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Warum sich Hanau mit der Standortsuche so schwer tut

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Von: Christian Spindler

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Fotos der Ermordeten sind an der Gedenkstätte am Kurt-Schumacher-Platz angebracht.
Fotos der Ermordeten sind an der Gedenkstätte am Kurt-Schumacher-Platz angebracht. © Patrick Scheiber

Hanau tut sich schwer. Und es ist damit nicht allein. Auch in anderen Städten war die Diskussion um ein Mahnmal für Opfer rassistischer Anschläge langwierig, mitunter kontrovers. In Köln etwa wurde erst 18 Jahre nach dem Nagelbombenanschlag des NSU von 2004 die Standortfrage für ein Mahnmal geklärt. In der Brüder-Grimm-Stadt ist vor dem dritten Jahrestag des 19. Februar 2020 diese Frage der Kern der hiesigen Mahnmal-Diskussion: Wo soll das Denkmal aufgestellt werden? Die Debatte darüber steckt fest. Und das schon seit geraumer Zeit.

Hanau - Unmittelbar nach dem rassistisch motivierten Anschlag wurde neben den beiden Tatorten am Heumarkt und am Kurt-Schumacher-Platz das Brüder-Grimm-Denkmal auf dem Marktplatz zum zentralen Ort der Trauer, des Entsetzens, des Mahnens: Menschen legten auch dort unzählige Blumen nieder, entzündeten Kerzen, stellten Fotos der neun Ermordeten auf.

Einigkeit bestand schon damals, dass es statt dieses „Provisoriums“ ein eigenständiges Mahnmal für die Opfer geben soll. Schon wenige Monate nach der Tat wurde ein Wettbewerb zur Gestaltung eines solchen Mahnmals ausgeschrieben. „Wir wollen jetzt mit Künstlerinnen und Künstlern, mit Menschen, die Ideen haben, die kreativ sind, überlegen, in welcher Form und an welchem Ort wir dauerhaft das Erinnern an die Opfer, an die Tat sicherstellen können“, sagte Oberbürgermeister Claus Kaminsky damals.

Einigkeit bei der Gestaltung, Differenzen beim Standorrt

Schnell zeichnete sich ab, dass es weniger wegen der Gestaltung des Mahnmals als vielmehr wegen der Standortfrage Differenzen geben würde.

Fast 120 Vorschläge von Künstlerinnen und Künstlern wurden eingereicht. Ein Fachbeirat und eine Jury der Angehörigen wählten fünf der Vorschläge aus. Die entsprechenden Künstler fertigten dazu Modelle an, die 2021 in Ausstellungen präsentiert wurden und seitdem auch im Internet zu sehen sind. Ob Entscheidungen von Jury und Fachbeirat, ob Voten bei der Bürgerbeteiligung oder aus der Politik: Die Vorstellungen darüber, welcher Entwurf realisiert werden soll, fielen einmütig aus und wurden im Mai vorigen Jahres durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung bekräftigt: Der Entwurf von Heiko Hünnerkopf soll realisiert werden. Das Konzept des in Wertheim lebenden Künstlers sieht unter dem Titel „Einschnitt“ ein aus Stahl gearbeitetes, 4,60 Meter hohes Halbrund mit den Namen der Anschlagsopfer vor.

So groß die Einmütigkeit in der Gestaltungsfrage ist, so groß sind die Differenzen in Sachen Standort. Die Debatte war von Anfang an kontrovers. Die Angehörigen der Opfer haben sich mehrfach auch öffentlich für den zentralen Marktplatz ausgesprochen. „Wohl auch deswegen“, so mutmaßt ein Insider, der mit dem Mahnmal-Thema eng befasst ist, „hat der Künstler bei der Visualisierung diese Standort-Variante besonders groß herausgearbeitet“.

Angehörige beharren auf den Hanauer Marktplatz

Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) und der größte Teil der politischen Vertreter sehen den Standort Marktplatz hingegen kritisch. Kaminsky: „Der Marktplatz kommt definitiv nicht infrage.“ Er sei auch in der Stadtgesellschaft nicht durchsetzbar. Die Politik konnte sich zuletzt allenfalls den Freiheitsplatz als Kompromisslösung vorstellen, favorisiert aber den Kanaltorplatz. Dort soll im ehemaligen Commerzbank-Gebäude bis 2026 ein Zentrum für Demokratie und Vielfalt entstehen (wir berichteten) – ein inhaltlicher Bezug wäre hergestellt. Und der Teil des Kanaltorplatzes soll neu gestaltet werden.

Vielleicht setze im Zuge dessen bei den Angehörigen „eine neue Nachdenklichkeit ein“, meint Kaminsky.

Auch nach mehreren Gesprächsrunden, bei denen es nach Aussagen von Teilnehmern zum Teil sehr emotional und mitunter sogar lautstark zugegangen sein soll, ist die Situation reichlich verhärtet. Zum zweiten Jahrestag des Anschlags hatten sich Angehörige erneut für den zentralen Marktplatz in der Innenstadt ausgesprochen. Dann wurde es ruhiger. Auch wenn Stillstand herrscht in der Standortfrage, so sind die Differenzen geblieben. Kaminsky: „Wir sind uns einig, dass die Standortfrage strittig ist.“ Die Position der Angehörigen: Wenn der Standort Marktplatz nicht mehrheitsfähig ist, dann sollte besser kein Mahnmal aufgestellt werden.

Gedenktafel an mehreren Orten in Hanau

Zwar hat die Stadt gemeinsam mit den betroffenen Familien Gedenktafeln an den beiden Tatorten anbringen lassen, auf dem Hauptfriedhof wird neben den Ehrengräbern mit einer Tafel an die Opfer erinnert und auch am Jugendzentrum K-Town gibt es eine Gedenktafel. Doch wann und vor allem wo, ja sogar ob überhaupt ein zentrales Mahnmal errichtet wird, das bleibt auch am dritten Jahrestag des 19. Februar 2020 offen.

(Von Christian Spindler)

Auf dem Hauptfriedhof gibt es neben den Ehrengräbern eine Gedenktafel.
Auf dem Hauptfriedhof gibt es neben den Ehrengräbern eine Gedenktafel. © PATRICK Scheiber

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