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Kann sich Hanau das noch leisten? - Pläne und Verhandlungen zur Kreisfreiheit laufen trotz Corona-Krise weiter

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Von: David Scheck

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Hier wird entschieden: Über Hanaus Kreisfreiheit beschließt letztlich der Landtag.
Hier wird entschieden: Über Hanaus Kreisfreiheit beschließt letztlich der Landtag. © Frank Rumpenhorst/dpa

Die Kreisfreiheit, Hanaus angestrebte Loslösung vom Main-Kinzig-Kreis, bestimmte 2019 viele der Schlagzeilen in der Brüder-Grimm-Stadt. Doch 2020 haben sich die Parameter verschoben und stellen die Stadt vor die wohl größten Herausforderungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges: Erst die rassistisch motivierten Morde vom 19. Februar, dann, seit März, die Corona-Pandemie. Vor diesem Hintergrund wurde es in den vergangenen Monaten deutlich ruhiger um die Kreisfreiheit – doch die Verhandlungen gehen auch in der Krise weiter.

Hanau – Der Zeitplan steht: Am 1. Januar 2022 will Hanau nicht mehr Teil des Main-Kinzig-Kreises sein. Ursprünglich war der 1. April 2021 als Austrittstermin anvisiert worden, weil dann Hanauer Wahlberechtigte bei den Kommunalwahlen im März nicht mehr den Kreistag hätten mitwählen müssen. Allerdings habe sich gezeigt, dass „eine Jahresregelung in vielen Bereichen sinnvoller und zweckmäßiger“ sei, teilte die Stadt Hanau Anfang Februar dieses Jahres mit.

Das war nur wenige Wochen, bevor die Corona-Krise das ganze Land und damit auch Hanau in den ersten Lockdown zwang. Deren langfristigen wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen sind in ihrer Gänze noch gar nicht absehbar. Doch bereits jetzt kostet sie Hanau allein 13,5 Millionen Euro durch die Bereitstellung der mittlerweile drei Corona-Hilfspakete. Kann sich Hanau sein Prestigeprojekt Kreisfreiheit also noch leisten?

Ein wichtiger Baustein bei der Berechnung der entstehenden Kosten beziehungsweise der zu erwartenden finanziellen Entlastung ist die Trendberechnung zum Kommunalen Finanzausgleich (KFA). Bei dessen Berechnung habe es sich das Land nicht einfach gemacht, so Oberbürgermeister Claus Kaminsky. Im Vorfeld mussten umfangreiche Datengrundlagen, insbesondere im Zuständigkeitsbereich des Kreises, angepasst und neu zugeordnet werden, um die Auswirkungen in den jeweiligen Produktbereichen des Haushaltes abzubilden.

Laut Kaminsky hätte Hanau bei einer Kreisfreiheit im Jahr 2019 rund 40,9 Millionen mehr Mittel vom Land erhalten

Diese Vorarbeiten seien notwendig geworden, da anders als bei Berechnungen zu eventuellen Gemeindefusionen, bei denen normalerweise nur die Gruppe der kreisangehörigen Städte und Gemeinden und damit „nur“ die horizontale Verteilung der Schlüsselzuweisungen betroffen ist, in diesem Fall der Wechsel in die Gruppe der kreisfreien Städte vollzogen werden soll.

Die Berechnung greife somit bereits in die Ermittlung der Teilschlüsselmassen ein, die für eine weitere Verteilung innerhalb der unterschiedlichen kommunalen Gruppen zur Verfügung stehen. Wäre Hanau bereits im Jahr 2019 kreisfrei gewesen, rechnet Kaminsky vor, dann hätte die Stadt rund 40,9 Millionen Euro zusätzliche Mittel durch das Land Hessen erhalten; der Main-Kinzig-Kreis 39,3 Millionen Euro weniger.

Diese KFA-Zahlen stammen allerdings aus der Vor-Corona-Zeit. Mittlerweile geht das hessische Finanzministerium in seiner Steuerschätzung von Ausfällen von über 7,8 Milliarden Euro bis zum Jahr 2024 aus.

Hanau und Main-Kinzig-Kreis müssten offen über Mehrbelastung verhandeln

Den jeweiligen Mindererträgen beim Kreis und Mehrerträgen bei der Stadt stünden aber auch Aufgabenreduzierungen (beim Kreis) und Aufgabenübernahmen (bei der Stadt) entgegen. So wird die Stadt wie berichtet in etlichen Bereichen, deren Verantwortung bislang beim Main-Kinzig-Kreis liegt, eigene Behörden aufbauen müssen. Geplant ist unter anderem ein städtisches Gesundheitsamt, konkret wird zum 1. Januar 2021 eine eigene Kfz-Zulassungsstelle ihren Betrieb aufnehmen.

„Natürlich muss man berücksichtigen, dass eine Trendberechnung immer nur eine Momentaufnahme darstellt und somit keine Rückschlüsse auf künftige Jahre zulässt, da gerade der KFA unglaublich komplex ist“, so Kaminsky.

Unabhängig vom Thema KFA sei es aber so, „dass der Main-Kinzig-Kreis und die Stadt Hanau offen über Mehrbelastungen und Umstrukturierungen, die durch eine Auskreisung entstehen werden, sprechen und verhandeln“. Als Beispiele nennt Hanaus OB die Themen Hessenkasse, Pensionsverpflichtungen und Deponiekosten.

Die finanziellen Folgen der Corona-Krise, so Kaminsky, werden Bund, Länder, Kreise und Städte gleichermaßen treffen. Die kreisangehörige Sonderstatusstadt Hanau werde davon ebenso betroffen sein wie die künftige kreisfreie Stadt Hanau. Gleiches gelte für den Kreis.

Kaminsky seht Hanau auf einem guten Weg

Durch den rechtsextremistischen Mordanschlag vom 19. Februar und mehr noch durch die Corona-Pandemie habe man fast ein Jahr verloren, konstatiert der OB. „Bei einer epochalen Entscheidung wie der künftigen Kreisfreiheit fällt dieses aber in Wahrheit mittel- und langfristig nicht ins Gewicht“, ist der Rathauschef überzeugt.

Und der Plan für 2021 auf dem Weg zur Kreisfreiheit steht auch schon: Das gemeinsame Ziel von Landrat Thorsten Stolz und ihm sei es, die Ergebnisse ihrer Verhandlungen und Gespräche bis zum Februar in die Parlamente zu bringen, kündigt Kaminsky gegenüber unserer Zeitung an.

Ob die von ihm angestrebte Kreisfreiheit dann auch tatsächlich am 1. Januar 2022 Wirklichkeit wird, spielt für Kaminsky nicht die entscheidende Rolle: „Ich denke, wir sind gemeinsam auf einem guten Weg. Dabei ist es weniger wichtig, zu welchem genauen Datum die Auskreisung ‘formal’ in Kraft tritt, sondern dass dies unter Beachtung der Interessenslagen der Stadt Hanau, des Main-Kinzig-Kreises und der 28 kreisangehörigen Städte und Gemeinden überhaupt geschieht.“ Über Hanaus Ansinnen entscheidet letztlich das Land Hessen im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens. Die bisherigen Signale aus Wiesbaden mit der Änderung der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) sind für Hanau positiv. Mithilfe eines Antrages können Städte über 100 000 Einwohner per Gesetz kreisfrei werden – mit einer Ausnahme: Da die Verhandlungen bereits laufen und das Land einer Einigung von Stadt und Kreis gute Chancen gibt, wird das Verfahren in Hanaus Fall nicht an eine Mindesteinwohnergrenze geknüpft.

Kritisch bleibt beim Thema Kreisfreiheit der Hessische Landkreistag. Dessen Präsident Bernd Woide sagte kürzlich in einem Interview mit den „Kinzigtal Nachrichten“, er halte einen Austritt Hanaus aus dem Main-Kinzig-Kreis zum 1. Januar 2022 für kaum realistisch, da noch zu viele Fragen offen seien und sich die Prioritäten durch die Corona-Pandemie verschoben hätten.

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