„Initiative 19. Februar Hanau“ arbeitet für Aufklärung und Gerechtigkeit

Der Jahrestag der rassistisch motivierten Morde vom 19. Februar 2020 mag für manche dieses Datum erst wieder in Erinnerung rufen, für die „Initiative 19. Februar Hanau“, aber vor allem für die in dieser Initiative aktiven Familien, Freunde und Überlebenden des Attentats ist seitdem jedoch keine Minute vergangen, in der sie sich nicht erinnert haben.
Hanau – An einer Wand in den Räumen der „Initiative 19. Februar Hanau“ hängen drei große Flipchart-Blätter: Vollgeschrieben mit einer Zeitleiste, den geplanten Aktionen und Terminen. An einer Tischgruppe führt ein Kamerateam ein Interview mit einem jungen Mann, an einem weiteren Tisch arbeitet jemand an einem Laptop. Es ist ein Kommen und Gehen in der Krämerstraße 24 in diesen Tagen.
Auf dem Boden liegen Plakatstapel bereit zur Verteilung, ständig piept ein Handy und im Nebenraum untermalt das Pfeifen des Samowars das geschäftige Treiben der Aktivisten der Initiative, die in diesen Wochen mit der Organisation von Veranstaltungen rund um den Jahrestag beschäftigt sind.
Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov: Um diese neun Opfer nicht zu vergessen, um ihr Andenken zu bewahren und zu verhindern, dass eine solche Tat sich wiederholt, gründete sich schon kurz nach den Schüssen am Heumarkt und am Kurt-Schumacher-Platz die „Initiative 19. Februar Hanau“.
„Die Schüsse kamen nicht aus dem Nichts, sondern sind Folge der allgegenwärtigen rechten Hetze und des alltäglichen Rassismus. Doch nicht nur das: Sie sind auch das Ergebnis einer jahrzehntelangen politischen Verharmlosung von Rassismus und rechtem Terror, von fehlender Aufklärung und Vertuschung“, schreiben die Initiatoren der Initiative damals zu ihrer Gründung.
Aktivisten von Beginn an an der Seite der Angehörigen
In den Tagen direkt nach den Anschlägen organisierten sich im Zuge der damaligen Gedenkveranstaltungen ein halbes Dutzend Menschen, die schon lange Jahre in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind und sich gegen Rassismus engagieren. Beispielsweise in der Gruppe „Solidarität statt Spaltung“ oder in der Diakonischen Flüchtlingsberatung des Main-Kinzig-Kreises. Hagen Kopp, Marion Bayer und Newroz Duman sind drei aus dem Kernteam der Initiative. Sie alle drei engagieren sich nicht erst seit dem Attentat von Hanau für Solidarität und gegen Rassismus.
Kopp kümmert sich seit 1991 um Migranten und Flüchtlinge, gründete damals das Flüchtlings-Café in der Metzgerstraße mit. Direkt nach dem, wie sie sagen, „rechtsterroristischen Anschlag“, stellten sich die Aktivisten den Angehörigen der Opfer zur Seite. Unterstützten sie in ihrer Trauer, und ihren Forderungen nach Aufklärung. Bereits im Mai 2020 konnten die Räume in der Krämerstraße 24 angemietet werden, unweit des ersten Tatorts an der Midnight-Bar am Heumarkt.
„140 Quadratmeter gegen das Vergessen in Hanau“ nennt die Initiative den Ort, der Treffpunkt und Organisationszentrale in einem ist. Auch während der Corona-Zeit und trotz der diversen Lockdowns waren die Räume in der Krämerstraße immer ein offener und gefragter Anlaufpunkt. Möglich ist das durch zwei Luftfiltermaschinen, eine Begrenzung der Personenzahl in den Räumen und der üblichen Hygieneauflagen. Finanziell getragen wird die Initiative durch Spenden, die aus dem ganzen Land kommen.
Kernteam ist für die „Rückendeckung“ da
Hagen Kopp erzählt: „Hier sind in langen Diskussionen mit den Familien die vier Forderungen entstanden.“ Diese Forderungen prangen an einer Wand: Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen. Die Initiative ist kein Verein, hat keinen Vorstand. Entscheidungen werden gemeinschaftlich getroffen. Die Gruppe ist vernetzt mit bundesweiten Aktivisten und Betroffenen, etwas aus Mölln oder Halle. Man unterstütze sich gegenseitig und versuche, Aktionen zu koordinieren. So werde es am 19. Februar nicht nur in Hanau Veranstaltungen zum Gedenken geben, sondern auch bundesweit in anderen Städten.

Die Angehörigen der Opfer treffen sich regelmäßig in der Krämerstraße. Am 19. jedes Monats gedenken sie der Ermordeten. Es sei eine besondere Schicksalsgemeinschaft unter den Familien entstanden, meint Kopp. Sie stehen zusammen in ihrer Trauer und ihrer Forderung nach lückenloser Aufklärung der Tatnacht. Und nach dem ersten Schock direkt nach der Tat sind die Familien eine starke Stimme im Kampf gegen Rassismus geworden.
Etwa als Niculescu Paun, der Vater von Vili Viorel Paun, im vergangenen Mai im Hessischen Landtag den Innenminister mit den vergeblichen Anrufen seines später ermordeten Sohnes beim Polizei-Notruf konfrontiert. Anstatt sich für Fehler zu entschuldigen, Behördenversagen zuzugeben, habe das Innenministerium nach Ausreden gesucht.
Aber die Angehörigen und die „Initiative 19. Februar Hanau“ haben sich nicht beirren lassen. Das Kernteam der Initiative sei hierbei eine „Rückendeckung“, beschreibt Hagen Kopp die organisatorische und institutionelle Hilfe für die Familien. Das Besondere sei, dass die Angehörigen der Opfer starke Persönlichkeiten seien, die trotz der traumatischen Geschehnisse sogar Kraft hätten, um konstruktive Projekte anzustoßen. Wie beispielsweise Serpil Temiz Unvar, die Mutter von Ferhat Unvar: Sie hat eine Bildungsinitiative gegründet, die nach ihrem ermordeten Sohn benannt ist und deren Auftaktveranstaltung heute stattfindet. Die Initiative soll Beratungsangebote für Jugendliche, Eltern und Schulen bieten. Vorerst wird die Bildungsinitiative ebenfalls in der Krämerstraße ansässig sein.
Kopp: „Jahrestag ist ein schwerer Moment“
Der nahende Jahrestag sei ein „schwerer Moment“, so Kopp. Die Aktivitäten der Initiative werden auch danach weitergehen. Sie werden weiter recherchieren, um vollständige Aufklärung über die Vorkommnisse vor, während und nach der Tatnacht zu erhalten. Sie wollen in der Erinnerungsarbeit nicht nachlassen, das in Hanau geplante Denkmal für die Opfer sei dabei ein wichtiger Aspekt.
Und sie fordern Gerechtigkeit für alle Opfer rassistisch motivierter Gewalttaten. Dazu sei ein unbürokratischer Opferhilfsfonds für ganz Hessen wichtig. Die Initiative hat darum eine Petition gestartet, um einen Opferfonds wie in Thüringen auch in Hessen zu realisieren.
Als das Kamerateam gegangen ist, sitzen noch drei junge Männer in der Sofa-Ecke. Mit Abstand, wegen Corona. Aber in ihrem Engagement gegen Rassismus und für Aufklärung stehen die Menschen der Initiative eng zusammen. (Von Monica Bielesch)
Infos im Internet: 19feb-hanau.org/