Lebenslang für Chorgesang: Karl Rathgeber hat der Kirchenmusik viele Impulse verliehen

Ein junger Mann mit echter Zukunft, lobte die Offenbach-Post im September 1974. Die Rede war vom Offenbacher Leibnizschüler Karl Rathgeber, der gerade vor seinem Schulmusik-Examen stand und Wort halten sollte. Nach Lehr- und Wanderjahren hat der damals 24-Jährige der evangelischen Kirchenmusik mannigfaltige Impulse verliehen. Als Organist, Dirigent, Musikwissenschaftler und Gründungsrektor der Hochschule für evangelische Kirchenmusik Bayreuth.
Heusenstamm – Zu Heusenstamm hat der 1950 geborene Offenbacher schon immer ein besonderes Verhältnis. Stets auf verschiedenen musikalischen Ebenen präsent, übernimmt er bereits 1972 die Leitung des Evangelischen Kirchenchors in der Schlossstadt. Damals als junger Dirigent gleichermaßen mit Temperament, Kalkül und entsprechender Überzeugungskraft gesegnet, hat er mit Bach-Kantaten, Mendelssohns Oratorium „Paulus“ und der Matthäus-Passion des barocken Georg Philipp Telemann, deren Originalfassung er erstmals aufführte, für Auftrieb gesorgt.
Dirigieren hat Rathgeber an der Frankfurter Musikhochschule bei Helmuth Rilling und in Meisterkursen unter anderem bei dem Schweden Eric Ericson studiert, der damals europaweit angesagt war. Doch den jungen Dekanatskirchenmusiker hält es nicht lange in seiner Heimat.
Den Heusenstammer Kirchenchor, der fortan als Evangelische Kantorei firmiert, übergibt er seinem Orgellehrer, dem leider zu früh verstorbenen Offenbacher Wolfgang Weyrich, auch Gründer des Offenbacher Kammerchors, um einem ebenfalls ihn prägenden Offenbacher Kirchen- und Schulmusiker zu folgen. Von Volker Schütz übernimmt Rathgeber die Leitung der Musikschule in Lüneburg, ist Lehrbeauftragter an der Hochschule für Künste Bremen und Musikdirektor am Evangelischen Stift Tübingen.
1994 dockt der gefragte Dirigent als Direktor der Fachakademie für evangelische Kirchenmusik in Bayreuth an, bei deren Umgründung zur Hochschule er als Rektor an vorderster Front steht. Bis zum Eintritt in den Ruhestand 2013 lehrt er in der Richard-Wagner-Hochburg Dirigieren und leitet beide Hochschulchöre. Sein musikalisches Wirken wird mit der Bayerischen Verfassungsmedaille in Silber honoriert.
Von 1999 bis 2018 ist Rathgeber zudem künstlerischer Leiter des Reger Chors Braunschweig, der das Kernrepertoire seines Leiters von Monteverdi und Schütz über die Perlen des Johann Sebastian Bach bis hin zu Brahms und Puccini pflegt. Darunter Exoten wie das Requiem von Andrew Lloyd-Webber, die Tango Messe des argentinischen Komponisten Martin Palmeri oder das „Vaterunser“ des Offenbacher Komponisten Jürgen Blume.
Das Offenbacher Netzwerk bewährt sich auch bei einer weiteren Gesangsformation, bei der Rathgeber seit 2018 am Dirigierpult steht. Den Chor Cappella Nova Bad Mergentheim leitete zuvor der Wertheimer Matthias Querbach, der auch schon als Dekanatsmusiker dem Offenbacher Kammerchor vorstand. 2018 löst der Franke – quasi im Ringtausch – den Offenbacher beim Reger Chor in Braunschweig ab.
Rathgeber ist seit 1977 mit Doris verheiratet, einer Schwägerin des Kammerchor-Gründers Wolfgang Weyrich. Sie folgt dem Chor-Professor nicht nur auf allen Karriere-Wegen, sondern hält ihm auch den Rücken frei – und schenkt ihm noch dazu drei Söhne. Da fällt der Apfel nicht weit vom Birnbaum, denn alle sind vom Fach. Tenor Christian ist ein gefragter Opern- und Oratoriensänger, Bassist Felix singt im Chor des WDR, und Tobias ist zweiter Tenor im Opernchor von Koblenz.
In Heusenstamm hat Karl Rathgeber seine Chorleiter-Laufbahn begonnen, nach Heusenstamm ist er vor mehr als einem Jahrzehnt zurückgekehrt. Zeit für ein Chorkonzert – vielleicht mit der Evangelischen Kantorei. Oder mit der Cappella Nova. Wenn möglich mit allen drei Söhnen als Gesangssolisten. Dann hat das Loblied auf Karl Rathgeber eine weitere Strophe. (Von Klaus Ackermann)