Main-Kinzig-Kreis bringt Klage gegen Land Hessen auf den Weg

Der Main-Kinzig-Kreis macht in Sachen Flüchtlingsunterbringung Druck aufs Land. Er sieht sich ungerecht behandelt und klagt.
Main-Kinzig-Kreis - Er umfasst 30 Seiten und ist dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof gestern Morgen bereits offiziell zugestellt worden: der Normenkontrollantrag, den der Main-Kinzig-Kreis gegen das Land Hessen und dessen Verteilungsmechanismus für Flüchtlinge auf den Weg gebracht hat. Genauer gesagt geht es um den „Erlass der Verordnung über die Verteilung von Flüchtlingen, anderen ausländischen Personen, Spätaussiedlern und über die Gebühren für die Unterbringung in Hessen.“
Die Verordnung war bereits im Jahr 2009 in Kraft getreten und im letzten Jahr nach Darstellung des Hanauer Verwaltungsrechtlers Dr. Olaf Otting im Rahmen eines größeren Gesetzespakets mehr oder weniger klammheimlich vom Hessischen Landtag verlängert worden (siehe Bericht unten). Eine Überprüfung, ob der Verteilungsmechanismus noch den aktuellen Entwicklungen entspricht, sei nicht vorgenommen worden, war gestern ein wesentlicher Kritikpunkt bei einer Pressekonferenz im Main-Kinzig-Forum in Gelnhausen.
Main-Kinzig-Kreis klagt gegen Hessen: „An dieser Rechnung stimmt was nicht“
Die Kreisspitze sieht in dem aktuellen Verteilungsmechanismus vor allem die Grundsätze der Gleichbehandlung sowie der Verhältnismäßigkeit verletzt. Nach dem aktuellen Schlüssel müsse in Hessen ein Landkreis mit 400 000 Einwohnern, wie er der Größenordnung des Main-Kinzig-Kreises entspricht, 8,5 Prozent der Geflüchteten aufnehmen, Landkreise mit bis zu 100 000 Einwohnern dagegen nur ein Prozent der zu verteilenden Personen. „Der an Einwohnern um das Vierfache größere Landkreis erhält somit die achtfache Zahl unterzubringender Personen. Man muss kein Stochastiker sein, um festzustellen, dass an dieser Rechnung etwas nicht stimmt“, sagte die Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler (SPD).
Kritisiert wurden einmal mehr die Begünstigung von Großstädten wie Frankfurt oder Offenbach, die wegen ihres hohen Ausländeranteils weniger Flüchtlinge zugewiesen bekommen. Hier sah der Verwaltungsrechtler Otting einen klaren Verstoß gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, weil die Anrechnung ausländischer Staatsangehöriger ohne eine Differenzierung vorgenommen worden sei und Großstädte und der ländliche Raum unterschiedliche Sozialstrukturen aufwiesen. Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler fasste dies so zusammen: „Da werden der gut situierte und bereits integrierte Banker und ein gerade angekommener Geflüchteter in einen Topf geworfen.“
Lange Zeit im Guten versucht
„Es ist ein Hilferuf, sozusagen die Ultima Ratio“, begründete Landrat Thorsten Stolz (SPD) die Maßnahme, mit der der Kreis auch überregional für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Auch gestern wieder waren die Kameras mehrerer Fernsehsender auf die politisch Verantwortlichen gerichtet. Dass sich der Kreis keineswegs seiner rechtlichen und humanitären Verpflichtung entziehen will, zeigen die folgenden Zahlen eindrücklich: In den vergangenen 14 Monaten haben die 29 Städte und Gemeinden 10 500 Flüchtlinge aufgenommen, betreut und versorgt. Das entspricht der Einwohnerzahl von Bad Orb. Laut dem Kreisbeigeordneten Winfried Ottmann (CDU) wurden in diesem Zeitraum 79 Intensivklassen eingerichtet. „Das sind praktisch drei Schulen“, so der Christdemokrat. Der Kreis sei auch hier überproportional belastet im Vergleich zu anderen Kreisen in Hessen.
Solidarisch mit der Kreisspitze zeigte sich gestern Nachmittag Claus Kaminsky (SPD). Er habe hohen Respekt für die Geduld der Kreisspitze. „Sie haben es beachtliche Zeit im Guten versucht“, erklärte Hanaus Oberbürgermeister Richtung Stolz und Simmler. Die Brüder-Grimm-Stadt unterstütze den Weg, „weil der Kreis Recht hat“.
Flüchtlingsunterbringung: Alles so gleichmäßig wie möglich verteilen
Schulplätze seien genauso wie Kindergartenplätze Mangelware, Sprachkurse müssten finanziert werden. „Bei all diesen Herausforderungen muss es darum gehen, die Aufgaben so gleichmäßig wie möglich zu verteilen“, so der OB. Bisher habe das Land auf „Abmeiern und Ignoranz“ gesetzt. Kaminsky äußerte die Hoffnung, dass die Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof auch über den MKK hinaus zu einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge in Hessen führe. Stefan Erb hob als Vorsitzender der Bürgerkreisversammlung die Einheit hervor, die die 29 Städte und Gemeinden in der Frage zeigten. „Bisher haben schon mehr als 20 Kommunen die Normenkontrollklage in ihren Parlamenten abgesegnet“, die restlichen würden es in den kommenden Tagen tun, sagte der Bürgermeister der Stadt Erlensee.
Es herrsche, so Erb, eine „umfassende Unzufriedenheit“. Die Tatsache, dass die Zustimmung überparteilich erfolgt sei, widerspreche dem Vorwurf, dass es sich bei dem Antrag mit Blick auf die Landtagswahl im Oktober um Wahlkampfgetöse handele. Dieser Vorwurf war in der Debatte in den vergangenen Tagen immer wieder aufgetaucht. Erb gab auch ein Stimmungsbild aus seiner Kommune wieder, in der man unlängst die Schließung des Hallenbads beschlossen hatte, weil die Stadt sich die Sanierung nicht leisten kann.
„Am Donnerstag muss ich in meiner Stadtverordnetenversammlung eine überplanmäßige Ausgabe in Höhe von einer Million Euro für den Bau einer Flüchtlingsunterkunft durchbringen.“ Der Bau einer Flüchtlingsunterkunft sei zwar eine Pflichtaufgabe, die Unterhaltung eines Hallenbads dagegen eine freiwillige Leistung. „Doch für viele Bürger ist ein Euro ein Euro“. (Yvonne Backhaus-Arnold und Holger Weber-Stoppacher)
Landrat und Erste Kreisbeigeordnete des Main-Kinzig-Kreises fordern im Interview mehr Geld von Bund und Land und eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge.