Hanau und Maintal: Hausärzte am Limit

Hanau/Maintal – Holger Hofmann hat vor eineinhalb Wochen aus der Presse von der Biontech-Rationierung erfahren. Bisher hatte er, wie viele andere Hausärzte auch, fast nur diesen Impfstoff verimpft. Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte in einem Schreiben an die Länder Begrenzungen bei Bestellmengen für Biontech angekündigt, damit das Präparat von Moderna bei den Auffrischungsimpfungen vermehrt zum Einsatz kommt.
Andernfalls drohten eingelagerte Moderna-Dosen ab Mitte des ersten Quartals 2022 zu verfallen, was vermieden werden müsse, hieß es.
Einen Tag später hat der Allgemeinmediziner aus Steinheim eine E-Mail an Spahn formuliert, so wie wahrscheinlich hunderte Hausärzte aus ganz Deutschland. „Ich habe gefragt, ob ich ihm die Liste zum Abtelefonieren geben darf, immerhin hatte ich bis Februar Patienten für eine Impfung mit Biontech einbestellt. Ich habe ihm auch geschrieben, dass das alles neben den normalen Sprechstunden nicht zu leisten ist“, so Hofmann im Gespräch mit unserer Zeitung.
Aus Spahns Büro kam nur eine Standard-E-Mail als Antwort, die Liste zum Abtelefonieren blieb an Hofmann, dessen Frau und dem übrigen Personal hängen. „Am Freitag haben wir bis 21.30, 22 Uhr telefoniert, um die Patienten, die diese Woche einen Impftermin gehabt hätten, zu informieren“, so Hofmann. So geht es jetzt weiter, denn pro Praxis und Woche dürfen nur noch 30 Dosen Biontech bestellt werden.
„Was gerade im medizinischen Sektor abläuft, ist wie im Krieg“
Nicht der Umstieg auf Moderna sei das Problem, sondern die Art und Weise der Kommunikation. „Die Datenlage zu Moderna ist tatsächlich besser als die zu Biontech. Die Hospitalisierung ist ein bis zwei Prozent niedriger, und wer nach zweimal Biontech mit Moderna geboostert wird, hat mehr Antikörper als bei einer Boosterung mit Biontech“, erklärt Hofmann. Seinen Patienten habe er das ebenfalls erklärt. Die meisten, sagt der Allgemeinmediziner, seien auf Moderna umgestiegen. Problem: Da man bei Moderna mehr Impfdosen aus einem Fläschchen bekommt als bei Biontech (20 statt sieben) muss der Terminplan neu zusammengestellt werden – nicht nur für diese Woche, sondern bis Februar.
Neben dem Impf-Hick-Hack finden normale Sprechstunden und Infektionssprechstunden statt, um die Patienten voneinander zu trennen. Die Arbeitsbelastung sei hoch, beklagt Hofmann. Auch viele seiner Kollegen berichten dies. Das Personal arbeitet am Limit. „Die Stimmung ist schlecht“, sagt Hofmann, denn auch die Patienten sind häufig ungehalten. Viele hätten kein Verständnis mehr, auch die Aggressivität habe zugenommen. Da Hofmann aktuell fast nur boostert und kaum Erst- oder Zweitimpfungen durchführt, will er Moderna jetzt auch ohne Termin verimpfen. „Wir werden ab sofort ein Fläschchen bereithalten, wenn sich Patienten spontan für die Auffrischung entscheiden.“
Frust herrscht auch bei Thomas Blaschek vom Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) Maintal. „Es mangelt an allen Ecken und Enden. Wir Ärzte erfahren extrem kurzfristig, dass wir weniger Impfstoff bekommen, als zugesagt. Da sind die Termine schon längst geplant.“ Es sei noch nicht einmal sicher, ob die reduzierten Bestellmengen auch wirklich ankommen. Das Hin und Her mache sich auch bei den Patienten bemerkbar, die „zutiefst verunsichert sind“, so Blaschek. Die Kommunikation der Politik sei verheerend. „Man bekommt ja vermittelt, dass man mit Moderna einen Ladenhüter bekommt, der jetzt weg muss. Es ist doch völlig klar, dass da keine Begeisterung herrscht“, sagt der Mediziner, der in seiner Praxis auch am Wochenende geimpft hat. Er verabreicht fast ausschließlich Booster-Impfungen. Die Nachfrage ist gigantisch, die Belastung für die Ärzte und Praxismitarbeiter noch viel größer. „Was gerade im medizinischen Sektor abläuft, ist wie im Krieg“, so Blaschek mit Blick auf die Situationen in den Kliniken und den Einsatz der Bundeswehr, die schwer erkrankte Patienten verlegen muss. (Von Yvonne Backhaus-Arnold Und Michael Bellack)