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Hans-Jürgen Lenhart legt „Autofiktion“ über seine Jugendjahre vor

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Hans-Jürgen Lenharts Erzählung beschreibt das Hanau zwischen 1950 und 1974.
Hans-Jürgen Lenharts Erzählung beschreibt das Hanau zwischen 1950 und 1974. © PM

Er hänge an Hanau „wie die Katz am Haus“, hat der Historiker Gerhard Bott (1927-2022) die Frage nach seiner Heimat einmal beantwortet. Bott hat Kindheit und Jugend hier verbracht, ehe er nach einem langen Lebensweg im internationalen Museumsbetrieb wieder nach Hanau kam. In der Tat: Eine wesentliche Prägung erfährt der Mensch in den frühen Dekaden seines Daseins.

Hanau – Das betrifft auch die Beziehung zu dem, was man heute wieder „Heimat“ nennen darf. Zu lange war der Begriff verpönt, weil aus dem Dritten Reich vorbelastet. Doch es gibt nun mal keinen besseren Begriff für die sozialen und materiellen Orte, wo man als Kind und Jugendlicher Bindung erfährt. Tief im Gedächtnis haben sich Erinnerungen an diese Heimat erhalten, die oft nur auf ein Stichwort warten, ehe sich wie in einem Film ganze Lebensabschnitte abspulen.

Auch für den Literaten und Journalisten Hans-Jürgen Lenhart ist dieser Ort Hanau. 1954 hier in eine Flüchtlingsfamilie aus den Sudeten geboren, hat er seine Kindheit und Jugend in Hanau verlebt und auch er hängt offenbar an dieser Stadt „wie die Katz am Haus“. Von seinen späteren Lebensstationen aus hat er stets Kontakt zur „Goldschmiedestadt“ gehalten.

Nun hat er, der sich als „alter Hanauer“ versteht, ein Buch unter ebendiesem Titel veröffentlicht. Der Untertitel weist es als „Autofiktion“ aus. Er sei, so der Autor, wohl keine historisch so bedeutsame Persönlichkeit, dass er eine Autobiografie hätte abliefern wollen. So ist es denn auch eine Zustandsbeschreibung seiner selbst und seiner Lebensumwelt geworden, die vor dem realen Hanau bisweilen in der erinnerten kindlichen Fantasie ins Fiktionale entflieht und so der Heimatstadt eine ganz eigene, zuweilen welthistorische Bedeutung verleiht.

Nicht gerade in einem Vorzeigeviertel ist Lenhart in den 1950er/60er Jahren aufgewachsen – im Lamboy. Rund um die Kasernen war noch keineswegs das heutige moderne Quartier „Lamboy-Tümpelgarten“ entstanden, vielmehr herrschte im Viertel ein eher kleinbürgerlich-proletarisches Milieu vor. Zwischen Sozialbauten und Behelfsheimen entstand eine ganz eigene Welt, ohne Telefonanschluss in jeder Wohnung, stattdessen mit großen gelben Kästen an den Straßenecken, Telefonzellen, die dem kleinen Hans-Jürgen wie große Aquarien vorkamen. Klicker spielen, Sammelbildchen tauschen, nachmittags herumstromern, mit zunehmendem Alter auch des Milieus entlang der Lamboystraße mit GIs und Bordsteinschwalben gewahr werdend, wächst der Junge heran. 1964 dann eine Zäsur, ein Bruch: Ein Mitschüler bringt Fundmunition mit in die Tümpelgartenschule, bei deren Explosion werden viele Schulkinder, darunter der Autor, verletzt, manche oft für ihr Leben gezeichnet. Solche realen, belastenden Erlebnisse neutralisiert Lenhart geschickt mit fiktionalen Ausschweifungen, wie etwa beim Kennedy-Besuch ein Jahr früher. In dieser Passage wird Hanau zu einem Ort von geradezu weltgeschichtlicher Bedeutung.

Es sind die Hanauer Facetten jener Welt der Adenauer-Zeit, der frühen Beat-Ära und des Pop-Zeitalters der 1970er, die Lenhart in bisweilen distanziert-ironisch gefärbtem Ton detailreich wiedererweckt; er lässt mit wenigen Stichworten Bilder entstehen, an welche die Fantasie und eigene Erinnerung des Lesers problemlos andocken können. Inspiration hat er dabei aus den Beständen der Stadtbildstelle (!) gezogen.

Dieses, heute als „Medienzentrum“ völlig unzureichend charakterisierte visuelle Gedächtnis Hanaus, ist, richtig genutzt wie von Lenhart, ein Werkzeug zur Festigung der Hanauer Identität. Was er in seinem Buch niedergeschrieben hat, findet sich als Ansatz auch schon in seinen Bilderschauen, mit denen Lenhart seit über zehn Jahren Spaziergänge in die eigene und in die Vergangenheit der Stadt erfolgreich präsentiert. Halt eben nicht nur entlang der Sonnenseiten der Stadt zwischen Grimm-Denkmal, Goldschmiedehaus und Philippsruhe.

Jeder, der in Hanau zwischen 1950 und 1975 geboren wurde, aufgewachsen oder zur Schule gegangen ist, mithin hier Heimat „erworben“ hat, wird selbige in Lenharts Buch, wird sein Hanau, seine kleine Welt wiederfinden. Eben deshalb, das sei hier angemerkt, war die Lektüre des „Alten Hanauer“ für den Rezensenten eine überaus zeitraubende Angelegenheit. Die eigene Biografie auf nahezu jeder Seite! Angesichts des immer wieder ausschweifenden Blicks zurück dauerte das Schreiben dieses Artikels länger und länger. Und gerade deshalb kann Lenharts Buch, Heimatliteratur fürs 21. Jahrhundert, nicht nur alten Hanauern ans Herz gelegt werden.

Buchvorstellung morgen

Am morgigen Sonntag wird das Buch um 20 Uhr im „Brückenkopf“ vorgestellt. Der Eintritt ist frei. Reservierung per E-Mail an Lenhart-HMS@gmx.de. Aus der Serie „Kaisers Klänge“ ist derzeit in der hr2-Mediathek ein Podcast mit Lenhart abrufbar. Thema: Hanaus englische Partnerstadt Dartford – musikalisch gesehen. Das Buch ist im Buchhandel erhältlich, ISBN 978-3-7568-6963-3. Es kostet 15 Euro.

Von Werner Kurz

Eine „autofiktionale“ Milieubeschreibung aus seinen Jugendjahren im Hanauer Lamboy hat Lenhart nun als Buch veröffentlicht. Am 5. März findet eine öffentliche Präsentation im „Brückenkopf“ statt.
Eine „autofiktionale“ Milieubeschreibung aus seinen Jugendjahren im Hanauer Lamboy hat Lenhart nun als Buch veröffentlicht. Am 5. März findet eine öffentliche Präsentation im „Brückenkopf“ statt. © RZ

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