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Weihnachten in Kriegszeiten: Verein KID kümmert sich um Flüchtlinge aus der Ukraine

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Von: Christian Spindler

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Im Dezember organisierte KID bereits weihnachtliche Veranstaltungen unter anderem für Kinder aus der Ukraine. Heute wird das orthodoxe Weihnachtsfest begangen.
Im Dezember organisierte KID bereits weihnachtliche Veranstaltungen unter anderem für Kinder aus der Ukraine. Am ersten Januar-Wochenende wurde das orthodoxe Weihnachtsfest begangen. © privat

„Mit dem 24. Februar war mein bisheriges Leben mit einem Schlag zerstört“, sagt Kseniya Kulikova auf Englisch. Ihr Job als 3-D-Grafikerin ist weg, ihr Freundeskreis zerschlagen, die Familie zersplittert, sie musste die Heimat verlassen. Am 24. Februar vorigen Jahres begann Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Wenige Wochen später flüchtete die 33-Jährige.

Hanau – So wie Hunderttausende Ukrainer. Es war eine Flucht vor Bomben und Raketen, vor Leiden und Tod. Eine Flucht in ein anderes Leben, in dem nichts mehr ist wie zuvor. Ein Leben in äußerer Sicherheit zwar, aber eines voller Ungewissheit, Bangen und Ängsten. „Man muss versuchen, im Moment zu leben“, sagt die junge Ukrainerin. Und wenn sie erzählt, etwa vom Vater, der in Charkiw zurückgeblieben ist, kämpft sie mit den Tränen.

Kseniya Kulikova ist eine der geflüchteten Ukrainer, die in Hanau Anschluss an den Verein KID gefunden haben. Die Kooperative zur Integration in Deutschland kümmert sich mit 25 Ehrenamtlichen um rund 100 Menschen aus der Ukraine, sagt Albert Korotkin. Dazu gehören Infovorträge, Sprachkurse, Freizeitaktivitäten, Sport, Ausflüge, aber auch die Vermittlung von psychologischer Hilfe, die viele der Flüchtlinge benötigen. Kriegserfahrungen können traumatisch sein.

Der KID-Vorsitzende hat zum Gespräch neben Kseniya Kulikova auch Konstantin Nosov mitgebracht. Beide stammen aus Charkiw, der zweitgrößten Stadt in der Ukraine. Die Umgebung der Millionen-Metropole im Osten war monatelang von russischen Truppen besetzt.

Vom Urlaub aus geflüchtet

Als die Russen einmarschierten, war Konstantin Nosov nicht im Land. Der 42 Jahre alte Steueranwalt hielt sich in Ägypten bei Bekannten auf, feierte während des Urlaubs dort Geburtstag. Er kehrte nicht in seine Heimat zurück. Am 9. März flog er nach Deutschland.

Die Kooperative KID unter Vorsitz von Albert Korotkin (rechts) kümmert sich um Flüchtlinge wie Kseniya Kulikova und Konstantin Nosov.
Die Kooperative KID unter Vorsitz von Albert Korotkin (rechts) kümmert sich um Flüchtlinge wie Kseniya Kulikova und Konstantin Nosov. © DAGMAR GÄRTNER

„Dieser Tage ist es für die Geflüchteten hier besonders schwer“, sagt Albert Korotkin. Sie feiern das erste Weihnachten in Kriegszeiten – und das weit entfernt von ihrer Heimat, mitunter weit entfernt von der Familie. Konstantin Nosovs Mutter, sein älterer Bruder und eine Cousine sind weiter in Charkiw. Sie seien immerhin unverletzt – „Gott sei Dank“, sagt Nosov auf Deutsch. Das hat er in einem Sprachkurs in Hanau schon leidlich gelernt.

Orthodoxe Christen, von denen es viele im Verein KID gibt, begehen am 6. und 7. Januar Weihnachten. Albert Korotkin und seine Helfer haben für den 7. Januar für alle eine Veranstaltung organisiert. „Wir feiern praktisch zweimal Weihnachten“, sagt er. Um den 20. Dezember gab es bereits weihnachtliche Veranstaltungen für Senioren und für Kinder, dann ein Fest mit Väterchen Frost, der traditionell in der Neujahrsnacht Geschenke bringt. Präsente gab es auch für die KID-Kinder, die mit Väterchen Frost getanzt haben. „Als dann draußen überall Silvesterfeuerwerk gezündet wurde, haben sich viele der Kinder aber verkrochen“, berichtet Korotkin. Aus Angst. Böller klingen wie Bomben und Granaten. Der Krieg kann einen einholen, auch wenn man eigentlich in Sicherheit ist.

Kinder mit Angst vor dem Silvester-Feuerwerk

Dass im Verein KID Väterchen Frost gefeiert wird, mithin ein russischer Brauch, hat einen Grund: Der Kooperative, die 2009 mit dem Ehrenamtspreis des Main-Kinzig-Kreises ausgezeichnet wurde, gehören zu etwa je einem Drittel Menschen aus Russland, darunter sogenannte Spätaussiedler, aus Kasachstan und der Ukraine an. 400 Mitglieder aus der gesamten Region um Hanau hat KID laut Korotkin aktuell.

Der Krieg in der Ukraine hat sehr viel geändert. Auch bei KID. „Unser Jahresprogramm für 2022 war ganz anders geplant“, sagt Albert Korotkin. Seit dem 24. Februar hat man sich auf die Unterstützung für die Kriegsflüchtlinge fokussiert. Das ist nicht ohne Spannungen geblieben in einem Verein, dem Russen und Ukrainer angehören, räumt Korotkin ein. Nein, offen geäußerte Ressentiments gebe es zwar nicht, sagt er. Aber man merkt etwas. „Es gibt Schwierigkeiten.“ Von den Russlandstämmigen hätten sich „viele zurückgezogen“. Das zu ändern, sei das Hauptziel für dieses Jahr. Wie das gehen soll? Vor allem über das Kennenlernen bei gemeinsamen Veranstaltungen, sagt Korotkin, „auch wenn das nicht einfach wird“. Mit den Veranstaltungen zu Weihnachten sei immerhin „ein Anfang gemacht“.

Russen und Ukrainer in einem Verein

Etliche Geflüchtete aus der Ukraine waren nach ihrer Ankunft in Hanau zunächst in Hotels untergebracht. Auch Kseniya Kulikova und Konstantin Nosov. Seit Juni leben sie in früheren US-Wohnungen auf Sportsfield Housing in Wolfgang. Auch Kseniyas Mutter, Tante und Großmutter sind hier in Deutschland. Der Vater ist in Charkiw geblieben. Dort, wo Kseniya ein Kunstgymnasium besucht hat. Dort, wo sie dann in Theatergruppen spielte, wo sie zuletzt als 3-D-Grafikerin für Computerspiele, aber auch für pädagogische Anwendungen tätig war. Dort, wo jetzt Krieg ist. Kämpfen muss ihr Vater zwar nicht – aus gesundheitlichen Gründen. Die Angst um ihn freilich bleibt.

Am Ende des Gesprächs bedanken sich Kseniya Kulikova und Konstantin Nosov mehrfach sehr herzlich. Auf Deutsch und auf Englisch. Für das, was Hanau für sie tue. Für das, was Deutschland für die Ukraine tue. Auf die Frage, was sie sich fürs neue Jahr wünscht, sagt Kseniya Kulikova: „Peace.“ Frieden. Und nach einer kurzen Pause: „And Victory.“ Dass die Ukraine den Krieg gewinnt. „Das ist alles, was wir brauchen“, sagt sie. (Von Christian Spindler)

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