1. Startseite
  2. Region
  3. Hanau

Pioneer Park: Warum Bauen im Bestand sinnvoller sein kann als ein Neubau

Erstellt:

Kommentare

Alte und neue Gebäude, zu einem Ganzen verwoben, zeichnen den Komplex Triangle Housing aus.
Alte und neue Gebäude, zu einem Ganzen verwoben, zeichnen den Komplex Triangle Housing aus. © Stadt Hanau

Eigentlich sollen in Deutschland jährlich rund 400 000 Wohnungen gebaut werden. An diesem ambitionierten Plan der Vorgängerregierung hält auch die Ampelregierung fest. Doch Bauland ist knapp und teuer. Vor diesem Hintergrund scheint Bauen im Bestand, also das Modernisieren und Bebauen von bereits vorhandenen Objekten, eine gute Alternative zu sein. Zumal Kosten am Rohbau durchaus geringer ausfallen können.

Hanau – „Wenn man davon ausgehen kann, dass eine geeignete Bausubstanz vorliegt, ist es nachhaltiger, einen Bestand zu sanieren, statt neu zu bauen“, sagt Martin Bieberle, Leiter des Fachbereichs Planen, Bauen und Umwelt bei der Stadt Hanau. Bieberle ist auch einer der zwei Geschäftsführer der LEG Hessen-Hanau GmbH, die den Pioneer Park entwickelt und sich dort für die Alternative zum Neubau, das Bauen im Bestand, entschieden hat. Aus gutem Grund: „Die Baukosten fallen bei einigen Bestandsgebäuden geringer aus, weil Rohstoffe und Energiebedarf eingespart werden können. Und auch recycelte Rohstoffe dämpfen die Kosten. Unser Ziel ist es ja, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.“ Nichtsdestotrotz gibt es bei alten Gebäuden auch Unwägbarkeiten. „Altlasten und Statik werden manchmal erst in der Bauphase sichtbar. Die Sanierung anderer Bestandsgebäude hingegen gestaltete sich deutlich aufwendiger als zunächst angenommen“, ergänzt der Stadtplaner.

Nicht so beim ehemaligen Kasino, das zurzeit kernsaniert und revitalisiert wird. Hier fielen die Kosten für Erdaushub, Abbruch und Entsorgung verhältnismäßig gering aus, weil „wir viele Steine, Wände und Decken, aber auch viel Beton und Stahl sowie Holz wiederverwenden konnten und nicht neu bestellen mussten“, erläutert Thomas Reimann, Vorstandsvorsitzender der ALEA AG. Das Bauunternehmen aus Frankfurt/Bad Vilbel wandelt derzeit das einstige Kasino in ein Wohnbauprojekt um – energetisch nach den Vorgaben der KfW55. Es entstehen 31 Wohnungen in unterschiedlichen Größen.

Wie nachhaltig Bauen im Bestand im Vergleich zum Neubau sein kann, zeigen die Lieferketten der Baubranche. „Baustoffe legen in der Regel lange Wege zurück. Die Branche bezieht Stahl überwiegend aus China, seitdem im Krieg ein großes Werk in der Ukraine zerstört wurde. Und auch Bauholz kommt von dorther, obwohl die Chinesen dieses bei uns in Deutschland einkaufen. Es wird nach China verschifft, wo es bearbeitet und anschließend wieder verkauft wird – auch an die deutsche Wirtschaft. In Zeiten, in denen wir über Ökologie und Ökonomie sprechen, eigentlich ein Wahnsinn“, sagt Reimann. Das nachhaltige Wiederverwenden von Baumaterial reduziere solche langen Lieferketten auf das Nötigste und sei ökologisch sinnvoller, weil es die Treibhausgase verringere, erläutert er.

Der Gebäudekomplex Triangle Housing im Süden des Pioneer Parks ist eine Mischung aus Alt und Neu. Hier wurden 17 alte Kasernengebäude saniert und zu Wohneinheiten umgebaut – ebenfalls energetisch nach KfW55-Standard. „Auf den freien Flächen zwischen diesen Gebäuden haben wir zwischen Juli 2019 und September 2021 143 neue Wohnungen errichtet, verteilt auf zehn Mehrfamilienblöcke“, berichtet Michael Fuchs, Geschäftsführer der Adolf Lupp GmbH & Co. KG in Nidda. Für die Neubauten fielen rund 10 000 Kubikmeter Aushub und Abfuhr sowie 3500 Kubikmeter Aushub mit Wiedereinbau an. Angesichts der nur noch wenigen offenen Deponien in Hessen ein Kostenfaktor, denn oft müssen die Bauunternehmen den Bauschutt in anderen (Bundes-)Ländern entsorgen. So gibt Reimann von ALEA beispielsweise an, dass sie den bei der Kasino-Sanierung anfallenden Bauschutt in Thüringen entsorgen mussten. Hundert Kilometer für eine Strecke und pro Lkw seien keine Seltenheit.

Alles in allem gab es in der Bauzeit des Triangle Housing keine wesentlichen Einschränkungen, außer „dass Eidechsen umgesiedelt werden mussten, was den Baubeginn etwas verzögerte“, erzählt Fuchs. Auch Lieferengpässe habe es keine gegeben, denn „die verwendeten Baustoffe haben wir über regionale und überregionale Baustoffhändler mit Sitz in Deutschland bezogen. Die Nachunternehmer kamen aus dem Frankfurter Umfeld. Größere Probleme bei der Beschaffung hatten wir zu den angegebenen Bauzeiten also nicht oder nur in einem Rahmen, der gut zu kompensieren war.“ Heute sehe die Lage allerdings schon angespannter aus.

Dass Bauen im Bestand ein zukunftsweisender Trend in der Baubranche werden könne, glaubt der LUPP-Geschäftsführer nicht. „Bisher hat unser Bauunternehmen in diesem Sektor noch sehr wenig Umsatzanteile.“ Da die Baupreise zurzeit aber sehr hoch seien, könnte sich das Blatt doch noch wenden. „Jedoch sind die Anforderungen an energetisches Bauen und Sanieren hoch und nicht in jedem Altbau umsetzbar, was wiederum für Neubau spricht“, wägt er ab.

Reimann bewertet die Sachlage anders: „Mit steigenden Rohstoffpreisen und folglich höheren Baukosten könnte sich Bauen im Bestand zu einem neuen Trend bei Investoren und somit in der Baubranche entwickeln. Das bedeutet aber auch, wie in Hanau geschehen, Mut zur Revitalisierung zu haben.“ Mit Corona und dem Beginn des Krieges in der Ukraine habe sich bei ALEA zumindest das Verhältnis gedreht. Waren es früher 80 Prozent Neubau und 20 Prozent Bauen im Bestand, seien es gegenwärtig 40 Prozent Neubau und 60 Prozent im Bestand. „Die kürzere Bauzeit sorgt in jedem Fall für mehr Sicherheit bei der Kostenkalkulation und nimmt die Angst etwas aus dem Markt“, ist sich Reimann sicher.

Die Umnutzung bestehender Gebäude könne erheblich zum klimafreundlichen Wohnungsbau beitragen, bekräftigte Jens Deutschendorf, Hessens Wirtschaftsstaatssekretär, Ende August während seines Besuchs der Baustelle des ehemaligen Pioneer-Kasinos. „Historische Bauten bieten eine besondere Atmosphäre und oftmals hohe handwerkliche Qualität. Ihr Umbau erfordert viel Sachverstand und hohe Fachkunde.“

Stadtrat Thomas Morlock wies auf den profunden Erfahrungsschatz der Stadt Hanau hin, Bauen im Bestand betreffend. Nicht nur weitläufige Militärflächen, sondern auch Gewerbebrachen seien neuen Nutzungen zugeführt worden. „Dabei galt und gilt es immer, die vorhandenen Bestandsgebäude, soweit es ihre Bausubstanz zulässt, nach zeitgemäßen Standards zu sanieren.“ Der Pioneer Park im Stadtteil Wolfgang sei ein herausragendes Beispiel dafür, wie Alt und Neu zu einem ansprechenden Gesamt-Ensemble entwickelt werden können.

Von Gabriele Reinartz

Kasino-Baustelle: Neues Bauholz und Schallträger, letztere können wiederverwendet werden.
Kasino-Baustelle: Neues Bauholz und Schallträger, letztere können wiederverwendet werden. © ALEA AG

Auch interessant

Kommentare