Millionen E-Mails statt vieler Laster

Die ersten Arbeiten für ein Mammut-Rechenzentrum in Großauheim beginnen.
Die Großauheim-Kaserne war jahrzehntelang so etwas wie ein „Hidden Place“, ein abgeschotteter Ort. Was in der US-Kaserne an der Depotstraße vor sich ging, wusste niemand so recht. Keine andere US-Kaserne in Hanau war derart unzugänglich wie diese. Auch in Zukunft wird es auf dem 38,5 Hektar großen Gelände freilich keinen Publikumsverkehr geben. Dort entsteht aber eines der größten Rechenzentren in Europa. Gestern fand am Entree zum Gelände die offizielle Übergabe des Grundstücks von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) an P3 Logistic Parks statt. Das europaweit tätige Unternehmen entwickelt dort in den nächsten Jahren das P3 Datacenter Hanau, ein von Größe, Leistung und Investitionsvolumen her wahres Mammutprojekt. Während in einem aufgebauten Pavillon Reden gehalten wurden, waren im Hintergrund schon Bauzäune aufgebaut. Und erste Bagger stehen bereit.
Bereits „in den nächsten Tagen“, so P3-Projektleiter Semir Selcukoglu, soll mit dem Abriss der von der US-Army vorwiegend als Lagerstätten genutzten Gebäude begonnen werden. Enorme 500 000 Kubikmeter Gebäudesubstanz werden beim Abriss anfallen. Dauer der Arbeiten: neun Monate. 90 Prozent des Abbruchmaterials soll vor Ort recycelt und auch hier für Bodenarbeiten verwendet werden.
Logistiker bemühten sich um Ansiedlung
Die Großauheim-Kaserne ist – mit Ausnahme der benachbarten Underwood-Kaserne – das letzte große Vorhaben bei der Konversion von ehemals 340 Hektar Militärflächen in Hanau, die 2008 mit dem Abzug der Amerikaner frei wurden. Um die Großauheim-Kaserne bemühten sich immer wieder Logistiker, die dort einen Großstandort errichten wollten. Dem widerstand die Stadt vor allem mit Rücksicht auf die Anwohner, wie OB Claus Kaminsky (SPD) gestern hervorhob. Sein Credo: „Lieber 50 Millionen Mails als 5000 Lkw.“
Weil allenthalben immer mehr IT-Kapazitäten benötigt werden, haben Rechenzentren Hochkonjunktur. Der Standort Großauheim sei dafür nachgerade ideal, so Kaminsky: nur wenig weit vom weltweit größten Internetknoten in Frankfurt entfernt und mit Blick aufs Kraftwerk Staudinger mit kurzer Anbindung an Stromautobahnen.
Gigantischer Stromverbrauch
Ob der Bedeutung des Vorhabens wurde gestern immer wieder betont, was für ein „großer Tag“ (P3-Manager Selcukoglu) oder gar „historischer Tag“ (OB Kaminsky) die Grundstücksübergabe sei. Nach dem Abriss der Bestandsgebäude sollen sukzessive bis zu acht Module für den Rechenzentrum-Campus mit insgesamt 200 000 Quadratmeter Gebäudefläche gebaut werden. Das erste Modul soll laut Selcukoglu „bis 2024 oder 2025 fertig sein.“

Das Prinzip: P3 errichtet Gebäude und Anlagentechnik und vermietet beides an die Betreiber des Rechenzentrums, die ihre Server und Prozessoren mitbringen. Für den Rechenzentrum-Campus ist eine Anschlussleistung von 180 Megawatt geplant. Der Stromverbrauch solcher Zentren ist gigantisch. Im Fall des P3 Datacenters Hanau soll er doppelt so hoch liegen wie der der gesamten Brüder-Grimm-Stadt, inklusive Industriefirmen.
Photovoltaikanlage geplant
Für den Betrieb des Rechenzentrums ist darum eine aufwendige Energie-Infrastruktur notwendig. Unter anderem errichtet die Hanau Netz GmbH, eine Tochter der Stadtwerke, ein Umspannwerk. Außerdem entsteht auf dem Gelände ein Blockheizkraftwerk, geplant von den Stadtwerken beziehungsweise der Gemeinschaftskraftwerk Hanau GmbH.
Damit soll nach Auslaufen der Lieferverträge mit dem Kraftwerk Staudinger bis 2024 die Fernwärmeversorgung für Hanau sichergestellt werden. Weiterer Baustein beim Mammutprojekt ist eine ebenfalls von den Stadtwerken geplante große Photovoltaikanlage. Potenzieller Abnehmer des Stroms: das Rechenzentrum.
„Nachhaltigkeitsvereinbarung“ getroffen
Die Summen, die an der Depotstraße investiert werden, sollen gewaltig sein. Fragen dazu lässt P3-Projektleiter Selcukoglu unbeantwortet. Allein das, was die Stadtwerke und die Hanau Netz GmbH dort errichten, soll laut Stadtwerke-Geschäftsführerin Martina Butz um die 100 Millionen Euro kosten. Investitionen, die auch für die Infrastruktur der wachsenden Großstadt Hanau von Bedeutung seien, so Martina Butz und Adrian Szabo, Chef der Hanau Netz GmbH.
Vor dem Bau des Rechenzentrums wurde eine „Nachhaltigkeitsvereinbarung“ zwischen Stadt und P3 getroffen. Dazu gehört unter anderen, dass der Rechenzentrum-Campus mit Ökostrom zu betreiben ist, und dass beim Bau weiterer Module des Rechenzentrums – das soll laut P3 schrittweise in den nächsten zehn Jahren erfolgen – die jeweils modernste Technologie zu verwenden ist. Unter anderem soll die Abwärme aus dem Betrieb der Server fürs Heizen von Büros und Lagergebäuden vor Ort verwendet werden. Und im Vorfeld des Projekts, das seit zwei Jahren geplant wurde und das Bauverfahren durchlaufen hat, seien auch etliche Artenschutzmaßnahmen umgesetzt worden, so Semir Selcukoglu. Demnach wurden an der Nordspitze des Areals Eidechsen-Habitate geschaffen und Reptilien dorthin umgesiedelt sowie Nisttürme für Mauersegler errichtet. Immer wieder gestellte Frage: Was bringt das Rechenzentrum der Stadt an Gewerbesteuer ein? Konkrete Aussagen dazu gibt es nicht. OB und Kämmerer Claus Kaminsky sagte gestern, er gehe aber davon aus, dass „der Standort einen bedeutenden Beitrag zur Finanzkraft der Stadt leisten“ werde. Außer in Großauheim entsteht derzeit ein weiteres Rechenzentrum im Technologiepark Wolfgang.