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Kindermordprozess in Hanau: „Es hat mit Kleinigkeiten angefangen“

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Von: Julius Fastnacht

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Im Prozess um die beiden im Mai 2022 getöteten Kinder sagte gestern eine ehemalige Nachbarin der Familie vor dem Landgericht aus.
Im Prozess am Landgericht Hanau um die beiden im Mai 2022 getöteten Kinder sagt eine ehemalige Nachbarin der Familie aus. © Patrick Scheiber

Am Landgericht Hanau wird einem Mann vorgeworfen, seine Kinder getötet zu haben. Die langjährige Nachbarin der Familie berichtet von einer Spirale der Gewalt.

Hanau – Manchmal hat der Angeklagte sogar Fotos seiner Kinder auf Whatsapp präsentiert, erzählt sie. Am Tattag wird ihr beim Blick in sein Whatsapp-Profil plötzlich kein Profilbild mehr angezeigt, sondern nur noch ein schwarzer Kreis, den der Angeklagte gewählt hat. Die Handybilder, die Richter Dr. Mirko Schulte auf dem Monitor im Gerichtssaal in Hanau zeigt, gehören der langjährigen Nachbarin des Mannes, der beschuldigt wird, im Mai 2022 seinen elfjährigen Sohn und seine siebenjährige Tochter getötet zu haben.

Prozess in Hanau: Als die Kinder kommen, verändert sich der Angeklagte

Die junge Frau, lange Locken, weiß-blau gestreiftes Oberteil, sagt heute als Zeugin im Kindermordprozess am Landgericht Hanau aus: Vier bis fünf Jahre lang lebte sie im Kreis Offenbach in einem Haus mit dem mutmaßlichen Täter. Der wohnte in einem Zwei-Zimmer-Appartement im Obergeschoss, wo er zunächst mit seiner Frau einzog. Später kamen ihre beiden Kinder dazu, die das Ehepaar aus Indien nach Deutschland nachholt.

Die 25-jährige Nachbarin erzählt: „Nach außen war er höflich und nett.“ Was trotzdem auffällt: Wenn die Partnerin mal nicht da ist, wird der Angeklagte emotional und teilt seine Gefühle mit der Nachbarin und deren Mutter. „Immer, wenn seine Frau in Indien die Kinder besucht hat, war er traurig.“ Im Treppenhaus bricht er mehrmals in Tränen aus. Die junge Zeugin hat Mitleid, fragt, ob sie dem Nachbarn zum Trost etwas zu essen kochen könne. Doch als dessen Kinder 2021 endlich nach Deutschland ziehen, kommt es zum Bruch. „Er hat sich komplett verändert“, sagt die Zeugin. Aus der Wohnung über ihr dringen Trampeln, Schreie. „Es ist immer extremer geworden.“ Die Nachbarin bekommt mit, wie Töpfe fliegen.

„Mit Kleinigkeiten hat es angefangen. Die Mutter der Kinder ist zu mir gekommen, sie wollte, dass das Kindergeld künftig auf ihr Konto fließt.“ Ausgaben für die Schule, Lebensmittel für Sohn und Tochter - daran beteiligt sich der Mann laut seiner Ehefrau nämlich gar nicht. „Sie hat mir dann erzählt: Als er von dem Antrag gehört hat, hat er ihn einfach zerrissen.“

Zeugin muss bei Aussage im Hanauer Kindermordprozess weinen

Von seiner Frau fordert er, sich künftig nur noch um den Haushalt zu kümmern, berichtet die Zeugin. Immer öfter kommt es zu Zwischenfällen, die die Mutter der Kinder ihrer jungen Nachbarin anvertraut. Als sie sich einmal schminkt, um mit dem Sohn und der Tochter auf eine Feier zu gehen, wird der Ehemann wütend und schlägt zu.

Auch mit der neuen Gitarre zu spielen, verbietet er seinem Sohn; angeblich, weil ihn die Musik stört. „Dabei hat er selbst für den meisten Lärm gesorgt.“ Wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, soll er nur für sich gekocht haben, Mutter und Kinder blieben außen vor. „Er war eifersüchtig auf seine Kinder. Er wollte nicht, dass sie Spaß haben“, meint die Zeugin. Für sie ist die Mutter der Kinder, ihre Freundin, „eine starke, unabhängige Frau. Sie ist morgens um 4 Uhr aufgestanden, auf die Arbeit gegangen und war abends um 18 Uhr wieder zu Hause. Die Kinder haben am Bus auf sie gewartet.“

Beim Erzählen fängt die Zeugin, die einen Block mit Notizen mitgebracht hat, an zu weinen. Ende 2021 haben die Freundin mit den beiden Kindern plötzlich vor der Haustür gestanden. „Sie ist zu uns gekommen und hat gesagt, sie geht jetzt, sie hat eine neue Wohnung. Ihr Mann war auf der Arbeit, die Kinder hatten total Panik.“ Mit dem Taxi flieht die Frau nach Hanau, Spielzeug und Schmuck lässt sie im bisherigen Zuhause zurück.

Mutmaßlicher Täter zwingt Frau zur Rückkehr

Zu einem ungewollten Wiedersehen kommt es kurz vor Silvester. Der Angeklagte sucht seine Frau bei der Arbeit auf, das ergab der bisherige Prozessverlauf. Er droht mit Suizid, wenn sie nicht in die alte Wohnung zurückkehrt. Die Frau lässt sich darauf ein, doch schon am nächsten Tag kommt es zum erneuten Eklat.

Den erlebt die Nachbarin aus nächster Nähe. „Ich habe Schreie von oben gehört, die Kinder sind rausgerannt, sie waren barfuß. Er hat seine Frau angeschrien, geschlagen, gewürgt, hat sie mir erzählt.“ Diesmal kommt die Polizei, nimmt den Mann mit auf die Wache, aber nur für kurze Zeit.

Welchen Eindruck der Mann, der nur Monate später mutmaßlich zum Mörder wird, auf die Zeugin gemacht habe, als er in der Winternacht im Hausflur stand? „Ein bisschen aufgeregt war er, aber ruhig. Er stand da, als wäre nichts passiert.“ (von Julius Fastnacht)

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