Mangel an Pflegefachkräften auch im Kreis Offenbach – „Die Zeitarbeit unattraktiver machen“
Der Pflegeberuf steckt in der Krise. Es fehlt der Nachwuchs, viele Fachkräfte wandern in die Zeitarbeit ab oder wechseln in weniger stressige Jobs.
Heusenstamm – Daniel Puschner, neuer Leiter des Seniorenzentrums Horst-Schmidt-Haus der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Heusenstamm (Kreis Offenbach) und die dortige Pflegedienstleiterin Christiana Tannert berichten, was sich ändern muss, um den Beruf attraktiver zu machen und die Pflegekräfte zu entlasten.

Seit Jahren klagen Pflegebetriebe und -verbände wie die Awo über fehlendes Personal. Gilt das auch für das Horst-Schmidt-Haus?
Daniel Puschner: Wir merken auch, dass es vorne und hinten fehlt, sowohl an Hilfskräften, als auch an Fachkräften. Wir haben im Horst-Schmidt-Haus aber ein gutes System entwickelt. Wir suchen Kräfte von außen und wir bilden selbst aus.
Wie viele Azubis lernen derzeit bei der Awo Heusenstamm?
Christiana Tannert: Aktuell sind 14 Frauen und Männer in der Ausbildung. Im Horst-Schmidt-Haus sollen auf jeden zehnten Bewohner, wir haben 130 Betten, ein Auszubildender oder eine Auszubildende kommen. Fünf unserer Azubis sind in diesem Jahr ausgelernt und sie möchten auch danach weiter bei uns arbeiten.
Wie viele Pflegekräfte arbeiten im Horst-Schmidt-Haus?
Tannert: Derzeit sind etwa 67 Personen in der Pflege beschäftigt. Davon sind zehn Männer.
Fachleute sprechen von 40.000 offenen Stellen pro Monat in der Pflege. Wie viele sind im Horst-Schmidt-Haus vakant?
Puschner: Ich habe erst kürzlich eine Stelle als Pflegefachkraft ausgeschrieben, darauf sind aber schon einige Bewerbungen gekommen. Das ist sehr ungewöhnlich, denn manchmal dauert es Monate, bis sich jemand auf die Stelle bewirbt.
Die Pflege gilt nach wie vor als Frauenberuf. Warum?
Tannert: Das ist schwer zu sagen. Sicher, weil in Teilzeit gearbeitet werden kann und es in der Pflege möglich ist, ungelernt einzusteigen und eine berufsbegleitende Ausbildung zu machen.
Horst-Schmidt-Haus der Awo in Heusenstamm im Kreis Offenbach: Auch die Außenanlagen werden neu gestaltet.
Mangel an Pflegefachkräften auch im Kreis Offenbach: „Nicht der bestbezahlte Beruf“
Welche Rolle spielt dabei das Gehalt?
Tannert: Das Gehalt ist nicht entscheidend. Männer und Frauen werden in der Pflege gleich bezahlt – nach Tarif. Es ist aber sicher nicht der bestbezahlte Beruf.
Puschner: Wobei man schon sagen muss, dass die Gehälter in den letzten Jahren gestiegen sind.
Und doch gehört die Pflege nicht zu den attraktivsten Berufen ...
Puschner: Es sind die Rahmenbedingungen, die neu geschaffen werden müssen. Zum Beispiel kostet uns Bürokratie zu viel Zeit. Unsere Mitarbeiter müssen ihre Arbeit teilweise sehr detailliert beschreiben, zum Beispiel das Reinigen einer Brille jedes Mal als pflegerische Maßnahme vermerken. Das wird von den Behörden auch überprüft. Die externe Qualitätsprüfung durch den Medizinischen Dienst sehen wir ebenfalls kritisch. Das Benotungssystem ist zwar schon umgestellt worden, so wird nun nach „über dem Durchschnitt“ und „unter dem Durchschnitt“ bewertet. Die Angehörigen wissen dann aber nur, dass die Arbeit der Pflegerinnen und Pfleger gut dokumentiert wird. Wie es den Bewohnern geht, wird dabei aber nicht groß erfragt. Einzelgespräche mit den Bewohnern finden zwar statt, das sind aber nur Stichproben.
Wie ließen sich die Arbeitsverhältnisse verbessern?
Tannert: Dazu sind mehr Pflegefachkräfte vor Ort in den Heimen nötig, aber auch sichere Arbeitsverhältnisse für die Pflegekräfte aus dem Ausland. Deren Arbeitserlaubnis muss länger gültig sein. Viele Pflegekräfte hangeln sich von einer Erlaubnis zur nächsten. Das macht doch auch etwas mit den Menschen, wenn sie in dieser Unsicherheit leben. Und natürlich ist auch eine gute Kinderbetreuung wichtig. Denn in der Pflege ist die Hauptarbeitszeit früh morgens.
Puschner: Dazu muss man auch die Zeitarbeit unattraktiver machen. Die Gehälter der Zeitarbeiter reichen teilweise an die einer höheren Führungsposition in den Einrichtungen, dann wechseln viele eben in die Zeitarbeit. Dort bekommen sie auch Wunschtage, sie machen ihre Einsatzpläne selbst. Wir sind natürlich sehr froh, dass es Zeitarbeiter gibt, zum Aushelfen in Notlagen, aber sie könnten ebenso gut in unserem Haus fest angestellt sein.
Pflegende und Verbände beklagen eine zunehmende Überforderung. Welche Erfahrungen haben sie damit gemacht?
Tannert: Natürlich ist der Beruf anstrengend. Es ist schon so, dass die Pflegekräfte richtig kaputt nach Hause gehen. Wir haben aber das Glück, dass sie trotzdem bei uns bleiben wollen.
Ist es eine Option, die Bewohnerzahl zu reduzieren?
Puschner: Wenn das Personal fehlt, würden wir das erwägen, aber zum Glück sind wir bisher noch nicht darauf angewiesen.
Das Interview führte Joshua Bär.