1. Startseite
  2. Region
  3. Hanau

Herrenkleiderfabrik in Hanau: Pleite aufgeklärt – Haftstrafe für Beihilfe zur Untreue

Erstellt:

Von: Thorsten Becker

Kommentare

Aufgeklärt: Jetzt sind letzten Details für die Pleite der Herrenkleiderfabrik Philipp bekannt geworden.
Aufgeklärt: Jetzt sind letzten Details für die Pleite der Herrenkleiderfabrik Philipp bekannt geworden. © Thorsten Becker

Eine zentrale Figur in der Pleite der Herrenkleiderfabrik Philipp in Hanau ist verurteilt worden. Vor Gericht macht der Firmenbesitzer reinen Tisch.

Hanau - Es sind weit über 10 000 Seiten Beweismaterial in der Akte „Philipp“. Kaum zu überschauen. Doch die 5. Große Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht hat es beim zweiten Prozess um die Pleite der Herrenkleiderfabrik J. Philipp geschafft, den Überblick zu behalten. Besser noch: Die fünf Richter haben den Durchblick. „Wir haben heute verstanden, wie das gelaufen ist“, sagt Landgerichtsvizepräsident Dr. Mirko Schulte in der Urteilsbegründung und schaut Christian F. dabei eindringlich an.

Denn der 45-Jährige, der 2015 maßgeblich am unrühmlichen Ende der traditionsreichen Firma in Wilhelmsbad beteiligt gewesen war, ist soeben wegen Beihilfe zur Untreue zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt worden. Ohne Bewährung, versteht sich. Und der Haftbefehl gegen F., der sich dem ersten Verfahren durch seine Flucht aus dem Berliner Gefängnis in Plötzensee entzogen hatte, bleibt auch bestehen.

Hanauer Richter nennt die Zutaten einer „Firmenbestattung“

F., der Firmenbestatter, ist eine zentrale Figur in diesem Fall. Für ihn ist es nicht das erste Mal. Er nennt 15 Eintragungen im Vorstrafenregister sein Eigentum. Zwei davon sind einschlägig. Denn das Landgericht in Saarbrücken sowie das Amtsgericht in Offenbach hatten ihn 2019 wegen der gleichen Masche bereits verurteilt. Immer nach dem gleichen „Rezept“, dessen Zutaten der Vorsitzende nun klar benennt: „Man braucht zunächst panische Geschäftsführer, die Angst vor einer Insolvenz haben.“ Schulte nennt sie beim Namen: Die Brüder F. aus Hoppegarten bei Berlin, Besitzer eines großen Mode-Labels, die das Hanauer Unternehmen als neue Investoren übernommen hatten. Ihr guter Ruf stand auf dem Spiel. Nach dem Motto „Angst essen Seele auf“, so Schulte, seien die Brüder leichtgläubig gewesen.

Hauptzutat ist ein Firmenbestatter wie F., der ein fast nicht zu durchschauendes Geflecht von Unternehmen besitzt, in dem Geldflüsse verschleiert werden, sowie mehrere Strohleute, darunter sogar ein Rechtsanwalt. Abgerundet werde das, so der Richter, durch ein besonders kriminelles „Gewürz“: „Eine gewisse Portion Dreistigkeit.“ „Das sind regelrechte Hochstaplerattitüden gewesen“, stellt der Vorsitzende fest. Am Ende sei bei den Herren die „Gier aber zu groß gewesen“. Denn die Staatsanwaltschaft Hanau übernahm den Fall und zog die Verantwortlichen schließlich vor Gericht.

Angeklagte nach Insolvenz von Herrenkleiderfabrik Philipp in Hanau schwer belastet

Allen voran die Brüder F., die zur Insolvenzverschleppung sowie dem Bankrott beigetragen hatten. Sie mussten am Ende des ersten Philipp-Prozesses eine rekordverdächtige Summe von 1,5 Millionen Euro zahlen, damit das Verfahren gegen sie wegen geringer Schuld eingestellt werden konnte. Ist also Christian F. der Hauptschuldige, der ganz allein dafür verantwortlich ist, dass die Firma den Bach herunterging und die verbliebenen 80 Beschäftigten auf die Straße gesetzt wurden?

Zudem war er von den Angeklagten im Juni schwer belastet worden. F. ist ohne Zweifel eine schillernde Figur. Doch nach der zweiten Hauptverhandlung kristallisiert sich nun heraus: Er ist nicht der Einzige, der sich die eigenen Taschen gefüllt hat. Schulte nennt die Masche klar beim Namen: „Ausweiden, aufteilen, Beute machen.“ F. hat ein volles Geständnis ablegt und sich selbst schwer belastet. Das erkennt auch Staatsanwältin Dr. Alexandra Georgi an, die das Firmengeflecht in ihrem Plädoyer gekonnt aufdröselt und „nur“ drei Jahre und vier Monate Haft fordert.

Doch F. hat Pech. Denn das Verfahren gegen die letzten beiden Ex-Geschäftsführer ist bereits eingestellt. Und so macht der 45-Jährige bereits am ersten Verhandlungstag in Hanau reinen Tisch, weist die fünf Richter auf Kontoauszüge hin, auf denen haarsträubende Zahlen stehen: Kurz vor dem Insolvenzantrag wurden große Summen überwiesen. Auf eine Strohfirma von F. und an den letzten Geschäftsführer, den Berliner Rechtsanwalt Dr. Joachim S., der im ersten Prozess mit einer Geldauflage von gerade mal 10 000 Euro davongekommen ist.

Richter: „Ein Geschäftsführer, der so etwas macht, betreibt Untreue“

„Glück gehabt“, meint der Vorsitzende dazu. Denn wenn F., der ursprünglich wegen Beihilfe zum Bankrott angeklagt ist, nun wegen Beihilfe zur Untreue verurteilt wird, muss es auch jemanden geben, der untreu gewesen ist. Schulte nennt Dr. S. beim Namen und bezeichnet ihn „als Haupttäter“. Denn wie sich am zweiten Verhandlungstag herausstellt, hat er kurz vor dem Gang zum Insolvenzgericht richtig abgeräumt. „Ein Geschäftsführer, der so etwas macht, betreibt Untreue“, stellt der Vorsitzende fest, „das dürfte für einen Zivilprozess locker reichen.“

Zuvor wird der Berliner Rechtsanwalt, der nun auf dem Zeugenstuhl sitzt, von allen Seiten im Gerichtssaal regelrecht gegrillt. Vor allem bei der Frage, wieso er plötzlich 40 000 Euro auf seinem Konto hat. „Wieso bekommen Sie als Geschäftsführer von Philipp dieses Geld?“ S. gibt sich kleinlaut und weicht aus: „Ich weiß es nicht.“

Berliner Rechtsanwalt wird vor Hanauer Gericht gegrillt

Der Jurist wird vom Vorsitzenden mehrfach zur Wahrheitspflicht ermahnt. Vor allem bei der Frage, wie das mit dem Maschinenpark der Herrenkleiderfabrik gelaufen ist, die für 75 000 Euro an eine Strohfirma verhökert wurde.

Die Berliner Investoren haben für den „Rückkauf“ aber 465 000 Euro überwiesen, von denen Dr. S., der Angeklagte F. sowie ein weiterer Mittäter jeweils „zehn Prozent Provision“ kassiert haben. Bei der insolventen Firma kam nichts davon an. „Ihnen ist schon bewusst, dass das Geld nicht an Philipp zurückfließen soll?“, fragt der Vorsitzende. Dr. S., wird immer kleinlauter: „Ja, schon.“ Am Ende bleibt eine Frage im Saal zurück: Besitzt dieser Mann wirklich eine Zulassung der Rechtsanwaltskammer Berlin? Eine Frage, die sich Christian F. wohl nicht stellt, als er von den Wachtmeistern abgeführt wird. Auf ihn warten das Gefängnis sowie noch mehrere andere Verfahren – eines davon in Berlin, denn zwischendurch soll er 40 000 Euro an Corona-Soforthilfe ergaunert haben. (Thorsten Becker)

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion