hanau – Das Graffiti-Projekt wurde im April 2021 von der Abteilung Familien- und Jugendarbeit in Kooperation mit dem Fachbereich Kultur, Stadtidentität und Internationale Beziehungen der Stadt auf den Weg gebracht. „Die Idee, die hinter dem Projekt steht, ist den oft in der Illegalität agierenden Sprayern einen legalen Freiraum zu schaffen, wo sie sich ihre ersten Sporen verdienen oder sich künstlerisch ohne Druck und Angst, erwischt zu werden, ausprobieren können“, erläutert Sozialarbeiter Martin Hübscher.
Der gelernte Fernseh- und Radiotechniker kam über die Sprayer- und Musik-Szene zu seinem heutigen Beruf und war jahrelang in Offenbach tätig, ehe er vor drei Jahren nach Hanau wechselte. In der Brüder-Grimm-Stadt ist er seinen Leidenschaften Sprayen und Musik treu geblieben.
Graffiti-Projekt in Hanau: Bei den Sprayern gibt es auch eine Seniorengruppe
Mit der hohen Betonwand unter der Brücke der B 8 über die B 43a und die Bahnlinie Hanau–Fulda hat das Projekt in Absprache mit Eigentümer Hessen-Mobil einen idealen Platz gefunden.
Nicht nur die Wand ist bis zu einer bestimmten, der Sicherheit geschuldeten Höhe freigegeben, auch Poller und Betonstützen der Brücke können als „Leinwand“ von den Künstlern genutzt werden. „Zudem haben wir Dreiecksständer aufgestellt, wo Anfänger üben können und wo auch eine Seniorengruppe mit Teilnehmern zwischen 70 und 89 Jahren sich betätigt“, beschreibt Hübscher, der im Familien- und Jugendzentrum Wolfgang aktiv ist, dem Gastgeber der Geburtstagsaktion. Neben einer Gruppe des Familien- und Spielhauses in der Innenstadt, einer Delegation des Tacheles-Kunstladens, der Sprayground-Old-Robinson-Gruppe des Gastgebers war auch eine lose Gruppe Sprayer eingeladen, die sich alle an der Wand verewigten. Wobei verewigen für die „Hall of Fame“ der falsche Begriff ist, weil dort nicht der Kodex der Sprayer gilt, fremde Kunstwerke nicht zu übersprühen. „Dort ist es jederzeit erlaubt, sich selbst zu verwirklichen. Seit der Gründung habe ich etwa 400 Bilder fotografisch dokumentiert“, berichtet Martin Hübscher, der täglich zweimal dort nach dem Rechten sieht. Da könne es sein, dass ein Bild sogar mehrmals am Tag übersprüht wird. Da die Künstler ihre Werke aber fotografisch festhalten, geht nichts verloren, ist der Sozialarbeiter sicher.

Auch Engin Dogan vom Tacheles-Team ist nach Wolfgang gekommen, obwohl er in eine neue Dimension vorgestoßen ist: Murals. Das sind Wandgemälde, die vornehmlich an Häuserwänden gesprayt werden und über mehrere Stockwerke reichen können. „Es gibt inzwischen viele Eigentümer, die gezielt ihre Gebäude von Sprayern künstlerisch nach ihren Vorgaben gestalten lassen. Ich arbeite nicht so, sondern lasse mich von meiner Inspiration durch das Gebäude und das Umfeld leiten“, sagt Dogan.
Martin Hoppe, Leiter des städtischen Fachbereichs Kultur, der bei der „Hall of Fame“ vorbeischaute, erinnerte daran, dass Hanau vor 15 Jahren mit „Hanau Radau“ aus dem Umfeld des Jugendzentrums „Schweinehalle“ eine renommierte Sprayergruppe vorweisen konnte. Prominenteste Arbeit der Gruppe ist die Gestaltung der Unterführung am Westbahnhof. „Fast alle der Mitglieder der Gruppe sind inzwischen gefragte Künstler oder Grafiker, einer hat gerade eine große Ausstellung in Gießen“, so Hoppe. Dann habe es aber ein Tal in der Street-Art-Szene gegeben, das vor einigen Jahren durchschritten war. „Die Arbeiten vom "Geburtstagsbild" zeigen deutlich, dass der Trend bei Street-Art eindeutig aufwärts zeigt“, ist Hübscher überzeugt.
Von Thomas Seifert