Polizisten in Hanau angefahren: Drastische Strafe für „Joe“

Hanau – Für den 25-jährigen Joseph W., Spitzname „Joe“, wird die Luft langsam dünn. Das sagt der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer am Freitag klipp und klar – und blickt dabei den jungen Nidderauer an: „Sie sind ganz nahe an der Sicherungsverwahrung – alle formalen Voraussetzungen sind dafür geschaffen“, so Landgerichtsvizepräsident Dr. Mirko Schulte, der soeben das Urteil verkündet hat. Für W. ist es bereits die zwölfte Verurteilung.
Für vier Jahre und acht Monate muss er ins Gefängnis, Maßregelvollzug inklusive. Erst im Januar vergangenen Jahres hatte er drei Jahre und neun Monate „gefangen“, weil er in Nidderau einen säumigen „Kunden“ aus dem örtlichen Drogenmilieu angefahren hatte. Der Rest dieser Strafe kommt jetzt oben drauf.
„Joe“, bei der Polizei im Altkreis Hanau als „Mehrfachintensivtäter“ bekannt, dürfte sobald nicht mehr in Freiheit sein. Wenn doch, dann sollte er ein möglichst straffreies Leben führen. Ohne Cannabis, ohne illegalen Drogenhandel. Denn sonst droht ihm die Sicherungsverwahrung. Die höchste Strafe, die unbegrenzt ist und damit sogar die „lebenslange Haft“ übersteigen könnte.
Schulte bringt es gleich nach dem Tenor des Urteils auf den Punkt. „Es war eine spektakuläre Flucht aus dem Maßregelvollzug – und sie endet dort auch wieder. Dort gehört der Angeklagte auch hin.“ In die Drogentherapie. Denn „Joe“ hatte nur zwei Monate in der forensischen Klinik in Bad Emstal bei Kassel „eingesessen“. Ende April vergangenen Jahres gelingt ihm zusammen mit einem Mithäftling die spektakuläre Flucht. Die beiden Männer überwinden sogar eine mit Stacheldraht gesäumte Mauerkrone, bedrohen zwei Wachleute und suchen das Weite. Ein ausgeklügelter Plan steckt dahinter. Denn zwei weitere Komplizen sind nach Nordhessen gefahren, haben ein Fluchtauto bereitgestellt.
Für „Joe“ bleibt diese Flucht ohne Folgen, denn die ist generell straffrei. Doch die Flucht vor der Polizei, die den 25-Jährigen wieder ergreifen will, bringt ihm nun weitere Zeit hinter Gittern ein. Denn vor fast einem Jahr, am 5. Mai 2021, entdecken Zielfahnder „Joe“, als er in einer Luxuslimousine durch das Lamboygebiet fährt. Wenig später bietet sich offenbar die Gelegenheit, als der Geflüchtete von der Akademiestraße in die Engelhardtstraße einbiegt – es ist die Sackgasse.
Richter: „Das hätte tödlich enden können“
Dort umstellen fünf bewaffnete Fahnder den Wagen. Doch „Joe“ ist nach Ansicht der Richter „besonders kaltschnäuzig“ vorgegangen. Er schiebt sich den Weg frei. Zwei Beamte werden leicht verletzt, zwei weitere müssen zur Seite springen, damit sie nicht auf der Motorhaube landen. Die Fahnder geben schließlich einen Schuss auf den Reifen ab – doch „Joe“ türmt und rast schließlich davon. Dabei hinterlässt er an den demolierten Polizeiautos und Wagen der Anwohner einen Schaden von rund 40 000 Euro. Wenige Tage später nimmt ihn ein Spezialkommando in Maintal fest (wir berichteten).
„Das hätte tödlich enden können, – allerdings für Sie, Herr W.“, betont der Vorsitzende und lobt die „Besonnenheit“, mit der die Fahnder an diesem Tag vorgegangen seien.
Dennoch sieht das Schwurgericht keinen versuchten Totschlag in diesem Geschehen. Ohnehin hatte die Staatsanwaltschaft diesen Vorwurf zuvor fallen gelassen. „Joe“ wird wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Widerstands sowie tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger Körperverletzung sowie Sachbeschädigung verurteilt. Dass er keinen Führerschein besitzt, fällt nicht ins Gewicht. Auch die zusätzliche, drei Jahre andauernde Führerscheinsperre dürfte „Joe“ kaum stören, denn in dieser Zeitspanne wird er wohl kaum am Steuer eines Wagens anzutreffen sein.
Schulte verwies darauf, dass die kriminelle Karriere von „Joe“ strafschärfend bewertet wird, denn bereits als 15-Jähriger hatte er schon zwei Wochen Jugendarrest verbüßen müssen. Und er nannte auch die Ursache des Problems: „Wenn Sie Drogen nehmen, sind Sie erheblich gefährlich.“ Die Kammer blieb beim Strafmaß unter der Forderung von Staatsanwalt Florian Hübner, der sechseinhalb Jahre Haft gefordert hatte. Verteidiger Michael Euler hatte viereinhalb Jahre beantragt. Von Thorsten Becker