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Containerdorf: Teil der Geflüchteten verweigert Umzug in andere Unterkunft - Gezielte Desinformation?

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Von: Joshua Bär

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Die 50 ukrainischen Geflüchteten in Heusenstamm sollen in eine Unterkunft des Kreises Offenbach in Neu-Isenburg umziehen. Dagegen wehrt sich ein Teil der Dorfbewohner.

Heusenstamm/Neu-Isenburg – Die Wut in Tamaras Augen ist unverkennbar. Die Ukrainerin ist auch eine Woche nach der Meldung, dass sie und ihre Landsleute das Containerdorf am Zentrum Martinsee in Heusenstamm (Kreis Offenbach) verlassen müssen, fassungslos. Am 13. Dezember hat Bürgermeister Steffen Ball bei einem Besuch den Umzug in die Unterkunft in Neu-Isenburg verkündet, nun hat ein von der Stadt organisierter Bus die Geflüchteten in ihr neues Zuhause gebracht. Doch nicht alle der 50 Bewohner sind darin mitgefahren.

„Ich bin immer noch geschockt, ich möchte nicht umziehen“, sagt Tamara immer wieder. Verzweifelt blickt sie zu Nataliya Hof, die für sie übersetzt. Hof ist Lehrerin, stammt selbst aus der Ukraine, kommt 2001 als Au-pair nach Deutschland. Über zwei ihrer Schülerinnen knüpft sie Kontakt zu den Bewohnern. Viele seien nach der Nachricht am Boden zerstört gewesen, meint Hof. „Sie waren gerade dabei, sich in Heusenstamm zu integrieren.“

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Anatolii ist ebenfalls enttäuscht. Auch er werde im Dorf bleiben, denn er habe sich gerade erst für einen Integrationskurs am Campus Heusenstamm angemeldet. Zudem seien viele der Bewohner in den vergangenen Monaten zu einer Familie geworden. Anatolii vermutet daher, dass nur diejenigen umziehen, „die ohnehin nicht richtig bei uns integriert waren“.

Einen Bus für den Umzug nach Neu-Isenburg hat die Stadt für die Geflüchteten aus dem Containerdorf organisiert. Nicht alle Bewohner nehmen das Angebot an, einige beharren darauf, weiter in Heusenstamm zu bleiben.
Einen Bus für den Umzug nach Neu-Isenburg hat die Stadt für die Geflüchteten aus dem Containerdorf organisiert. Nicht alle Bewohner nehmen das Angebot an, einige beharren darauf, weiter in Heusenstamm zu bleiben. © bär

Auch Alona ist eine der 21 Geflüchteten, die den Umzug nach Neu-Isenburg ablehnen. Sie sei fest davon ausgegangen, länger in Heusenstamm zu bleiben, meint die Ukrainerin. „Ich habe mich extra beim Integrationskurs in Heusenstamm angemeldet und die Angebote in Offenbach und Dietzenbach abgesagt.“ Schwerer wiegt für die Mutter allerdings, dass ihre Tochter bereits in die Adalbert-Stifter-Schule geht und dies auch weiterhin tun möchte. Wie ihr Kind von Neu-Isenburg aus nach Heusenstamm fahren soll, weiß Alona nicht.

Bürgermeister Steffen Ball bekräftigt, dass alle Bewohner, die sich bereits in Heusenstammer Integrationskursen angemeldet haben, diese auch besuchen dürfen. Und auch die Kinder könnten weiterhin in den Schulen bleiben. Probleme mit der Anbindung der beiden Kommunen sieht Ball nicht: „Es fährt eine Buslinie von der Unterkunft in Neu-Isenburg bis nach Heusenstamm durch, das sollte für die Menschen machbar sein.“ Der Rathauschef stellt jedoch klar, dass der Umzug nach Neu-Isenburg unumgänglich sei. So solle das Containerdorf zu Beginn des kommenden Jahres für Geflüchtete aus anderen Nationen genutzt werden. „Wir haben daher zusammen mit dem Kreis nach einer Lösung gesucht.“ Dort habe man entschieden, alle ukrainischen Geflüchtete an einem Ort unterzubringen.

Ukrainer in Zentrum Martinsee in Heusenstamm: Zustände in neuer Flüchtlingsunterkunft schlimm?

Die neue Unterkunft ist allerdings ein weiterer Grund, warum einige Bewohner das Containerdorf nicht verlassen wollen. So hätten Bekannte, die dort bereits untergebracht sind, die Zustände als schlimm beschrieben. Demnach gebe es zu wenig Waschmaschinen, die Duschen seien kaputt oder in der Kantine zu wenig Platz.

Die Essenszeiten – die Unterkunft bietet dreimal täglich zu bestimmten Zeiten Essen in der hauseigenen Kantine an – seien ein großes Problem, meint Alona: „In dieser Zeit finden unsere Integrationskurse statt.“ Daher müssten sie sich zwischen Essen und Kurs entscheiden. „Und wir müssen das Essen bezahlen, bekommen dafür 174 Euro abgezogen, obwohl wir nicht da sind.“ In mehreren Briefen an Steffen Ball, die der Redaktion vorliegen, äußern die Betroffenen ihre Bedenken. An der Entscheidung hat dies nichts geändert.

Frank Herr, Leiter der Unterkunft in Neu-Isenburg, versichert, dass für die Bewohner, die zu den Essenszeiten nicht anwesend sind, Lösungen gefunden werden. So sei es möglich, das Essen zu verpacken und mitzunehmen oder für Menschen, die erst nach den Essenszeiten kommen, aufzubewahren.

Flüchtlinge aus Heusenstamm (Kreis Offenbach) wollen nicht umziehen: Gezielte Desinformation vermutet

Und auch die Sanitäranlagen sowie Waschräume hätten bisher ausgereicht. Zwar seien einige Duschen – die sich außerhalb der Unterkunft befinden – aufgrund der kalten Temperaturen in den vergangenen Tagen ausgefallen, dies sei inzwischen aber behoben. „Wir arbeiten zudem gerade daran, auch innerhalb des Gebäudes Duschen zu installieren“, sagt Herr. So wolle man verhindern, dass die Geflüchteten bei Kälte zum Duschen ins Freie müssen.

Steffen Ball vermutet unterdessen gezielte Desinformationen, die die Bewohner gegen die Unterkunft aufbringen sollen. Er appelliert an den Solidargedanken und weist darauf hin, dass das Containerdorf nur als provisorische Unterbringung gedacht gewesen sei. „Unser Ziel war es von Anfang an, die Geflüchteten in feste Unterkünfte zu bringen.“ Er hofft nun, dass die restlichen Flüchtlinge von selbst nach Neu-Isenburg umziehen. (Joshua Bär)

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