Dietrich Brüggemann war ein Leben lang engagiert

Hat man jemals Dietrich Brüggemann laut oder zornig erlebt? Wohl kaum. Stets freundlich, aber verbindlich, mit klugem Verstand und klaren Vorstellungen ist der vielfach Geehrte in Erinnerung. Am Freitag voriger Woche ist er kurz vor seinem 96. Geburtstag gestorben (unsere Zeitung berichtete), heute wird er in Kesselstadt zu Grabe getragen.
Hanau - Weithin geachtet, hochgeehrt und mit Orden ausgezeichnet, verabschiedet sich mit ihm zugleich eine ganze Generation, nämlich die, welche dieses Land in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nach oben gebracht hat und zugleich Maßstäbe für soziales und kulturelles Engagement in der demokratischen Gesellschaft setzte.
Brüggemann war Angehöriger der sogenannten Flakhelfer-Generation, also jener Schülerjahrgänge, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs noch zu Hilfsdiensten an der vom Bombenkrieg bedrohten Heimatfront eingezogen wurden. Es waren die 15- bis 17-jährigen Oberschüler der Jahrgänge 1926 bis 1928. Mithin auch die Schüler der Oberrealschule Hanau, die auch Brüggemann besuchte. Zwei Brüder Brüggemanns, der gerne von einer glücklichen Kindheit und früher Jugend am Beethovenplatz berichtete, waren bereits gefallen, nun holte ihn selbst 1945 der Krieg ein. Er überlebte, geriet zum Schluss auch noch in Gefangenschaft.
Nach der Gefangenschaft war Hanau zerstört
Die Erlebnisse beim militärischen Einsatz haben diese um ihre Jugend und manche Bildungschance betrogene Generation geprägt. Manche wollten Helden werden, viele wurden traumatisiert, Dietrich Brüggemann hat aus ihnen eine zutiefst humane Lebenseinstellung gewonnen. Aus der Gefangenschaft zurückgekehrt, fand er allerdings seine Heimatstadt Hanau zerstört vor, ebenso seine alte Schule. Und als sei dies nicht genug, verlor er auch noch seinen Vater durch einen tödlichen Verkehrsunfall. Ein amerikanisches Militärfahrzeug hatte ihn überfahren. „Ausgerechnet unsere Befreier!“, wie Brüggemann dies mit bitterer Ironie kommentierte.
So wurden die Weichen für Brüggemanns späteres gesellschaftliches Engagement gestellt: Den Wert einer intakten Familie wusste er nach dem Tod des Vaters umso mehr zu schätzen, den Wert von Bildung, nicht nur der Wissensbildung, sondern auch einer sozialen, ebenso. Er heiratete Gertrud, seine Angebetete aus dem Kirchenchor, und die Familie wuchs über die Jahre um fünf Söhne, derweil Brüggemann, handwerklich begabt, eine Schreinerlehre absolvierte, seinen Meister machte und 1964 den eigenen Betrieb gründete. Der wird heute von zwei seiner Söhne geführt.
Engagement begann fürs Handwerk
Brüggemanns Engagement begann für das Handwerk; lange Jahre war er Innungsobermeister, kümmerte sich um die Ausbildung des Nachwuchses und stellte selbst den ersten weiblichen Schreinerlehrling in Hessen ein. Doch auch über den beruflichen Tellerrand hinaus begann er zu wirken: Eingedenk einer eigenen glücklichen Kinderzeit gründete er 1966, tatkräftig von Ehefrau Gertrud unterstützt, den Trägerverein für das Hanauer Albert-Schweitzer-Kinderdorf.
Der gibt heute als ASK Hessen e.V. knapp 290 Jugendlichen ein Zuhause und steht über 300 Familien beratend zur Seite. Bis 1997 war Brüggemann Vorsitzender. Nicht nur sozial engagierten sich die Brüggemanns – Ehefrau Gertrud ist 2015 gestorben – in der Hanauer Stadtgesellschaft: Hessisches Puppenmuseum, Hanauer Geschichtsverein, Förderverein Hanauer Theater und Kulturzentrum waren nur drei der Institutionen, wo sie engagiert und präsent waren.
Mit der Zeitung stets verbunden
Dieses vielfältige Engagement brachte natürlich auch regen Kontakt zu dieser Zeitung. Vor allem die Gründung des Albert-Schweitzer-Kinderdorfes begleitete der HANAUER ANZEIGER über die Jahre und berichtete ausführlich. Ende der Neunzigerjahre kam Dietrich Brüggemann dann mit einem ganz anderen Anliegen in die Redaktion: Thema Oberrealschule.
Damals lebten noch viele aus jenen letzten Jahrgängen der Städtischen Oberrealschule, die 1946 mit der staatlichen Hohen Landesschule „zwangsvereinigt“ wurde. Ihnen wollte Brüggemann die Geschichte ihrer Schule schreiben, wurde doch vielfach die Zusammenlegung als Verlust eines Teils städtischer Identität empfunden. Er hatte dazu bereits eine umfangreiche Sammlung von Bildern und Dokumenten zusammengetragen, aus der der HA dann mehrere Sonderseiten zusammenstellt und gedruckt hat.
Ein Muster gesellschaftlichen Engagements
Dieses Werk – Brüggemann hatte schon mehrere Erinnerungsbücher verfasst – sollte nun sein Lebenswerk abschließen. Doch immer neue Quellen taten sich auf und das Manuskript wuchs sich auf über 1000 Manuskriptseiten aus. Er ist nicht damit zu Ende gekommen.
Doch auch ohne gedrucktes Buch über die Oberrealschule ist Brüggemanns Lebensweg und Lebenswerk ein Muster gesellschaftlichen und beruflichen Engagements. Nicht nur für Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung, in den Kinderdörfern und in der Hanauer Stadtgesellschaft. Es verdient umso mehr Beachtung und Erinnerung, als Brüggemann und seine Generation am Ende des Zweiten Weltkrieges keineswegs ideale Startbedingungen hatten.
Von Werner Kurz