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Hanau: „Rocky“ Musleh hat Mehrzweckhalle in Mittelbuchen zur Flüchtlingsunterkunft umgebaut

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Von: Holger Weber-Stoppacher, Yvonne Backhaus-Arnold

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Pflanzen im Flur: Niemand weiß, wie lange die Geflüchteten aus der Ukraine in solchen Massenunterkünften werden leben müssen. Deshalb soll es laut Musleh ein Haus mit Würde sein. 50 Boxen mit Betten, Tisch und Stühlen sollen ein Mindestmaß an Intimsphäre bieten.
Pflanzen im Flur: Niemand weiß, wie lange die Geflüchteten aus der Ukraine in solchen Massenunterkünften werden leben müssen. Deshalb soll es laut Musleh ein Haus mit Würde sein. 50 Boxen mit Betten, Tisch und Stühlen sollen ein Mindestmaß an Intimsphäre bieten. © Mike Bender

Es ist noch nicht lange her, da war Khosrau „Rocky“ Musleh fast jeden Tag in Mittelbuchen, um seinen Sohn aus dem Kindergarten abzuholen. Seit mehr als einer Woche ist der 35-Jährige wieder jeden Tag hier. Mit einem Team von 30 Mitarbeitern hat er die Mehrzweckhalle des Stadtteils in eine Flüchtlingsunterkunft umgebaut, die er im Auftrag des Main-Kinzig-Kreises und der Stadt Hanau betreibt.

Hanau - Die ersten Ukrainer, vor allem Frauen und Kinder, werden nächste Woche aus den Hotels im Stadtgebiet aus- und in Mittelbuchen einziehen. Platz ist hier für 200 Personen.

Musleh ist ein Tausendsassa. In Hanau kennt man ihn vor allem wegen seiner vielen Gastronomie- und Eventprojekte. In der Stadt hatte er Läden. Am Birkensee im Hanauer Norden hat er Events organisiert. Ihm gehört der Mainladen in Großauheim. Er ist Veranstalter des Techno-Festivals Homerun in Gelnhausen, das 2023 wieder stattfinden soll. Seit Corona stand das alles still. Einige der Läden sind mittlerweile Geschichte. Was aber nach wie vor intakt ist, ist sein Netzwerk in Hanau, das auch Kreis und Stadt bei der Vergabe des Auftrags berücksichtigt haben werden.

Umtriebiger Unternehmer mit großem Netzwerk

Musleh ist Unternehmer durch und durch, hat in der Krise nicht nur mit Masken, Desinfektionsmitteln und Antigen-Schnelltests gehandelt, sondern auch ein bundesweites Netzwerk an Testzentren aufgebaut, 120 waren es in Spitzenzeiten. Heute sind es noch 95. Auch Impfzentren hat er betrieben. Insgesamt standen elf Ärzte auf seiner Lohnliste.

„Rocky“ lebt mit seiner Familie mittlerweile in Düsseldorf, der Heimat seiner Frau. Den Kontakt in seine Wahlheimat hat er nie abreißen lassen. Hier leben seine Eltern, seine Schwester, sein Bruder Aarash. 14 verschiedene Firmen hat Musleh mittlerweile in seinem Portfolio, 1200 Mitarbeiter, ein Büro in Hanau, eins in Düsseldorf. Und ein großes Netzwerk.

Setzt auf sein großes Netzwerk: Khosrau „Rocky“ Musleh, dessen Firma die Halle betreibt.
Setzt auf sein großes Netzwerk: Khosrau „Rocky“ Musleh, dessen Firma die Halle betreibt. © Mike Bender

Kreis und Stadt haben auf privatwirtschaftliche Hilfe gesetzt. Denn DRK, Johanniter und Malteser sind beispielsweise bereits eingebunden im Jugendzentrum Ronneburg und in Bad Orb. Personal, Hardware und Know-how für die insgesamt sieben Hallen gibt es nicht. Ohne Betreiber, die schnell und zuverlässig arbeiten, würde es nicht gehen. Neben Musleh ist auch die Firma „Bright“ aus Maintal aktiv, um die Hallen in Bruchköbel und Langenselbold herzurichten und zu betreiben.

50 Wohnbereiche für Geflüchtete

„Wir sind startklar“, sagt Musleh und öffnet die Tür zur Mehrzweckhalle Mittelbuchen. Hier und da hört man einen Akkuschrauber. 50 Wohnbereiche haben sie aufgebaut. Jeder einzelne ist möbliert. Es gibt Betten, einen Nachttisch, sogar eine Wanduhr. Jede Box mit einem Stromanschluss versehen. Auf dem Tisch steht ein Körbchen mit den wichtigsten Hygieneartikeln.

Musleh, der mit seiner neu gegründeten Firma „planet care“ auch die Halle in Birstein betreibt, nutzt dabei sein bundesweites Netzwerk. Bei der Einrichtung der Räume hat ein großes Messebauunternehmen geholfen. Hunderte Stellwände wurden montiert. Ein Elektrounternehmen hat elektrische Zahnbürsten gespendet, andere Spielzeug. Die Betten haben sie bei Ikea gekauft. Mit rund 500 000 Euro sei er in Vorleistung gegangen, schätzt Musleh. Die Leistungen, die ab nächster Woche erbracht werden, rechnet er mit dem Kreis ab. Die Kosten seien zwar kalkuliert, aber Zahlen nennt er keine. Das Tagesgeschäft sollen zwei Unterkunftsleitungen, Hauswirtschaftshilfen und geschulte Mitarbeiter aus seinem Unternehmen für die Hygienestation samt Testzentrum und Maskenausgabe begleiten. Security, Catering und Wäscheservice kauft er ein.

Im rückseitigen Teil der Halle wurde eine Kinderspielecke eingerichtet. Wickelräume, ein Waschraum mit Waschmaschine und Trockner - alles steht zur Verfügung. Das Geschirr steht bereit, Pflanzen, eine Leseecke, hier und da kleine Tische mit zwei Stühlen. Und auch ein W-LAN-Netz ist da, um die Kommunikation mit den Daheimgebliebenen möglich zu machen. Am liebsten wäre ihm, wenn die Betreuung der Kinder durch die Ukrainerinnen selbst geleistet werden könnte. Ob dies geht, ob es da rechtliche Grenzen gibt, das wisse er zur Stunde noch nicht. Musleh gibt zu, dass er sich auch in manch einer Grauzone bewegt. „Wir lassen das Flugzeug erst steigen und bauen dann den Flughafen“, sagt er und macht damit deutlich, dass sich manches erst ergeben wird, wenn die Unterkunft in Betrieb ist.

Musleh lebte selbst vier Jahre lang in Flüchtlingsheimen

Die Erfahrung aus dem Ticketbereich ist in ein IT-System eingeflossen, das die Hallenbelegung aufzeigt. Aus dem Eventbereich hat er den Baustein „Nachbarschaftskommunikation“ übernommen und die Anlieger mit einem Schreiben informiert, Ansprechpartner und Pläne aufgezeigt.

Bei dem Rundgang durch die Halle spricht „Rocky“, den man eher still nennen würde, viel. Würdig solle es sein, anders als damals bei ihm. Damals, das war vor 25 Jahren, als er und seine Familie aus Afghanistan geflüchtet sind. Sein Vater habe aus politischen Gründen die Heimat verlassen müssen. Vier Jahre insgesamt lebte Rocky in Flüchtlingsheimen. An was er sich erinnert? „Wir waren erst in einer Unterkunft in der Nähe von Torgau in Sachsen, sind von Rechtsradikalen gejagt und geschlagen worden. Ich habe damals gedacht: Wenn das Deutschland ist, dann will ich so schnell wie möglich wieder hier weg.“

Die Familie zieht schließlich in ein altes Gasthaus in der Nähe von Gelnhausen, in dem politisch Verfolgte untergekommen sind. „Mein Bruder hat gearbeitet, irgendwann konnten wir eine Wohnung mieten.“

Eigene Küche, um ukrainisch zu kochen

Seine eigene Geschichte spielt eine große Rolle für das, was er jetzt in Mittelbuchen tut. „Ich habe meine Eltern letzte Woche gefragt, was sie nach der Flucht am meisten vermisst haben. ‚Das Essen’, haben sie gesagt.“ Aus dem Gespräch entstand die Idee, einmal pro Woche Ukrainisch zu kochen, zu backen - die Flüchtlinge einzubinden. Dafür steht in der Sporthalle eine wenn auch limitierte Küche zur Verfügung. „Rocky“ hat viele solcher Ideen, schon Kontakt mit der ehemaligen Kita seines Sohnes aufgenommen. „Ich war jahrelang in Deutschland und habe nie einen Deutschen gesehen. So darf es heute einfach nicht mehr sein“, so Musleh.

Spontane Hilfe: Giuseppe De Feo, italienischer Lebensmittelhändler, bringt Gebäck in die Flüchtlingsunterkunft.
Spontane Hilfe: Giuseppe De Feo, italienischer Lebensmittelhändler, bringt Gebäck in die Flüchtlingsunterkunft. © Mike Bender

Gerade kommt Giuseppe De Feo in die Halle. Der italienische Lebensmittelhändler hat von der Halle gehört, eine Palette Panettone dabei. Nächste Woche will er Pasta bringen. Musleh und sein Team setzen auf Leute wie Giuseppe De Feo, auf Miteinander und Menschlichkeit. „Ich wünsche mir“, sagt „Rocky“, „dass die Menschen mit einem Lächeln hier ankommen und mit einem Lächeln wieder gehen. Dann haben wir alles richtig gemacht.“ (Von Yvonne Backhaus-Arnold und Holger Weber-Stoppacher)

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