Mit sehr viel Liebe zum Detail

Hanau - (did) Wie sah die Hanauer Altstadt aus vor ihrer Zerstörung im Flammeninferno der Bomben des 19. März 1945? Eindrucksvolle Antwort auf diese Frage gibt das Altstadtmodell von Glasermeister Günter Jacob.
Seit mehr als einem Jahrzehnt baut er an der Rekonstruktion im Kleinformat, und lässt so das alte Hanau ein Stück weit wieder auferstehen.
Nun hatte er eingeladen in „sein Reich“: Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky und diejenigen, die sich quasi auch vom Vereinsamt wegen mit der städtischen Geschichte beschäftigen, die Frauen und Männer der Turngemeinde Hanau, die vor dem großen Vereinsjubiläum stehen. Es kamen unter anderem TGH-Präsident Dr. Robert Oestreich mit Mitgliedern des geschäftsführenden Vorstandes – dabei auch Klaus Jacob, Sohn des Modellbauers - und vom Förderverein zum TGH-Jubiläum die Präsidentin und frühere Oberbürgermeisterin Margret Härtel sowie weitere Mitglieder wie etwa Dietrich Arlt.
Sie alle kamen aus dem Staunen nicht heraus. „Mein lieber Schwan…“ war die spontane Reaktion von OB Kaminsky, als er das Modell in Augenschein nahm. Manche kannten es noch aus der Zeit des Altstadtjubiläums, damals wurde es ausgestellt im Deutschen Goldschmiedehaus und in Schloss Philippsruhe.
13 Jahre Arbeit schon in die Rekonstruktion investiert
Es hatte seinerzeit eine Größe von „nur“ 1,35 Meter auf 1,35 Meter und war gleichwohl schon sehr beeindruckend. Mittlerweile misst das Modell der Hanauer Altstadt 4,10 Meter auf 3,30 Meter und ist damit zu rund vier Fünftel fertiggestellt. „Noch habe ich ein bisschen zu tun“, lächelt Erbauer Günter Jacob, der sich immerhin schon 13 Jahre lang mit der Rekonstruktion der Hanauer Altstadt beschäftigt. Seither hat er nach eigenen Angaben rund 6 000 Arbeitsstunden und natürlich jede Menge Herzblut in diese Arbeit investiert.
Kaminsky, der beim Blick auf das Altstadt-Modell erneut betonte, wie wichtig Geschichtsbewusstsein ist und wie viel Lokalhistorie mit Gegenwart und Zukunft zu tun hat, auch weil sie erheblich die Identität einer Kommune prägt – sprach Günter Jacob Lob und Dank im Namen aller aus: „Es ist schier unglaublich, was Sie geleistet haben. Bei einem solchen Werk gehen die Superlative aus…“
Das Modell zeigt die Hanauer Altstadt wie sie 1934 bis ’45 aussah. Als die Bomben fielen lebte Günter Jacob mitten in der Altstadt und war 12 Jahre jung. Wenn er heute erzählt, wird die Geschichte wieder lebendig – ohne die Vergangenheit zu verklären, denn auch Baufälligkeit und Armut werden nicht verschwiegen.
Und er vergisst auch nicht drei Menschen zu danken, ohne die seine Arbeit nicht möglich wäre: Historiker Dr. Heinrich Bott, sowie „die zwei von der Bildstelle“: Franz Weber und Elisabeth Schmincke.
Erstaunlich ist die enorme Detailarbeit, die Jacob leistet. So musste er allein für das ehemalige Stadtschloss 1288 winzige Fensterchen ausschneiden und einbauen. Häufig ist Improvisation gefragt, Teile vom Modelleisenbahn-Zubehör wurden ebenso verbaut wie Pailletten von einem Karnevalskostüm.

Günter Jacob faszinierte seine Besucherinnen und Besucher auch mit den Alltagsgeschichten, zum Beispiel dem Kinderspiel in der Altstadt: „Wir führten ein richtiges Kinderleben, dessen Spiele bestimmt seit Generationen die gleichen waren. Die Mädchen hatten ihre Ballspiele an der Kirchenwand, die ‚Probe‘ genannt wurden und viel Geschicklichkeit erforderten. Versteckspiel wurde von Mädchen und Buben gleichermaßen gespielt. Verstecke fand man bis in den hintersten Winkeln in den alten Häusern, ja bis auf die Dächer. Wenn wir einmal die Nase voll hatten vom Fußballspiel, dann nahmen wir alte Spazierstöcke und spielten vor der Kirche Hockey. Entlang der alten Stadtmauer wurde dem Pfeilspiel gefrönt und mit Klickern gespielt. Wenn man welche hatte, konnte man auf dem Altstädter Markt wegen der Asphaltdecke auch Rollschuh laufen.“
Dass der Krieg jedoch auch beim Kinderspiel allgegenwärtig war, belegt eine Szene die Günter Jacob danach beschrieb. „Wir staunten, als es eines Tages bei Sonnenschein plötzlich zu regnen anfing. Das Rätsel war schnell gelöst. Die vor dem Goldschmiedehaus und hinter der Marienkirche aufgestellten Löschtürme waren von der Feuerwehr ausprobiert worden. Sie sollten die historischen Gebäude vor einem Brand schützen. Das Inferno des 19. März 1945 machte aber auch solcherart Vorsorge zunichte.“
Mithilfe von Hanauer Bürgerinnen und Bürgern erbeten
Die Lobeshymnen der Gäste über seine Arbeit waren ihm am Ende fast schon zuviel. Da nutzte er lieber die Gunst der Stunde und bat Vereinsvertreter sowie städtische Gäste um Hilfe: Er hofft noch auf weitere Unterlagen und Fotos, zum Beispiel aus Nachlässen. „Bilder von Familienfeiern, die einst in den Höfen und Straßen der Altstadt gefeiert wurden, helfen mir bei vielen Fragen“.
So hoffen nicht nur Margret Härtel und Claus Kaminsky, dass möglichst viele Hanauerinnen und Hanauer „ihre Familienschätze in Fotoalben und auf Dachböden nicht verschwinden lassen, sondern sie zur Aufarbeitung der Lokalhistorie weitergeben“ und sich an Günter Jacob wenden.