Käufer bietet zweistelligen Millionenbetrag für marode Hanauer Siedlung

Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky klärt im Interview über Details zur Causa Kinzigheimer-Weg-Wohnsiedlung auf.
Hanau - Bei einem erneuten Verkauf der maroden Kinzigheimer-Weg-Wohnsiedlung am Hafen will sich die Stadt Hanau durch den Insolvenzverwalter keinesfalls unter Druck setzen lassen. Das hat Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) in einem Interview mit unserer Zeitung deutlich gemacht. Die Stadt hatte zuvor bestätigt, dass ihr der Insolvenzverwalter des einstigen Siedlungseigentümers Dolphin Capital 214 Projekt GmbH einen möglichen Käufer „vorgestellt“ hat, mit dem sie im Austausch stehe.
Von einem „Zuschlag“ für diesen Kaufinteressenten, wie es beim Insolvenzverwalter zum Abschluss eines Bieterverfahrens hieß, könne jedoch keine Rede sein, solange die Zustimmung der Stadt zum Verkauf fehle. Vielmehr werfe die in Rede stehende Kaufsumme in zweistelliger Millionenhöhe eine Menge zusätzlicher Fragen darüber auf, welche Erwartungen der mögliche Käufer hat und ob diese mit den städtischen Sanierungsvorgaben in Einklang zu bringen sind. Seit 2009 wurde die Siedlung mehrmals verkauft. Die Verkaufssummen stiegen jeweils in Millionenschritten, saniert wurde jedoch bis heute nicht. Derzeit sind nach Angaben der Stadt Hanau von den 164 Wohnungen noch 13 belegt.

Kinzigheimer Weg in Hanau: OB Kaminsky äußert sich in Interview zu Siedlung
Im Juni wird es fünf Jahre her sein, dass der Beschluss zum Rückkauf der Siedlung gefasst wurde. Passiert ist dort bis heute nichts. Haben Sie insgeheim nicht längst kapituliert?
Das Wort Kapitulation ist in meinem Repertoire nicht vorhanden. Das Ziel, diese Siedlung so zu entwickeln, wie die Stadtverordneten, der Magistrat und ich persönlich es uns vorgenommen haben, steht nach wie vor. Es geht um Denkmalschutz und um bezahlbaren Wohnraum. Dass das alles nicht einfach ist, dürfte hinreichend deutlich geworden sein. Man kann der Stadt hier keine fehlende Ungeduld vorwerfen. Seit mehreren Jahren warten wir nun schon auf einen Gerichtsbeschluss aus Darmstadt zur Klage gegen unser ausgeübtes Vorkaufsrecht. Es gab einen offenen Brief an die hessische Justizministerin wegen der Personalsituation am dortigen Landgericht. Das Thema kam sogar im Landtag zur Sprache. Und zu guter Letzt folgte 2021 die Dolphin-Insolvenz und hat das Klageverfahren unterbrochen. Mit anderen Worten sind bis zur Insolvenz schon vier lange Jahre ohne Urteil vergangen. Hier erleben wir, was viele Bürger auch aus ihren Erfahrungen mit Rechtsstreitigkeiten berichten: Der Personalmangel an unseren Gerichten führt dazu, dass Gerichtsverfahren oft viel zu lange dauern. Der Richterschaft kann man da wohl keine Vorwürfe machen.
Sie sagen, dass es vor der Beurkundung eines Kaufvertrags eine städtebauliche Vereinbarung über die Sanierung und über den Denkmalschutz geben muss, sonst würde die Stadt nicht zustimmen. Eine Sanierungsverpflichtung gab es aber auch schon für den insolventen Eigentümer Dolphin. Was macht Sie so sicher, dass es mit einem in Rede stehenden Käufer dann besser laufen kann?
Nichts.
Wie bitte?
Wir sind uns überhaupt nicht sicher. Wir sind aber auch noch gar nicht so weit, wie Sie offenbar glauben. Es gibt auch keinen Zuschlag.
Wir haben den Begriff Zuschlag mit Quellenangabe Insolvenzverwalter wörtlich zitiert. Sie sehen das anders?
Es mag ja sein, dass der Insolvenzverwalter oder seine Sprecherin das so gesagt haben. Das ändert aber nichts daran, dass bei uns Skepsis darüber vorherrscht, ob die Ziele, die wir uns für dieses Gebiet gesetzt haben, mit dem in Rede stehenden Interessenten erreichbar sind. Diese Skepsis ist in den letzten Tagen sogar noch gewachsen. Ich kann Ihnen wegen noch laufender Gespräche leider keine Einzelheiten nennen.
Marode Siedlung in Hanau: „Zweistelliger Millionenbetrag steht im Raum“
Aber dennoch, falls ein privater Investor die Sanierung übernehmen würde, stellt sich die Frage: Welche Druckmittel haben Sie zur Durchsetzung von Vertragspflichten tatsächlich in der Hand?
Mit einem städtebaulichen Vertrag, auf dessen Abschluss wir vor einer Beurkundung des Kaufvertrags bestehen würden, hätten wir ein juristisch scharfes Schwert. Da würde nämlich auch drin stehen, dass im Falle einer Nichterfüllung vertraglicher Verpflichtungen in einer bestimmten Frist das Grundstück an die Stadt Hanau fällt. Und zwar zu einem Preis, der deutlich unter dem vereinbarten Kaufpreis zwischen Käufer und Verkäufer liegen würde. Das Gericht hat ja mal einen Vergleichsvorschlag gemacht, in dem von einem Verkehrswert (Rückkaufwert) in Höhe 5,5 Millionen Euro die Rede war. In dieser Höhe würden wir auch zurückkaufen.
Bei welchem Kaufpreis?
Da gilt das, was ich eben gesagt habe. Ich kann Ihnen jetzt noch keine Details nennen. Aber ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass ein zweistelliger Millionenbetrag im Raum steht. Daraus mögen Sie die gewaltige Differenz zum Verkehrswert abschätzen.
Kann Ihnen, also der Stadt, der Kaufpreis nicht egal sein, weil ja am Ende der Käufer zahlt?
Das ist nicht der Punkt. Wir müssen alles in Betracht ziehen, um beurteilen zu können, wie wahrscheinlich es ist, dass die Käuferinteressen mit unseren Sanierungsinteressen übereinstimmen. Und dazu gehört auch der Kaufpreis als ein Kriterium. Wenn ich jetzt sehe, welcher Preis hier aufgerufen wird, und ich die absehbaren Kosten für die Sanierung sowie die Vorgabe bezahlbarer Wohnraum-Mieten berücksichtige, dann frage ich mich doch, wie der Betreffende das umsetzen und trotzdem noch verdienen will. Da sträubt sich alles in mir. Das haben wir alles schon mehrmals gehabt. Ich bin noch weit davon entfernt, hier ungerechtfertigt böse oder spekulative Absichten zu unterstellen. Aber aus den bisherigen Kontakten kann ich auch nicht ableiten, dass es sich bei dem Kaufinteressenten um einen Mäzen handelt, der nur Gutes tun will und dem das Geld letztlich egal ist. Kurzum, wir glauben nicht, dass das, was hier auf dem Tisch liegt, wirtschaftlich vernünftig realisierbar ist. Also stellen sich für uns neue Fragen nach den Motiven für das Kaufinteresse.
Wie sieht das der Kaufinteressent?
Das wird sich zeigen. Wir sind noch im Gespräch, aber wir haben sehr deutlich kommuniziert, dass wir einen Aufstellungsbeschluss durch die Stadtverordnetenversammlung darüber herbeiführen wollen, was in der Siedlung passiert und was dort nicht passiert. Wir geben also zum Beispiel vor, dass die Siedlung auch in Zukunft der Wohnraumversorgung von Haushalten mit geringen und mittleren Einkommen dient. Aus alledem ergibt sich letztlich auch eine Kosten-Nutzen-Abschätzung für einen Investor. Anders gesagt sind wir nicht die Zuschauer ...
... sondern?
Der Gesetzgeber hat im vergangenen Jahr mit einer Novelle zum Baurecht den Kommunen hier ein neues Instrument an die Hand gegeben, das heißt Bebauungsplan zur Wohnraumversorgung. Das gibt uns die Möglichkeit, die Vorgaben zur Sanierung weiter zu konkretisieren.
Kinzigheimer-Weg-Siedlung in Hanau: „Musterbeispiel von bestimmten Auswüchsen des Kapitalismus“
Sie könnten also einen Käufer damit stärker als bisher an die Kandare nehmen?
Sagen wir mal: zusätzlich. Da darf zum Beispiel auch geregelt werden, welche Quote zur Schaffung von sozialem Wohnraum gelten soll. Um nicht missverstanden zu werden, will ich aber auch unterstreichen, dass wir dieses juristische Schwert hier vor dem Hintergrund der Skandale um den Kinzigheimer Weg ziehen. Wer die Leidensgeschichte, die über diesem Wohnquartier liegt, kennt, kann das sicher nachvollziehen. Diese Siedlung ist ein Musterbeispiel von bestimmten Auswüchsen des Kapitalismus, die sich gegen die Interessen von weiten Teilen der Bevölkerung richten. Aber ich differenziere bei den privaten Bauträgern auch. Wir dürfen nicht übersehen, dass ganz wesentliche Teile der Stadtentwicklung in der Innenstadt, in der Altstadt oder bei der Konversion ehemaliger Militärflächen ohne privates Engagement nicht denkbar gewesen wären. Es gibt also viele Beispiele, wo die Zusammenarbeit mit privaten Investoren bei uns in Hanau gut funktioniert hat.
Wenn es mit dem in Rede stehenden und mit anderen Interessenten für die Kinzigheimer-Weg-Siedlung nichts wird, dann landen Sie ja vielleicht doch wieder bei dem zurzeit ruhenden Klageverfahren gegen das Vorkaufsrecht.
Davon gehe ich aus.
Sie rechnen dann vielleicht auch damit, dass das Gericht Ihnen den Rückkauf der Siedlung zum Verkehrswert von 5,5 Millionen Euro bestätigen wird. Vorausgesetzt, dass es so kommt, kann der Insolvenzverwalter aber vom alten Kaufvertrag zurücktreten. Und dann?
Dann würden wir wieder bei null stehen. Aber bedenken Sie, dass der Insolvenzverwalter die Pflicht hat, das Areal zu verwerten und nicht spekulativ liegen zu lassen, wie das zuletzt Dolphin getan hat. Irgendwann muss er dann wieder bei uns vorbeikommen. Das würde also nicht ewig so gehen. Deswegen sind wir jetzt schon mit ihm und einem seiner Kaufinteressenten im Austausch. Da geht es nicht um Rechthaberei, sondern um die Sicherheit, dass diese Siedlung nun endlich saniert wird.
Sieht das der Insolvenzverwalter auch so?
Soweit ich den Insolvenzverwalter einschätze, wird er wissen, wie wir kalkulieren. Er kann sich denken, dass wir das beschriebene Szenario bereits durchdacht haben. Aber ja, der Mann verfolgt natürlich die Interessen der Gläubiger und wir unsere.
Das Gespräch führte Reinhold Schlitt.