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Molières „Tartuffe“ feiert Premiere bei den Brüder-Grimm-Festspielen in Hanau

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Von: Kerstin Biehl

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Wachrütteln möchte man Orgon (Christopher Krieg, rechts), so geblendet ist er von der scheinheiligen Demut des Betrügers Tartuffe (Dieter Gring).
Wachrütteln möchte man Orgon (Christopher Krieg, rechts), so geblendet ist er von der scheinheiligen Demut des Betrügers Tartuffe (Dieter Gring). © Patrick Scheiber

Wäre es 1664 tatsächlich beim Verbot von „Tartuffe“ geblieben, wäre den Festspielbesuchern, die am Samstagabend die Premiere der Molière-Komödie beiwohnten, ein großartiger Theaterabend entgangen. Denn so viel darf vorab verraten werden: diese Inszenierung ist sehenswert.

Hanau - Festspiel-Urgestein Dieter Gring in der Rolle des durchtriebenen Tartuffe, mit rotem, wallendem Haar, gewandet in Creme-Weiß, stellt, als er die lange Treppe der Amphitheaterbühne hinab schreitet, für sich schon eine Erscheinung dar. Sein kongenialer Bühnenpartner, der von ihm völlig verblendete Hausherr und Kaufmann Orgon (Christopher Krieg), der sich seiner Abhängigkeit von seinem neuen Hausfreund Tartuffe nicht bewusst ist, harmoniert auf der Bühne auf wunderbare Art mit diesem. Während Krieg – es ist sein zweites Engagement bei den Festspielen – brüllend, tobend und dabei wunderbar naiv Orgons Verzweiflung angesichts der Unterstellungen seiner Familie, Tartuffe sei ein Betrüger, mit jeder Pore ausstrahlt, hat Gring ebenso wenig Mühe, Tartuffes schleimig-schmeichelnde Scheinheiligkeit überzeugend darzustellen.

Gemeinsam mit Carolin Sophie Göbel, die die Zofe Dorine spielt, gehören sie zu den herausragenden Schauspielern des Abends. Göbels Bühnenpräsenz beeindruckt. Die Rolle der gewitzten Zofe, die ihren Herrn frech, scharfsinnig und herrlich hartnäckig („Jetzt atmen wir mal ganz tief durch“) vor dem Heuchler warnt, füllt sie gekonnt aus.

Regisseur Frank-Lorenz Engel hat dem Original ein modernes Kleid angezogen

Doch all die Warnungen, die Brandreden, helfen nicht. Orgon ist vom Guru Tartuffe geblendet. Regisseur Frank-Lorenz Engel hat dem Original von Jean-Baptiste Poquelin alias Molière ein modernes Kleid angezogen. Der Bösewicht tritt als durchtriebener Hochstapler auf, spirituell, mit Tablett und Handy. Sein Mantra: „Demut“. Es erklingt über den Abend hinweg immer wieder, wie eine Mahnung, aus den digitalen Geräten, wenn die Stimmung überreizt ist („Demut, Demut, Donnerwetter, Demut“).

Im 17. Jahrhundert waren es bei Molière die religiösen Strömungen, die der Dichter aufs Korn nahm. Engel transferiert die Handlung in die Jetztzeit. Es geht um Suche nach Halt bei zweifelhaften Leitfiguren, ausgelöst durch Druck und Verantwortung, die man gerne abgeben würde.

Geblendet vom Heil versprechenden Manipulator die einen („Das ist ein guter Mensch, den man als Vorbild sich nehmen muss“ und „Das Universum hat ihn hergesandt, Euch auf die rechte Bahn zu führen“), durchschauend die anderen: „Sein ganzes Tun ist Heuchelei“.

Tartuffe ist gewieft, erkennt die Sehnsüchte anderer oder weiß, wie man sie schürt und daraus seinen Vorteil zieht. Dabei umgibt ihn die Aura eines Meisters, bisweilen sogar etwas Göttliches. Orgon gibt sich dem bedingungslos hin. Stellt den Guru sogar über die Familie. Er verspricht Tartuffe nicht nur die Hand seiner – eigentlich einem anderen, nämlich Valère (Maximilian Gehrlinger) zugesagten – Tochter Mariane (Elena Berthold). Er enterbt auch seine Familie und überschreibt dem Blender sein ganzes Hab und Gut. Als Herr Loyal will ein gewohnt souverän-gefälliger Helmut Potthoff dieses eintreiben.

Doch der Rest der Familie, der die Verlogenheit des Gurus erkannt hat, hält zusammen, und stellt ihm eine Falle mit dem Ziel, Orgon die Augen zu öffnen und den Bösewicht Tartuffe ein für alle Mal loszuwerden.

Der nämlich ist verliebt in die Dame des Hauses, Elmire, Orgons Frau (Judith Jakob). Doch selbst davor verschließt der geblendete Orgon die Augen: „Er (Tartuffe) kümmert sich um alles, sogar um meine Frau, für die er sich besonders interessiert.“

Hanauer Darsteller haben Eine Menge Spaß an ihren Hauptrollen

Auf ein „Mir scheint, ihr seid von Sinnen“ seines Schwagers Cléante (Detelev Nyga) gibt er nichts. Auch dessen gut gemeinten Rat „Schenk niemandem allzu schnell Vertrauen. Ihr solltet lernen, wer ein Freund ist und ein Feind“ schlägt Orgon aus. Doch Tartuffe könnte seine Leidenschaft zu Elmire zum Verhängnis werden.

Dass sowohl Gring als auch Krieg eine Menge Spaß an ihren Hauptrollen haben, ist offensichtlich. Sie toben, sie kämpfen, sie ringen und intrigieren, innerlich – und meditieren, im Yogasitz über ihr Mantra „Demut“. Der eine blind vernarrt, der andere durchtrieben gut: „Alles bleibt geheim. Wer im verborgenen sündigt, sündigt nicht.“

Tartuffe kommt in der Festspiel-Inszenierung als Klassiker in modernem Gewand daher. Wer schwere Kost erwartet, ist fehl am Platz. Wer hingegen einen lustig-vergnüglichen Theaterabend mit viel Lachen sucht, der sollte sich Karten besorgen.

Weitere Vorstellungen bei den Hanauer Festspielen

Tartuffe“ kommt am Freitag, 26. Mai, und am Sonntag, 4. Juni, erneut zur Aufführung. Das Familienstück mit Musik „Hase und Igel“ feiert am Samstag, 3. Juni, Premiere. Die Premiere des Schauspiels „Hans im Glück“ findet am Samstag, 10. Juni, statt. In der Reihe „Junge Talente“ wird in der Ruine der Wallonisch-Niederländischen Kirche „Das kunstseidene Mädchen“ vom 14. bis 22. Juli aufgeführt. Das Musical „Aschenputtel“ ist bereits im Amphitheater zu sehen. Infos im Internet unter festspiele-hanau.de

(Von Kerstin Biehl)

Tartuffe (Dieter Gring) hat sich in die Dame des Hauses, Elmire, Orgons Frau (Judith Jakob), verguckt. Das, so der Plan, soll dem Betrüger letztlich zum Verhängnis werden und ihn seiner Missetaten überführen.
Tartuffe (Dieter Gring) hat sich in die Dame des Hauses, Elmire, Orgons Frau (Judith Jakob), verguckt. Das, so der Plan, soll dem Betrüger letztlich zum Verhängnis werden und ihn seiner Missetaten überführen. © Patrick Scheiber
Die Zofe Dorine (Carolin Sophie Göbel, Mitte) will den Liebenden – Mariane, Orgons Tochter (Elena Berthold) und Valère (Maximilian Gehrlinger) – deren Hochzeit in Gefahr ist, helfen.
Die Zofe Dorine (Carolin Sophie Göbel, Mitte) will den Liebenden – Mariane, Orgons Tochter (Elena Berthold) und Valère (Maximilian Gehrlinger) – deren Hochzeit in Gefahr ist, helfen. © Patrick Scheiber
Familie und Hausangestellte sind sich einig: Tartuffe hat in ihrem Haus nichts verloren. Aber wie den Hausherrn davon überzeugen?
Familie und Hausangestellte sind sich einig: Tartuffe hat in ihrem Haus nichts verloren. Aber wie den Hausherrn davon überzeugen? © Patrick Scheiber

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