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Hanauer Kindermord-Prozess: „Wie in einem Horrorfilm“

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Von: Christian Spindler

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Seit Januar läuft das Verfahren gegen einen Mann (im Bild zusammen mit seinem Verteidiger beim Prozessauftakt), der des Mordes an seinen Kindern angeklagt ist. Am Freitag soll das Urteil gesprochen werden. ARCHIV
Seit Januar läuft das Verfahren gegen einen Mann (im Bild zusammen mit seinem Verteidiger beim Prozessauftakt), der des Mordes an seinen Kindern angeklagt ist. Am Freitag soll das Urteil gesprochen werden. ARCHIV © PATRICK SCHEIBER

Im Kindermord-Prozess von Hanau wurden jetzt die Plädoyers gehalten. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslänglich für den Angeklagten.

Hanau – Manchmal hat man keine Tränen mehr. Weil alle verbraucht sind. Weil das Leid so groß ist. So wie das der Mutter, deren sieben Jahre alte Tochter und ihr elfjähriger Sohn getötet wurden. Verantwortlich dafür ist der Vater der Kinder. Seit Januar muss er sich vor der 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Hanau unter Vorsitz von Dr. Mirko Schulte wegen zweifachen Mordes verantworten.

Nach etlichen Verhandlungstagen wurden am Montag (22. Mai) die Plädoyers gehalten. Insgesamt war es eine schwierige Rekonstruktion des Tathergangs. Staatsanwalt Dr. Oliver Piechaczek fordert lebenslange Haft für den 48-Jährigen. Zudem liege eine besondere Schwere der Schuld vor. Ein Antrag, dem sich Friederike Vilmar anschloss, Anwältin der als Nebenklägerin auftretenden Mutter.

Die 38-jährige Mutter verfolgte am gestrigen Verhandlungstag die Plädoyers der Ankläger. Schwarze Hose, schwarze Jacke, orangefarbenes T-Shirt, die Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihr Blick ist leer, oft starr, das Gesicht von Trauer und Pein gezeichnet. Manchmal weint sie. Dann geht auch das nicht mehr. Der Frau sei „die größtmögliche Bestrafung zugefügt worden, die man einer Mutter zufügen kann“, sagt Staatsanwalt Piechaczek: Die Ermordung ihrer Kinder.

Staatsanwalt zum Hanauer Kindermord-Prozess: „Rechtsstaat muss Flagge zeigen“

Bestrafung – darum sei es dem Angeklagten gegangen, weil sich die Ehefrau von ihm getrennt hatte. Der narzisstisch veranlagte Mann habe Frau und Kinder als sein Eigentum betrachtet. Dass sich seine Frau von ihm getrennt hatte, mit den Kindern aus der ehelichen Wohnung in Egelsbach nach Hanau ins Hochhaus an der Römerstraße gezogen war, wo sich am 11. Mai 2022 die schreckliche Tat ereignete, habe nicht ins patriarchalische Weltbild des Inders gepasst. Ehrverletzung, Kränkung, Jähzorn, Wut und Hass, diese Worte fallen immer wieder in dem Plädoyer.

Bisweilen sei der Mann aber auch in einer „weinerlich-manipulativen Art“ aufgetreten. Auch wenn der Angeklagte in einem anderen Kulturkreis sozialisiert worden sei, so müsse bei der Beurteilung der Tat „das Recht in Deutschland der Maßstab sein und nicht der soziokulturelle Hintergrund in Indien oder sonst wo“, sagt der Staatsanwalt. Der Rechtsstaat müsse klar Flagge zeigen, um die Grundwerte zu verteidigen. Und die beinhalteten, dass sich eine Frau von ihrem Mann trennen könne.

Der Angeklagte und seine Frau stammen aus dem Nordwesten Indiens. Die 2008 geschlossene Ehe war arrangiert. Erst drei Tage vor der Hochzeit haben sich die Eheleute erstmals gesehen, heißt es. 2016 kamen sie nach Deutschland, die Kinder wurden 2021 nachgeholt. Die Ehe soll für Frau und Kinder ein Gefängnis gewesen sein. „Es gab ein Klima der häuslichen Gewalt“, so der Staatsanwalt. Schläge, Schütteln, Ohrfeigen, Würgen, Haare reißen – „wie groß muss das Leid dieser Frau und der Kinder gewesen sein?“, fragt die Vertreterin der Nebenklage. Es ist eine rhetorische Frage. Wenn die Kinder erwähnt werden, wischt sich die Mutter immer wieder Tränen aus dem Gesicht.

Kindermord von Hanau war „wie in einem Horrorfilm“

Weil er offenbar keine Hoffnung mehr hatte, dass Frau und Kinder wieder zu ihm zurückkommen, habe der Angeklagte die Tötung der Kinder „akribisch vorbereitet“ – als Bestrafung für seine Frau, der er die Schuld an allem zuschreibe. Dabei sei er „perfide vorgegangen“, habe am Tattag, dem 11. Mai 2022, in der Früh gewartet, bis seine Frau zur Arbeit gegangen war. Als die Kinder die Wohnung verlassen wollten, um zur Schule zu gehen, soll alles ganz schnell gegangen sein: Er presste seine Tochter auf Bett, schnitt ihr zweimal regelrecht die Kehle durch. Es war ein schreckliches Blutbad, wie Bilder vom Tatort belegen, die während der vorhergehenden Verhandlungstage gezeigt wurden. Der Sohn soll in Panik vom Balkon im neunten Stock gesprungen sein. Er starb wenig später im Krankenhaus. „Das war alles wie in einem Film“, so der Staatsanwalt: „Wie in einem Horrorfilm.“

Mehr als zwei Stunden dauerte das Plädoyer von Oliver Piechaczek, der mit vielen Details darlegte, dass der Angeklagte heimtückisch, aus niedrigen Beweggründen, kaltblütig und grausam gehandelt habe. Die Anwältin der Mutter stimmte den Ausführungen der Staatsanwaltschaft zu, kritisierte aber auch das Jugendamt. Warnzeichen seien nicht hinreichend beachtet worden, „Das hätte besser funktionieren können.“ Nach Bekanntwerden der familiären Probleme hatte das Amt eine sozialpädagogische Familienhilfe organisiert.

Hat sich das furchtbare Geschehen an jenem 11. Mai vorigen Jahres in der Wohnung aber auch so abgespielt, wie von der Staatsanwaltschaft dargelegt? Stefan Bonn, Verteidiger des Angeklagten, meldete in seinem Plädoyer Zweifel an. Möglicherweise sei der Vater mit der Absicht in die Wohnung gekommen, seine Kinder nach Indien zu bringen, und der Sohn sei in den Tod gesprungen, bevor es zum Angriff und der Ermordung seiner Schwester kam. Die Verteidigung stellte in ihrem Plädoyer explizit keinen Antrag zum Strafmaß,

Am Freitag fällt das Urteil im Hanauer Kindermord-Prozess

Nicht unerheblich ist, ob die Kammer bei einer möglichen Verurteilung zu lebenslänglicher Haft wegen Mordes in ihrem Urteil eine Schwere der Schuld feststellt. Damit wäre eine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis nach 15 Jahren nahezu ausgeschlossen. „Ich bedauere den Tod meiner beiden Kinder“, das waren gestern die letzten Worte des Angeklagten, übersetzt von einem Dolmetscher. Der 48-Jährige hatte zwar zu Prozessbeginn ein Teilgeständnis abgelegt, sich aber vor Gericht nicht zum Tathergang oder zu Motiven geäußert. Zumeist verfolgte er die Verhandlung mit Händen vorm Gesicht. Am Freitag (26. Mai) um 14 Uhr, wird das Urteil verkündet. (Von Christian Spindler)

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