Haus am Hafentor hat sich zu kreativem Zentrum in Hanau entwickelt

Man weiß gar nicht, wohin man zuerst blicken soll: Auf das schmale Aquarium, aus dem Wurzelholz ragt? Auf die „schwebenden“ Vitrinen mit Werken, die Absolventen der Zeichenakademie angefertigt haben, darunter Schmuck aus kleinen Teilen von Fahrradketten? Auf die besondere, handgefertigte Holzschiebetür oder den Tattoo-Raum mit einer Winkekatze auf dem Regal.
Das Atelier „Geschmiedet & Gestochen“ im Haus am Hafentor ist eines der originellsten in dem Gebäudekomplex, der sich zu einem Kreativzentrum entwickelt hat und der in der Region seinesgleichen sucht.
Tausende Autos fahren an der Wohnanlage an Westerburgstraße und Hafenplatz vorbei. Nach jahrelangem Niedergang hat das Karree einen ungewöhnlichen Aufschwung genommen. „Wohnen, Kunst, Kultur und Jugendarbeit sind hier zusammengekommen“, sagt Mirja Dorny, Geschäftsführerin der städtischen Baugesellschaft, bei einem Rundgang durch einige der Ateliers.
Haus ist selbst Gesamtkunstwerk
Darunter das von Lena Blaschke. Sie verbindet in ihren großformatigen, vorwiegend in Schwarz-Weiß gehaltenen Werken analoge und digitale Kunst, integriert beispielsweise Infrarot-Lämpchen. Auf dem Weg zu ihrem Arbeitsraum mit den Leinwänden geht es durch einen Flur, unter dessen Decke Blaschke ihr Fahrrad aufgehängt hat. Allein das schon ein Hingucker in der Atelier-Wohnung. Überhaupt verbinden viele der Künstlerinnen und Künstler Wohnen und Arbeiten in den von der Baugesellschaft angemieteten Räumen. „Ich brauche das, um kreativ zu sein“, sagt Luis Kannengießer. Der Autodidakt, der unter anderem im Kunstkaufhaus Tacheles engagiert ist, befasst sich künstlerisch gerade mit Buchstaben und Schrift. Und das nicht nur in seinen mit Sprühfarbe gefertigten Leinwand-Werken, sondern auch an vom ihm gestalteten Garagenwänden im Außenbereich der Wohnanlage.
So ist denn das Haus am Hafentor mit den Ateliers, seinen besonderen Wohnformen, der vom KUZ Hanau betriebenen Galerie „Freihafen“, einem Quartierbüro sowie dem vom Behindertenwerk Main-Kinzig (BWMK) und dem Verein Lebensgestaltung betriebenen Café „Ankerplatz“ quasi selbst zu einem Gesamtkunstwerk geworden.
Das mittlerweile denkmalgeschützte Gebäude mit den beiden „Handel“ und Arbeit“ symbolisierenden Kolossalfiguren überm Tor war in den 1920er Jahren für Arbeiter, Angestellte und Beamte des Mainhafens gebaut worden.
Alle Ateliers sind bezogen
Nachdem lange unklar war, wie es mit dem Komplex und den insgesamt knapp 160 Wohnungen weitergehen sollte, tat sich ab 2016 etwas. Die Baugesellschaft Hanau sanierte die Fassade; unter anderem wurden die Eingänge in den rückwärtigen Bereich verlegt, Treppenhäuser und Balkone hergerichtet. Bis heute investierte die Baugesellschaft 7,3 Millionen Euro.
Das besondere an der ehemaligen „Großwohnsiedlung“: Die Räume werden zu konkurrenzlos günstigen Preisen vermietet – an Privatleute, bildende Künstler, Musiker, auch an soziale Projekte. Die Ateliers kosten ab 1,60 Euro pro Quadratmeter, die Wohnungen ab 4,20 Euro. Den Ausbau der Räume müssen die Mieter freilich selbst vornehmen – oder entsprechend mehr zahlen.
Dass sich am Hafentor eine Künstlerkolonie angesiedelt hat, hat sich herumgesprochen. Alle Ateliers sind mittlerweile bezogen, die letzten wurden erst kürzlich eröffnet. Die Nachfrage war groß. „Wir konnten sogar auswählen“, sagt Lisa Brütt, Assistentin der Geschäftsführung bei der Baugesellschaft.
Künstler bauen Netzwerk auf
Zum Haus am Hafentor gehören auch die Räume von „Fluchtpunkt“, einem Kollektiv junger Kunstschaffender in Hanau. Am Hafentor soll eine Dependance zum Jugendbildungs- und Kulturzentrum Hans Böckler etabliert werden, erläutert Nicole Harth vom JuBiKuz beim Ortstermin. Bis zu sechs Plätze für junge Künstler will man anbieten. Einen belegt bereits die Künstlerin Isaak, die ihn ihren Arbeiten Landschaftsmalerei und Popart verbindet. Im Eingang daneben gelangt man in die Räume des Ateliers Agora Chromata, das sich als Ort der Kreativität, Kunst, Gemeinschaft und Begegnung versteht. Geöffnet ist seit Anfang Juni derzeit dienstags von 19.30 bis 22.30 Uhr. Weitere Veranstaltungen sind geplant.
Das gilt auch für das gesamte Haus am Hafentor, dessen Künstlerinnen und Künstler gerade ein Netzwerk aufbauen und verstärkt an die Öffentlichkeit gehen wollen. Zudem sollen bald Hinweisschilder und Wegweiser Interessierte leiten. Und mit Hilfe von Fördergeldern aus dem Bundesprogramm „Sozialer Zusammenhalt“ will die Baugesellschaft Hanau die Außenanlage weiter aufwerten, auf der momentan unter anderem Ställe des stadtweiten Hühner-Projekts des städtischen Wohungsunternehmens stehen.
Leserführung: Wir bieten 40 Leserinnen und Lesern die Gelegenheit, bei einer Exklusiv-Führung mit Baugesellschaftschefin Mirja Dorny einige der Ateliers im Haus am Hafentor kennenzulernen. Außerdem kann man einen Blick in zwei Wohnungen werfen: in eine noch nicht ausgebaute und eine, die von einer Bewohnerin saniert worden ist. Die rund zweistündige Führung findet am Donnerstag, 22. September, ab 16 Uhr statt. Wegen der begrenzten Teilnehmerzahl entscheidet die Reihenfolge des Eingangs der Anmeldungen. Mails mit dem Namen des Teilnehmers bzw. einer Begleitperson an hanau@hanauer.de, Stichwort Hafentor. Rückfragen beantwortet Redaktionsleiterin Yvonne Backhaus-Arnold unter 06181 2903317. Einsendeschluss ist Mittwoch, 14. September, 10 Uhr. Die Teilnehmer erhalten eine Bestätigung per Mail.
Hafentorfest
Kunst, Musik und Austausch im Dialog bietet das Hafentorfest am Sonntag, 11. September, von 13 bis 19 Uhr auf dem Hafenplatz vor dem Gebäude. Das Quartiersbüro nimmt den Tag des offenen Denkmals zum Anlass und lädt gemeinsam mit der Stadt Hanau und der Baugesellschaft zu einem fröhlichen Treiben ein. Nach der Eröffnung um 14 Uhr sorgen die New Mastoldi Band (ab 15 Uhr) und der Musiker Tim (ab 16.45 Uhr) für musikalischen Rahmen. Ab 17.30 Uhr legt DJ Double D auf. Neben einem Flohmarkt bietet das Albert-Schweitzer-Kinderdorf Spiel, Spaß und Sport für Kinder und Jugendliche sowie ein Fußball- und Basketballturnier. Kunst und Kultur zum Anfassen gibt es an verschiedenen Stationen der Künstler im Hafentor. Neben einer Freiluftausstellung und dem „Um-Welt-Segel“ von Künstler Klaus-Jürgen Guth bieten die „offenen Türen“ bei Agora Chromata, beim Atelier Fluchtpunkt und in der Galerie Freihafen Gelegenheit, die Kreativ-Szene kennenzulernen. Eine Ausstellung zeigt Bildmaterial zum Quartier.
Von Christian Spindler

