Zeichenakademie in Hanau feiert ihr 250-Jähriges mit Ausstellung

Wie schaut man in einer Goldschmiedestadt auf eine 250 Jahre währende Tradition in der Schmuck- und Edelmetallgestaltung zurück? Die Staatliche Zeichenakademie, die in diesem Jahr ein Vierteljahrtausend alt wird, tut dies mit einem weitgespannten Bogen zwischen Historie und aktuellem Ausbildungsstand
Hanau - Sie lässt zu Beginn dieses Reigens mit der jetzt im Deutschen Goldschmiedehaus eröffneten Ausstellung „Arbeit im Prozess – 250 Jahre Zeichenakademie Hanau“ das Hier und Jetzt sprechen: zwei moderne, bunte Schaukelhocker aus Kunststoff, Guss und Pappe, ein Stuhl aus einem zwischen ein Metallgestänge gewebten bordeauxfarbenen Band, preisgekröntes Silber-Altargeschirr, eine mit Kunstsaphiren besetzte Taschenuhr.
Das alles dokumentiert neben Arbeiten zur Entstehung von Formen und Schmuckstücken die breite Palette der Objekte aus den Laboren und Werkstätten der Zeichenakademie sowie die Bandbreite der Ausbildungszweige.
Blick auf den Entstehungsprozess
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Ausstellung gibt nicht, wie der Titel vielleicht suggerieren könnte, einen Überblick über 250 Jahre Gold- und Silberschmiedekunst in Hanau. Das, so der kommissarische Leiter der Zeichenakademie, Benjamin Pfister, wird im Mai mit einer Ausstellung in der Zeichenakademie geschehen. Am 20. Juli, dem Gründungstag der Zeichenakademie, wird es dort bei einem großen Fest ebenfalls Einblicke in die Geschichte geben. Zudem ist die Historie des kreativen Schaffens dokumentiert in dem aufwendig gestalteten und reich bebilderten Katalog, dessen Texte aus der Feder des Kunsthistorikers und Lehrers an der Zeichenakademie, Dr. Bruno-Wilhelm Thiele, stammen. Der Katalog ist gegen eine Spende von 25 Euro in der Zeichenakademie erhältlich.
Jetzt aber, im Goldschmiedehaus, geht es neben dem Blick auf die fertigen Objekte der Absolventinnen und Absolventen um den Entstehungsprozess. Wie wird aus einer Idee ein Schmuckstück oder Gebrauchsgegenstand? Welches Material eignet sich? Wie entwickelt sich aus einer theoretischen Vorstellung erst eine geometrische und dann eine organische Form? Die Antwort auf diese Fragen geben Vasen, kinetische Objekte, Lampen und Skulpturen im „Dialog zwischen traditionellem Handwerk, bildender Kunst und aktuellen Entwicklungs- und Fertigungsmethoden an der Ausbildungsstätte“.
326 Schmuckgestalter werden derzeit ausgebildet
Christianne Weber-Stöber, Leiterin des Deutschen Goldschmiedehauses, betonte beim Rundgang durch die Ausstellung die enge Verbindung und Verbundenheit zwischen beiden Häusern, von der über die Jahrzehnte eine Vielzahl von Ausstellungen und Initiativen Zeugnis ablegt. Diese habe viele wichtige Verbindungen und Kooperationen bewirkt. Als Beispiel nannte Weber-Stöber das Holtzer-Stipendium für begabte Absolventen aus einem Nachlass, der jetzt auch eine großzügige Unterstützung der Jubiläumsfeierlichkeiten möglich gemacht habe.
326 Schmuckgestalter – Gold- und Silberschmiede, Graveure und Edelsteinfasser – sowie Metallbildner aus ganz Deutschland, aber auch aus anderen Ländern in Europa, Amerika und Asien werden derzeit ausgebildet und können sich zwischen Berufsschule, Berufsfachschule und einem dualen Studium, etwa für Produktgestaltung und Designmanagement, entscheiden.
Kreative Köpfe zeigen ihr Können
Und wenngleich die Ausbildung ihnen in erster Linie ein Handwerk vermittelt, kann sich die Zeichenakademie rühmen, eine Reihe von Künstlern hervorgebracht zu haben, die es zu internationalem Ruhm gebracht haben, wie etwa August Gaul oder Walter Bury. Konzipiert wurde die Ausstellung von drei an der Zeichenakademie tätigen Lehrkräften: dem Leiter der Silberschmiedeklasse Andreas Decker, der Diplom-Designerin Katja Siegle und dem Bildhauer Professor Vito Pace.
Los geht es beim Rundgang nach dem Betreten des Raumes mit einem Arbeitstisch, der mit vielerlei bunten Objekten bestückt ist und einen Eindruck von der Vielfalt der Objekte und Materialien vermittelt. Vitrinen mit dem, was die kreativen Köpfe der Zeichenakademie-Schüler erdacht haben, Kleinmöbel und Tischchen mit Entwurfsbeispielen ergänzen den Überblick. Unterteilt ist die Ausstellung in die Grundlagen der Gestaltung mit Materialien, Zeichnungen und visuelle Präsentation, das Metallbilden und das Fassen von Schmucksteinen. In der Mittelachse stellen sich die Gold- und Silberschmiede sowie die Graveure mit ihren Objekten vor. Lehrer Andreas Decker warb an dieser Stelle für den Ausbildungsgang der Silberschmiede, der erstmals zu wenig Absolventen habe. Dabei seien die Fertigungsräume mit den Geräten in dem 2015 sanierten Bereich ein „absoluter Traum“, die Ausbildung biete die Chance, in den unterschiedlichsten Berufen Fuß zu fassen.
Moderne Technik verwendet
Die Ausstellung zeigt, wie sehr die moderne Technik die Planungs- und Arbeitsabläufe verändert haben: 3D-Drucker, die Gussobjekte aus Wachs oder Kunststoff herstellen, Computer, an denen geplant und entworfen wird, Lasergeräte, die zur Schmuckbearbeitung dienen.
Dennoch sei die Arbeit mit den Händen nach wie vor wichtig, betont Katja Siegle. Und Weber-Stöber ergänzt, dass die Workshops für Kinder im Goldschmiedehaus genau dazu dienen, diese Fertigkeiten zu fördern.
Einzigartig und fast schon ein Alleinstellungsmerkmal der Zeichenakademie ist laut Andreas Decker, dass in Hanau – anders als in den wenigen noch bestehenden sonstigen Ausbildungsstätten – die Objekte nicht nur von den Absolventen entwickelt, sondern von ihnen auch gefertigt werden.
Informationen
Die Ausstellung „Arbeit im Prozess – 250 Jahre Zeichenakademie“ ist bis zum 6. Juli im ersten Stock des Goldschmiedehauses Hanau, Altstädter Markt 6, zu sehen. Öffnungszeiten (Maske weiterhin erforderlich): dienstags bis sonntags, 11 bis 17 Uhr. Führungen finden am 15. Mai. 19. Juni und 3. Juli (sonntags) jeweils um 15 Uhr statt. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Abendgold“ am 2. Juni gibt es von 17 bis 19 Uhr (bei freiem Eintritt) einen „Talk“ zur Ausstellung. Mehr Informationen im Internet unter goldschmiedehaus.com.
Von Jutta Degen-Peters

