Schluss nach 144 Jahren

Der Spessart-Touristen-Verein überdauerte zwei Weltkriege und eine Pandemie. Nun löst er sich mangels neuer Mitglieder auf.
Hanau – Nach über 140 Jahren kommt für einen Traditionsverein in der Brüder-Grimm-Stadt das Aus: Der Spessart-Touristen-Verein 1879 Hanau wird zum Ende dieses Jahres aufgelöst. Die Gründe sind die gleichen, die so vielen Vereinen zu schaffen machen: die Mitgliederzahl geht zurück, der Altersdurchschnitt steigt.
57 Mitglieder zähle der Verein aktuell, wie der langjährige Vorsitzende Günter Peter schreibt, bei einem Altersdurchschnitt von 77 Jahren. Weniger als die Hälfte davon sei noch aktiv beim Wandern dabei. Neue Interessenten, die dem Verein beitreten wollen, kämen nur selten dazu.
Das mag überraschen, schließlich liegt Wandern gemeinhin im Trend – mit einem entscheidenden Aspekt, wie Günter Peter im Gespräch mit unserer Zeitung deutlich macht: „Wandern ist in, aber nicht im Verein.“ Nüchtern, und vielleicht auch realistisch, sieht er die Zukunft des „analogen“ Wanderns: Die Wegemarkierungen, um die sich der Verein in seinem Zuständigkeitsgebiet im Auftrag des Spessartbundes kümmert, würden nicht mehr gebraucht und verschwinden. „Es wird auch keine Wanderkarten mehr geben“, ist sich der Vereinsvorsitzende sicher.
Die satellitengesteuerte Orientierung per GPS beziehungsweise Smartphone wiederum sei den meisten älteren Wanderern nicht vermittelbar. Für die Markierungen der Wege, insgesamt 34 Kilometer, sorgen derzeit noch Günter Peter und seine Frau.
Bereits seit 1980 steht er dem Spessart-Touristen-Verein vor, doch für den Vorstand fänden sich keine Kandidaten mehr. Eine Zusammenlegung mit anderen Wandervereinen sei nicht zustande gekommen, weshalb nur die Alternative geblieben sei, den Verein zum 31. Dezember 2023 aufzulösen. So wurde es dann auch bei der Jahreshauptversammlung Anfang Februar einstimmig entschieden.
So sachlich Günter Peter das Ende seines Vereins auch beschreibt – kommen sehen hat er das freilich nicht. „Wenn mir einer 2004 bei der Feier zum 125-jährigen Bestehen gesagt hätte, dass ich fast 20 Jahre später den Laden zumache, den hätte ich ausgelacht.“ Die Wanderschuhe werden aber nicht an den Nagel gehängt: Der harte Kern von etwa 20 Mitgliedern, der auch derzeit noch dabei sei, will sich auch 2024 regelmäßig treffen, nur eben „nicht mehr unter dem Dach des Vereins“, wie Peter erläutert.
Der Verein war im späten 19. Jahrhundert gegründet worden, um die Wirtschaft der Region anzukurbeln. Denn im Spessart war aufgrund von Arbeitslosigkeit und Missernten die Not groß. Doch wie andernorts in Deutschland auch kam ein neues Phänomen auf: Der Tourismus entwickelte sich zu einem neuen Wirtschaftszweig. Er sollte Besucher, und mit ihnen Geld, auch in den Spessart locken. 1891 zählte der Spessart-Touristen-Verein 100 Mitglieder, wie Günter Peter schreibt. Alles Männer, denn Frauen durften erst seit 1920 Mitglieder werden.
Die beiden Weltkriege schränkten die Vereinsaktivitäten ein, beim verheerenden Luftangriff auf Hanau am 19. März 1945 wurde das Vereinsarchiv vollständig vernichtet. Auch die vom Verein errichteten Gebäude Hahnenkammhaus und Buchberghaus fielen Bomben zum Opfer.
Einen Neuanfang gab es erst 1949 wieder, mit 24 Mitgliedern. Von 1975 bis 2010 fanden jährliche Wanderwochen in Deutschland und Österreich statt, darüber hinaus wurden von 1976 bis 1998 Wochenendwanderungen angeboten, die bis ins Elsass führten. In den Achtzigerjahren stieg die Zahl der Mitglieder auf 129.
„Auch wenn es wehtut, eine solch lange Tradition zu beenden, bleibt keine andere Lösung“, schreibt Günter Peter. Alle erhaltenen Wanderpläne, Urkunden, Abzeichen, Fahnen und mehr werden beziehungsweise wurden bereits dem Hanauer Stadtarchiv übergeben. Der Vereinsvorsitzende schließt mit einem Wunsch: „Für hoffentlich viele Jahre wird eine Hainbuche im Bürgerwäldchen an den Verein erinnern.“ (von David Scheck)