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Verein Menschen in Hanau will Barrieren einreißen

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Der Verein Menschen in Hanau engagiert sich dafür, Barrieren für Behinderte und Personen aus anderen Kulturkreisen einzureißen.
Der Verein Menschen in Hanau engagiert sich dafür, Barrieren für Behinderte und Personen aus anderen Kulturkreisen einzureißen. © Detlef Sundermann

Das Checker-Team von Menschen in Hanau will auf Probleme für Menschen mit Behinderung hinweisen. Damit niemand aus dem Alltag ausgeschlossen wird.

Hanau – Heute schon am Glascontainer gewesen und leere Flaschen entsorgt? Ist ja keine große Sache, Leergut schwups in die Öffnung einwerfen, erledigt. Nicht jedoch für Menschen die kleinwüchsig sind oder im Rollstuhl sitzen. Für sie kann dieser alltägliche Vorgang zu einer Herausforderung, zu einem Ausschlusskriterium werden, integriert und selbstständig in der Gesellschaft zu leben.

Dem will der seit August 2020 bestehende Verein Menschen in Hanau entgegenwirken, der aus der gleichnamigen, 2015 gebildeten Initiative hervorgegangen ist. Das Checker-Team im Verein nimmt hierbei eine investigative Funktion ein. Betroffene und Nichtbetroffene betrachten das Lebensumfeld auf mögliche Hemmnisse.

„Unser Kalender ist voll. Sobald das Wetter wieder besser wird, sind wir aktiv“, sagt Sylvie Janka, Koordinatorin von Menschen in Hanau. Derweil wird via Internetkonferenz „Zoom“ weiterhin der Checker-Stammtisch gehalten, nicht zur alleinigen Kontaktpflege. Projekte und Aktivitäten müssen vorankommen, etwa in diesem Jahr das Parken auf Gehwegen an die Öffentlichkeit zu bringen.

Menschen in Hanau: Modellversuch der Stadt mit unterirdischen Glascontainern

Bereits im vergangenen Jahr sei mit der Stadt über das Ärgernis gesprochen worden, das auch Eltern mit Kinderwagen oder Kinder auf dem Fahrrad betreffe, sagt Janka. Bei der Aktion wird Autofahrern, die mit ihrem Vehikel den Fußgängern den Gehweg rauben, ein Zettel mit Hinweis auf ihr Verhalten an den Scheibenwischer gesteckt. Unter dem Hashtag #PlatzfuerAlle können Orte mit häufigen Gehwegparkern dem Verein gemeldet werden, um mit der Stadt an diesen Stellen eine dauerhafte Lösung zu finden.

So verhält es sich auch mit einem anderen, aber ähnlichen Projekt. Mit dem soll Nichtbetroffenen bewusst gemacht werden, dass Menschen mit Sehbehinderung oft irgendetwas im Weg steht, genauer auf dem weißen Leitstreifen mit seinen bleistifttiefen Rillen, den Betroffene mit ihrem Stock ertasten – mal ist es ein abgestelltes Velo, mal eine Mülltonne.

Nicht selten nehmen die Checker Anregungen auf, etwa bei der Angelegenheit mit den Glascontainer nach einer Neuausschreibung für einen Entsorger. „Die Stadt kann nichts dafür, dass die Container so gestaltet sind“, sagt Marianne Unte, die selbst Rolli-Nutzerin ist. Bei der Recherche zu barrierefreien Containern habe sich in einer WhatsApp-Gruppe der Hinweis ergeben, dass sich in der Nähe des Kinopolis neuerdings ein unterirdischer Sammler befindet. Ein Modellversuch der Stadt, wie herauskam. Bei Erfolg soll der an anderen Orten in Hanau eine Fortsetzung finden. Für Unte, die in Rodenbach wohnt, ist das wenig Trost. Weil es in ihrem Ort für sie keinen leicht zugänglichen Container gibt, entsorgt sie ihr Altglas in der Nachbargemeinde Erlensee.

Das Checker-Team in Hanau sucht weitere Mitstreiter

Die rund zehn Checker, die gern noch weitere Mitstreiter aufnehmen, machen den Weg frei, damit wirkliche Teilhabe möglich ist. „Hanau ist nach dem Umbau zum Ausgehen so attraktiv geworden, dass wir nun auch die Möglichkeiten nutzen möchten“, sagt Kirsten Renner vom Checker-Team. Und, „je mehr Behinderte draußen am Leben teilnehmen, desto mehr gewöhnt man sich aneinander“, bemerkt die Rollstuhlfahrerin. Um dies zu vereinfachen, organisiert der Verein ebenso Ausflüge. Hierzu ist nunmehr ein Projekt mit dem ADFC und finanzieller Unterstützung von der Stadt sowie der Firma Evonik gestartet worden. Ein modernes Tandem wurde jetzt angeschafft, damit Seheingeschränkte bei Radtouren mitkönnen. Der Doppelsitzer mit E-Antrieb bietet zudem die Option, als Lastenrad zu fungieren, sagt Checker Peter Alt, der als ADFC-Vorstandsmitglied das Vorhaben initiierte. Es geht dem Verein nicht allein um Teilhabe bei Beruf und Freizeit. Im vergangenen Juni war es daher selbstverständlich, an der Sternfahrt nach Hanau teilzunehmen, um den Ermordeten der rassistischen Tat vom 19. Februar 2020 zu gedenken. Da wurde nicht davor gescheut, im zum Handbike umfunktionierten Rollstuhl bei sommerlichen Temperaturen 14 Kilometer von Rodenbach zum Hanauer Freiheitsplatz zu fahren. „Auch wir wollten damit den Hinterbliebenen der Opfer unsere Anteilnahme an ihrem Leid ausdrücken“, sagt Unte.

Größere Präsenz durch Paralympics: Situation für Menschen mit Behinderung wird akzeptabel

Menschen in Hanau betrachtet sich als Zusammenkunft für alle, auch um kulturelle und sprachliche Barrieren einzureißen. Es engagieren sich Menschen verschiedener Wurzeln. Vorstandsmitglied Daniel Neß verschlug es etwa vor Jahren aus dem Norden nach Hanau. „Ich suchte auch hier ein ehrenamtliches Engagement“, sagt er. Auch wenn er selbst nicht behindert ist, müsse etwas getan werden, dass alle Menschen an der Gesellschaft teilhaben können. „Jeder kann von einem auf den anderen Tag zum Behinderten werden“, sagt er.

Die 70 Jahre alte Marianne Unte weiß das. In ihren Kindertagen gab es noch keine Impfung gegen Poliomyelitis. Die Kinderlähmung zwingt sie seit 40 Jahren, im Rollstuhl zu sitzen. Ob sich die Wahrnehmung durch „Normalos“ mit der größeren Präsenz etwa der Paralympics erhöht habe? „Die breite Berichterstattung und deren interessierte Aufnahme hat im vergangenen Jahrzehnt die Situation deutlich verbessert“, sagt Unte. „Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, den man akzeptieren kann“, bemerkt sie.

Wie bunt ist Hanau?: Alle bisherigen Teile unserer Serie „Wie bunt ist Hanau?“ sind nachzulesen im Internet unter hanauer.de.

(Von Detlef Sundermann)

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