Kai Pfaffenbach erzählt vom Einsatz in der Ukraine

Wer den Hanauer Reuters-Fotograf Kai Pfaffenbach kennt, weiß, dass er einer ist, der selten nach Worten suchen muss. Nach seiner Rückkehr aus der Ukraine ist das anders. Da wollen die richtigen Worte nicht gleich kommen. Krass sei es gewesen. Verrückt. Wahnsinn.
Hanau - Drei Wochen war der Reuters-Fotograf aus Hanau an der Frontlinie unweit von Bachmut, der Stadt, die seit Monaten schwer umkämpft ist. Ukrainische Truppen stehen hier Tausenden Wagner-Söldnern und russischen Soldaten gegenüber. In Städten, in denen früher 30 000 Menschen lebten, sind es heute noch 100. Seit Monaten sind sie ohne Strom, ohne Wasser.
Bei unserem Gespräch drei Tage nach seiner Rückkehr klickt der 52-Jährige durch die Fotos auf seinem Laptop. Hunderte sind in den Tagen an der Front entstanden. Die New York Times hat sie veröffentlicht, die Washington Post, Medien weltweit. Eines – für Pfaffenbach steht es stellvertretend für diesen Krieg – zeigt die Nahaufnahme des Kommandeurs eines gepanzerten Mannschaftsfahrzeugs, der einen Kampftrupp nach heftigem Regen in schlammigem Terrain aus Bachmut herausgebracht hat, ein anderes zeigt Artillerie, die russische Stellungen in weniger als fünf Kilometer Entfernung unter Feuer genommen hat.

Dann ein Panzerfahrzeug, auf dem die Leiche eines gefallenen Ukrainers befestigt ist. „Der Trupp“, sagt Pfaffenbach, „hat den Soldaten außerhalb Bachmuts an einem Sammelpunkt abgelegt und ist dann sofort wieder zurück in den Kampfeinsatz.“
Irak, Afghanistan, das Erdbeben in der Türkei - der Hanauer war in seinen fast 30 Berufsjahren schon häufig in Kriegs- und Krisengebieten, um das Geschehen in Bildern festzuhalten. „Aber diesmal hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass meine Bilder das große Ganze gar nicht einfangen können, dass sie nur ein minimaler Ausschnitt vom Gesamtbild sind.“
„Hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass meine Bilder das große Ganze gar nicht einfangen können“
Über Krakau reisen sie in die Ukraine ein, sind ein paar Tage in Kiew („Da merkst du gar nicht mehr, dass Krieg ist.“), bevor es für drei Wochen an die Front im Osten geht. Das Team ist zu viert, neben Pfaffenbach gehören ein Kollege von Reuters-TV, ein Dolmetscher und der Fahrer des gepanzerten Wagens dazu, begleitet werden sie von einem zweiten Wagen mit zwei Security-Jungs, wie Pfaffenbach die Männer mit Militärerfahrung nennt.
Angst habe er keine gehabt, aber Respekt vor der Situation. Das Team übernachtet in einer Unterkunft eine Stunde entfernt. Morgens um 7 Uhr geht’s Richtung Front. Einmal begleitet Pfaffenbach einen Intensivtransport mit verletzten Soldaten, an anderen Tagen sitzt er stundenlang im Schützengraben. „Da war es“, sagt er, „wie im Ersten Weltkrieg.“ Aber dann sei plötzlich eine Drohne über ihnen gekreist: der Krieg des 21. Jahrhunderts.
Seine Bilder zeigen eine zerstörte Schule in Tschassiw Jar unweit von Bachmut, einen Ostergottesdienst, der auf der Straße stattfinden muss, weil die Kirche zerstört ist, Soldaten mit Maschinengewehren in Schützengräben, verkohlte Bäume, einen Bunsenbrenner, um Wasser für Kaffee und Tee heiß zu machen. Zwischen den Schützengräben sind die Einschläge der Mörser-Granaten zu sehen. Immer wieder sei man ins Gespräch gekommen.

„Die Soldaten hatten großen Respekt vor uns Journalisten, davor, dass wir überhaupt zu ihnen gekommen sind“, erzählt der 52-Jährige. Keiner, den er getroffen habe, habe Pessimismus ausgestrahlt – im Gegenteil.
Die drei Wochen an der Front seien drei Wochen Adrenalin pur gewesen. „Man schläft fünf Stunden aus Erschöpfung, kommt aber nie wirklich zu Ruhe.“ Seit seiner Rückkehr träumt er jede Nacht, sieht manches Szenario noch mal, fühlt sich müde. Das Erlebte beschäftigt den Mann, der schon so viel gesehen und fotografiert hat. „Es war wie in einem Film“, sagt er.
Jetzt ist das nächste Reuters-Team vor Ort, um in Bild und Ton zu dokumentieren, was in der Ukraine geschieht. Für Kai Pfaffenbach stehen als nächstes DFB-Pokal und French Open auf dem Programm. Und es bleibt die Erkenntnis, dass es uns hier in Deutschland sehr gut geht. (Yvonne Backhaus-Arnold)