Hanau: „Klima der Angst“ über Jahre erduldet - Hohe Geldstrafe für rabiaten Ehemann

Es sind nur zwei Fälle von leichter Körperverletzung. Doch die Hanauer Richterin hakt nach und stellt fest: Das Opfer hat schon seit vielen Jahren psychische und physische Gewalt durch Ehemann den erdulden müssen.
Hanau - Kaum hat Amtsrichterin Santi Bhanja den Namen durch die Sprechanlage aufgerufen, öffnet die Frau mit den blonden Haaren die Tür zum Sitzungssaal und geht direkt auf den Zeugenstuhl zu. Die 28-Jährige ist ganz blau gekleidet und trägt Accessoires, die eine Frage nach ihrem Beruf nicht nötig macht. Neben den Hoheitszeichen des Landes sind es ein Holster am Gürtel mit einer P 30 von Heckler & Koch, der Dienstwaffe der hessischen Polizei.
Hanauer Polizistin entdeckt verzweifelte Frau im Bad „Sie hat sehr gelitten“
Die Oberkommissarin arbeitet im Schichtdienst auf der Polizeiwache Hanau-Land. „Wir werden oft zu Situationen wie dieser gerufen“, sagt sie und erinnert sich sehr gut an diesen Abend in dem Ortsteil ihres Zuständigkeitsbereichs. „Häusliche Gewalt“ lautete das Einsatzstichwort an diesem Dezemberabend 2020. Mit zwei männlichen Kollegen ist sie schnell vor Ort.
„Ich bin gleich ins Badezimmer und habe mich um die Frau gekümmert. Sie hatte sich erbrochen und weinte“, sagt die Beamtin, die schon sehr viele Schicksale mitbekommen hat. Doch dieser Fall geht der Polizistin unter die Haut: „Sie hat sehr gelitten. Ich hatte Mitgefühl mit der Frau.“
Häusliche Gewalt: Nach Anzeige werden noch weitere Fälle bekannt
Zusammen mit ihren Kollegen nutzt sie an diesem Abend ihr amtliches Instrumentarium, um eine weitere Eskalation zu vermeiden: Der 48-jährige Ehemann darf seine Koffer packen, muss den Schlüssel abgeben und wird der Wohnung verwiesen. Und die Beamten schreiben eine Anzeige wegen Beleidigung und Körperverletzung. Und es stellt sich heraus, dass es 2018 eine ähnliche Situation gegeben haben soll.
Opfer vor dem Hanauer Gericht: „Ich war immer ruhig, habe nie etwas gesagt“
So landen diese beiden Fälle vor Strafrichterin Bhanja. Körperverletzungen ohne schlimme Verletzungen. Eigentlich ein einfach gelagerter Fall, weil die sich die Eheleute inzwischen getrennt haben. Die Scheidung steht an. Doch die Vorsitzende will es genau wissen. Sie vermutet, dass die Eskalation an diesem Abend kein Einzelfall gewesen ist. Nachdem das Opfer unter Tränen ausgesagt hat, ist allen im Saal bewusst: Die Frau hat in 21 Jahren ein Martyrium durchgemacht. „Ich wurde immer wieder rund gemacht. Er ist ausgeflippt.“ Übelste Beschimpfungen, sie nicht druckreif sind, hat sie über sich ergehen lassen müssen, selbst mit Waffengewalt und einem Gürtel in der Hand habe er gedroht. Die Anlässe? Nichtigkeiten. Richterin Bhanja hakt nach. Gab es in all diesen Jahren keine Gegenwehr? „Ich war immer ruhig, habe nie etwas gesagt“, berichtet das Opfer, „ich habe immer an die Kinder gedacht und die Schuld bei mir gesucht.“ Und dann wird bekannt: Dreimal habe sie sich bereits in die Obhut des Hanauer Frauenhauses geflüchtet.
Vor dem Hanauer Amtsgericht: Verteidiger bringt Angeklagten zu Räson
Dass dieser Dezemberabend das Fass zum Überlaufen bringt, liegt daran, dass der ältere der beiden Söhne die Reißleine zieht: Er wählt den Polizeinotruf. „Ich weiß nicht, was noch passiert wäre, wenn mein Sohn nicht die Polizei gerufen hätte“, sagt die Mutter. Die beiden Söhne sagen ebenfalls aus, bestätigen, was ihre Mutter durchgemacht hat. Sehr sachlich, ohne zu dramatisieren. Sie selbst seien nie geschlagen worden, immer habe es die Mutter getroffen. Ein Belastungseifer, wie es die Juristen nennen, ist überhaupt nicht erkennbar. Aber der junge Mann macht eine eindeutige Aussage, die deutlich macht, welche Konsequenzen er gezogen hat: „Ich sehe ihn nicht mehr als Vater an.“
Die Beweislage ist eindeutig. Und der Angeklagte? Er scheint sich keiner Schuld bewusst und startet sogar den Versuch, alles verdrängen zu wollen. „Ich möchte keine Aussage machen“, meint er zu Beginn der Verhandlung. Bei seinem Verteidiger, Rechtsanwalt Timo Wild, ist er da aber an der falschen Adresse. „Wir haben das im Vorfeld ganz anders besprochen“, weist er seinen Mandanten umgehend zurecht. Der erfahrene Jurist und Fachanwalt für Familienrecht weiß, was auf dem Spiel steht. So wird zumindest der zweite Übergriff zugegeben. „Das ist selbst für mich erschütternd“, sagt der Verteidiger und stellt fest: „Es ist zum Glück nicht mehr passiert.“ Wild legt daher die Geldstrafe ins Ermessen des Gerichts. Die einzige Möglichkeit, denn auch die Entschuldigung des 48-Jährigen ist eher halbherzig.
Hanauer Staatsanwalt: „Klima der Angst geschaffen“
Christoph Schulte-Uentrop von der Staatsanwaltschaft ordert in seinem Plädoyer eine Geldstrafe von 5200 Euro. Am Sachverhalt der beiden angeklagten Fällen hat er keinerlei Zweifel. Aber er verweist auf die Vorgeschichte, spricht von einem „Missbrauch des Vertrauens“, einem „hohen psychischen Schaden“ und einem „systematischen Niedermachen.“ Und der junge Jurist hat auch eine klare Definition für diese Form der häuslichen Gewalt: Der Angeklagte habe über Jahre hinweg ein „Klima der Angst“ geschaffen.
Diese Einordnung übernimmt Richterin Bhanja und bezeichnet sie als zutreffend und verweist darauf, das die beiden Fälle nicht isoliert gesehen werden dürften. Daher verurteilt sie den Angeklagten zu 130 Tagessätzen zu je 40 Euro. Zusammen also 4800 Euro. (von Thorsten Becker)
Hilfe für Opfer häuslicher Gewalt
Opfer oder Zeugen von häuslicher Gewalt können sich rund um die Uhr an die Polizei (Notruf 110) oder das Hanauer Frauenhaus (Telefon 06181 12575, E-Mail hilfe@frauenhaus.hanau.de) wenden.
Von Thorsten Becker