Staatsanwaltschaft prüft Ullmanns Aussage: „Baffes Erstaunen“ bei der Polizei

Die Aussagen von Landespolizeipräsident Roland Ullmann vor dem Hanau-Untersuchungsausschuss sorgen für Aufruhr. Die Staatsanwaltschaft leitet ein Prüfverfahren ein.
Hanau/Wiesbaden – Die Aussagen des Landespolizeipräsidenten Roland Ullmann vor dem Hanau-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zum Personalengpass sowie dem Notruf-Chaos auf der Polizeistation am Freiheitsplatz beschäftigen erneut die Hanauer Staatsanwaltschaft. Auf Anfrage berichtete Staatsanwalt Markus Jung. Pressesprecher der Anklagebehörde, bereits am Montag (25. Juli) ein juristisches Prüfverfahren eingeleitet wurde. Dabei sollen die Aussagen von Ullmann vor dem Ausschuss unter die Lupe genommen werden. Der frühere Präsident des Polizeipräsidiums Südosthessen hatte ausgesagt, die Notruf-Probleme nicht gekannt zu haben.
Stimmt das, was Landespolizeipräsident Roland Ullmann vor dem Hanau-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zum Notruf-Chaos ausgesagt hat? Oder stimmt es nicht? Denn auf die Frage, ob er von den personellen Engpässen und der veralteten Notruftechnik gewusst habe, hatte der ranghöchste Polizist des Landes geantwortet: „Arbeitsbelastung ja, Notruf nein.“
Terror in Hanau: Aussagen von Ullmann sorgen bei der Polizei für „baffes Erstaunen“
Diese und andere Aussagen zum Zustand der Wache am Hanauer Freiheitsplatz vor sowie in der Nacht der rassistisch motivierten Morde vom 19. Februar 2020 sorgen innerhalb des Polizeipräsidiums Südosthessen für „baffes Erstaunen“. Mehrere Insider bezeichneten die Aussage von Ullmann, er habe davon nichts gewusst, als „unglaublich“ oder „weltfremd“. Vonseiten der Politik kommen bereits erste Forderungen nach einem Rücktritt des Landespolizeipräsidenten, so von Saadet Sönmez, der Obfrau der Fraktion Die Linke im U-Ausschuss.
Schlimmstenfalls könnten auf Ullmann jetzt noch juristische Probleme zukommen. Denn nicht nur auf dem Zeugenstuhl vor Gericht, sondern auch vor Ausschüssen eines Verfassungsorgans wie dem Hessischen Landtag besteht die gesetzliche Verpflichtung, die Wahrheit zu sagen. Sonst könnte der Verdacht aufkommen, es habe sich um eine uneidliche Falschaussage (Paragraf 153 Strafgesetzbuch) gehandelt. Diese wird nach dem Gesetz mit drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet.
Sprecher der Hanauer Staatsanwaltschaft: Unterlagen werden ausgewertet
„Die Staatsanwaltschaft Hanau hat bereits am Montag ein Prüfverfahren eingeleitet“, berichtet Markus Jung, Pressesprecher der Hanauer Staatsanwaltschaft, auf Anfrage unserer Zeitung. Weiter erklärt Jung zum weiteren Vorgehen: „Im Rahmen dieses Verfahrens werden die hier vorliegenden Unterlagen ausgewertet, bevor es gegebenenfalls zu einer Abgabe des Verfahrens an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft Wiesbaden kommt.“
Nach Dokumenten, die dieser Zeitung vorliegen, scheint Ullmann von den Problemen rund um den Hanauer Notruf gewusst zu haben, denn er selbst hat während seiner Amtszeiten als Vize- sowie Polizeipräsident von Südosthessen seit 2008 mindestens zwei interne Schreiben verfasst, die sich mit dieser Thematik beschäftigen. Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob es überhaupt einen Anfangsverdacht der uneidlichen Falschaussage gibt. Für Ullmann selbst gilt die Unschuldsvermutung.
Entscheidend wird wohl sein, welchen Wortlaut die Aussage des Landespolizeipräsidenten vor dem U-Ausschuss hat. Dann könnte es sein, dass die Staatsanwaltschaft ein sehr umfangreiches Dokument anfordert: das Wortprotokoll aus dem Ausschuss. „Die Aussagen werden bei uns wörtlich protokolliert“, bestätigt Marius Weiß (SPD), der Vorsitzende des Hanau-Untersuchungsausschusses, im Gespräch mit unserer Zeitung.
Vorsitzender des U-Ausschusses: „Ich habe Herrn Ullmann belehrt“
Er wolle die Aussage zunächst nicht bewerten. „Ich habe Herrn Ullmann – wie alle anderen Zeugen auch – darüber belehrt, dass er die Wahrheit zu sagen hat“, stellt Weiß fest und sagt: „Wenn es falsche Aussagen gegeben haben sollte, dann wäre das ein Offizialdelikt.“ Im Klartext: Die Staatsanwaltschaft muss aktiv werden. Ob es eine erneute Vorladung von Ulmann gebe, sei Sache der Fraktionen, so der Ausschussvorsitzende
Jörg-Uwe Hahn, ehemaliger hessischer Justizminister und Obmann der Fraktion der Freien Demokraten im Untersuchungsausschuss zum rassistisch motivierten Anschlag von Hanau, erneuerte gestern im Gespräch mit unserer Zeitung die Kritik an Ullmann, die er bereits während der laufenden Sitzung geäußert hatte, möchte sich zu einer möglichen Lüge aber nicht äußern. „Zu kritisieren sind nicht die einzelnen Polizistinnen und Polizisten, die eine gute Arbeit geleistet haben. Zu kritisieren ist die schlechte personelle und technische Ausstattung. Denn klar ist: Ein Notruf muss immer funktionieren.“
Als Präsident des Polizeipräsidiums Südosthessen hätte Ullmann die Problematik des nicht vorhandenen Notrufüberlaufs in Hanau kennen und handeln müssen. Dafür, dass dies nicht geschehen sei, trage der heutige Landespolizeipräsident die Verantwortung, betont Hahn. Es gelte daher, das Thema Notruf trotz Sommerpause mit dem zuständigen Innenminister zu thematisieren. (Thorsten Becker Und Yvonne Backhaus-Arnold)