Landwirte rund um Hanau kämpfen nicht nur gegen die Dürre

Die Landwirte im Main-Kinzig-Kreis kämpfen nicht nur gegen die Trockenheit. Explodierende Preise, Lieferengpässe und Unflexibilität der Politik führen zu einer sehr schwierigen Situation, auf die der Kreisbauernverband jetzt hingewiesen hat. Es geht um Existenzen und die Nahrungsmittelversorgung.
Main-Kinzig-Kreis – Fohlen hüpfen über die Weide, es ist ein wunderbarer Hochsommermorgen auf der idyllisch gelegenen Staatsdomäne Rüdigheimer Hof, die Stefan Wittlich in dritter Generation bewirtschaftet. Doch dieses Wetter bereitet den rund 1300 Landwirten im Kreis ernsthafte Sorgen. Es ist aber nicht die seit Wochen anhaltende Dürre alleine. „Wir befinden uns in einem Zwiespalt zwischen Trockenheit, hohen Preisen und der Versorgungssicherheit für die Verbraucher“, sagt Mark Trageser, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Main-Kinzig (KBV), der zusammen mit einer Schar von Kollegen die Erntebilanz vorstellt.

„Wir sind mit dieser Ernte noch zufrieden“, sagt der Milchproduzent aus Linsengericht, um gleich hinterherzuschieben: „Unsere Befürchtungen waren weitaus schlimmer.“ Trageser legt den Finger in die Wunde. Er und seine Kollegen könnten nicht planen, weil die Politik nicht in die Gänge kommt.
„Wir haben im Kreis rund vier Prozent Brach- und Stilllegungsflächen. Auf zwei Prozent davon könnten wir aussäen – wenn wir dürften.“ Die Europäische Union erlaubt das angesichts des Kriegs in der Ukraine und der drohenden Nahrungsmittelknappheit. Nur hat die Bundesrepublik das noch nicht umgesetzt. Matthias Wacker aus Schöneck-Kilianstädten rechnet vor: „Das wären fast 500 Hektar Ackerland. Darauf könnten rund 3000 Tonnen Getreide produziert werden. Das entspricht einem großen Silo.“
Kreisbauernverband: „Die Politik weiß nicht, was sie will. Wir fühlen uns gefesselt“
KBV-Vorsitzender Trageser verdeutlicht die Problematik: „Wir befinden uns im Konflikt zwischen Ökologisierung und Nahrungsmittelproduktion. Die Politik weiß nicht, was sie will. Wir fühlen uns gefesselt.“ Denn die Zeit drängt, ein Bauer könne nicht von heute auf morgen entscheiden, auf mehreren Hektar Weizen auszusäen. Dazu muss zunächst Saatgut bestellt werden. „Wenn wir dürften und die Politik uns unterstützt, könnten wir deutlich mehr produzieren.“
Gleiches gelte angesichts der Energieknappheit bei der Biogasproduktion. Diese könnte auch im Kreis weitaus mehr leisten. Aber die Mengen sind begrenzt. Entschieden lehnt der Kreisbauernverband dagegen die Ausweitung von Photovoltaik-Anlagen ab. Das führe neben der Versiegelung von Anbauflächen zu einem weiteren Verlust von wertvollen Wiesen- und Ackerflächen.
Aber das sind nicht die einzigen Probleme, mit denen sich die Hofbesitzer derzeit herumschlagen müssen. „Die Preise explodieren“, sagt Jens Pleger, Regionalleiter der Raiffeisen Waren GmbH Südhessen. Zwar könnten die Landwirte derzeit weitaus höhere Preise für das Getreide erzielen, jedoch seien oft die Lieferverträge bereits abgeschlossen.
Auf der anderen Seite seinen die Preise für die Düngemittel exorbitant in die Höhe geschossen. „Von 17 Euro pro Tonne vor dem Ukraine-Krieg auf bis zu 80 Euro pro Tonne.“ Hinzu kämen Lieferengpässe bei zahlreichen Ersatzteilen.

Wie sehr die Krise der Weltwirtschaft im Kreis zu spüren ist, verdeutlicht Pleger an den Transportengpässen, die am Hanauer Hafen bestehen. Von dort werde normalerweise Getreide in die Niederlande oder nach Hamburg und Rostock verschifft. „Das ist derzeit kaum möglich, weil die Binnenschiffe Kohle für die Stromversorgung anliefern.“ Uns so würden die Transportkosten in astronomische Höhen steigen. So hoch, dass die Raiffeisen seit einem Vierteljahrhundert erstmals wieder auf die Bahn umgestiegen ist, um Getreide zu den Mühlen zu liefern.
Am Ende bleibt dann der Landwirt, der rechnen muss und wegen der zusätzlichen Agrarbürokratie „mehr am Computer als auf dem Traktor“ sitze. „Wir können kaum noch kalkulieren, denn selbst bei höheren Einnahmen müssen wir die Preise für Diesel und Dünger beachten“, sagt Trageser.
Die detaillierte Erntebilanz für dieses Jahr zeigt nach Angaben des KBV-Vorsitzenden sehr unterschiedliche Werte. Durch den Regen im Frühjahr sei die erste Heumahd auf dem Grünland, dem überwiegenden Teil der landwirtschaftlichen Fläche im Kreis, sehr gut gewesen (wir berichten). Auch bei der Wintergerste sowie beim Raps habe es einen überdurchschnittlichen Ertrag gegeben.
Ganz anders sieht es bei Weizen, Sommergerste und Zuckerrüben aus. „Hier fordert die Trockenheit ihren Tribut. An manchen stellen liegen die Ernteausfälle bei 50 Prozent“, berichtet Trageser. Im Durchschnitt produzierten vor allem die 300 hauptberuflich tätigen Bauern „rund ein Drittel weniger“ als der Durchschnitt: „Landwirtschaft ist eine riesige Herausforderung – und das wird wohl so bleiben.“
Von Thorsten Becker