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Rechtsmediziner legt Gutachten zur Todesursache vor: „Jan ist ohnmächtig geworden“

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Von: Thorsten Becker

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Klare Aussage zur Todesursache: Professor Marcel Verhoff hat vor dem Schwurgericht die letzten Minuten des vierjährigen Jan H. rekonstruiert.
Klare Aussage zur Todesursache: Professor Marcel Verhoff hat vor dem Schwurgericht die letzten Minuten des vierjährigen Jan H. rekonstruiert. © Thorsten Becker

Professor Marcel Verhoff ist als Leiter der Rechtsmedizin an der Uni Frankfurt ein Experte bei der Suche nach Todesursachen. Im Prozess gegen Claudia H., die unter Anklage steht, weil sie ihren vierjährigen Sohn Jan im Umfeld der mutmaßlichen Sekte in der Hanauer Weststadt ermordet haben soll, ist er einer der wichtigsten Zeugen für die Schwurgerichtskammer, die nach mehrwöchiger, coronabedingter Zwangspause die Hauptverhandlung am Dienstag fortsetzt.

Hanau. Die Schwierigkeit für den Rechtsmediziner: Der Vierjährige ist am 17. August 1988 gestorben, der damalige Notarzt hat nur eine oberflächliche Leichenschau vorgenommen, und das Grab von Jan auf dem Kesselstädter Friedhof ist verschwunden. Bei einer Exhumierung im Zuge der Ermittlungen wurden keine Knochen mehr gefunden, die Hinweise geben könnten.

Dennoch gelingt es Verhoff nach fast 34 Jahren, die Todesursache des Kindes eindeutig zu benennen. Dazu dienen ihm die bisherigen Aussagen der Zeugen, die in diesem Mammutverfahren seit September vergangenen Jahres ausgesagt haben. So hatte die Angeklagte angegeben, dass sie ihren Sohn an diesem Tag in einen Sack zum Schlafen gelegt habe. Im Bad. Dabei hatte sie betont, sich sicher zu sein, dass sie diesen Sack nicht über dem Kopf zugeschnürt habe – was sonst in diesem Haus jedoch zuvor mit Jan gemacht worden sei, wie mehrere Zeugen ausgesagt hatten.

Den „Tod durch Ersticken“, den damals Notarzt und auch die ermittelnden Kriminalbeamten festgestellt hatten, hält der Professor heute für abwegig: „Ein gesundes Kind erstickt nicht an Erbrochenem im Schlaf“, sagt Verhoff und verweist auf die natürlichen Schutzreflexe. Und der Rechtsmediziner ist sich sicher: „Es muss deshalb zuvor eine tiefe Bewusstlosigkeit vorgelegen haben.“

Hanauer Kindermordprozess: Es gibt keine andere Erklärung für die Todesursache

Diese, so Verhoff, sei durch den Sack erklärbar, denn dadurch sei dem Vierjährigen das Atmen erschwert worden. Zu diesem Ergebnis ist auch ein Versuch an der Universität Frankfurt gekommen, bei der unter Laborbedingungen ein stetiger Anstieg der Kohlendioxid-Konzentration festgestellt worden sei. Verhoff ist sich sicher: „Es gibt keine andere Erklärung für die Todesursache. Die Kohlendioxid-Konzentration war so hoch, dass der kleine Jan ohnmächtig geworden ist.“ Erst dadurch sei es zum Erbrechen, einer Unterversorgung mit Sauerstoff gekommen – was schließlich zum Tod geführt habe.

Ob dies denn auch bei einem offenen Sack realistisch sei, hakt die Kammer unter dem Vorsitz von Susanne Wetzel nach. „Nein, das ist nicht möglich. Dadurch wäre eine Bewusstlosigkeit nicht eingetreten“, so der Rechtsmediziner, der bereits in dem Prozess gegen die mutmaßliche Sektenanführerin Sylvia D. sein Gutachten erstattet hatte.

BGH-Richter nennen im Beschluss Kohlenmonoxid - „Völlig falsch“

Das Urteil gegen D. ist inzwischen vom Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe aufgehoben worden (wir berichteten). Allerdings haben die höchsten Richter in ihrem Beschluss sehr wenig Sorgfalt walten lassen, wie sich gestern in Hanau herausstellt. Denn in dem Beschluss ist von „Kohlenmonoxid“ die Rede. „Das ist natürlich völlig falsch“, sagt der Professor. Der Prozess wird fortgesetzt.

Von Thorsten Becker

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