Mahnwachen und Gebete für die Ukraine in Heusenstamm und Obertshausen

„Die Ukraine steht in Flammen – es tut weh!“ Katja Schreiber, die in diesem Land geboren wurde, fallen ihre Worte schwer, die sie am Samstagnachmittag vor mehr als 200 Menschen im Heusenstammer Schlossgarten spricht. Spontan hatten Stadtverordnetenvorsteher Peter Jakoby und Bürgermeister Steffen Ball zu dieser Zusammenkunft unter dem Motto „Ein Licht für die Ukraine“ aufgerufen. Viele Bürgerinnen und Bürger, darunter auch auch etliche Stadtverordnete, Magistratsmitglieder, der Bundestagsabgeordnete Björn Simon sowie Landtagsabgeordneter Ismail Tipi, waren gekommen.
Heusenstamm / Obertshausen Seit 13 Jahren lebe sie in Deutschland, erläutert Katja Schreiber, deren Mann für den Schachclub in der Schlossstadt spielt. Doch ihre Familie, Freunde und Bekannte leben in der Ukraine. Sie telefoniere mit ihnen, die sich in Häusern und Kellern verstecken: „Sie sind von Angst gelähmt.“ Hoffnung gebe ihr und ihren Angehörigen, dass die Menschen in Heusenstamm zeigen, dass ihnen „das Schicksal meines Landes am Herzen liegt“.
Auch Peter Jakoby, der die Bürgerinnen und Bürger begrüßt, äußert sich persönlich: „Ich bin fast 72 Jahre alt und war dankbar, dass meine Generation das Glück und den Segen hatte, einem friedlichen Europa mit immer weniger Grenzen, mit Freunden in allen Ländern leben zu dürfen.“ Wenn man sich mit Geschichte befasse, müsse man nun feststellen, dass einige Menschen in Verantwortung „nichts, aber auch gar nichts aus der Geschichte gelernt haben“.
„Es ist Krieg in Europa – und es soll niemand denken, dass dies nicht auch unser Krieg ist“, betonte Bürgermeister Steffen Ball in seiner Ansprache: „Unsere Haltung, die wir heute hier äußern, wird vielleicht viel stärker gefragt sein in den kommenden Wochen und Monaten. Die Solidarität mit der Ukraine bedarf einer praktischen Umsetzung. Sie wird gefragt sein, wenn es darum geht, bei weiteren Sanktionen Energie-Engpässe und andere Folgen hinzunehmen. Und sie wird gefragt sein, wenn es gilt, Geflüchteten aus der Ukraine auch in Heusenstamm Schutz und Sicherheit zu bieten. Bewahren wir uns unsere Haltung und Solidarität.“
„Wir denken an die Menschen, die in der Ukraine leiden und Todesangst haben, und wir denken auch an jene, die gezwungen werden zu töten“, betonte der evangelische Pfarrer Sven Sabary, der gemeinsam mit dem katholischen Pfarrer Martin Weber und Pastor Klaus Philipsen von der Freien Evangelischen Gemeinde eine kurze Andacht hielt.
Viele der Zuhörer hatten Kerzen mitgebracht. Pfarrer Martin Weber versprach, eines dieser Lichter mitzunehmen in die Kirche Maria Himmelskron: „Es ist ein schwaches Licht, aber es ist stärker als die Dunkelheit.“ Die drei Geistlichen beendeten die Zusammenkunft im Schlossgarten mit einem gemeinsamen „Vater Unser“.
Bereits am Donnerstagabend hatten sich etwa 100 Menschen in der Hausener St.-Pius-Kirche zu einem Friedensgebet versammelt. „Wie kann es sein, dass Bosheit siegt“, fragt Pfarrer Christoph Schneider erschüttert über den Angriff auf die Ukraine. Die Pfarrgemeinde hat kurzfristig über Netzwerke im Internet zu dem Gebet eingeladen. Stattdessen, so fordert Schneider, gelte es, ein Zeichen zu setzen für Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden, für Hoffnung und Trost.
Auch während einer Mahnwache vor dem in den Farben der Ukraine angestrahlten Hausener Bürgerhaus am Freitagabend zeigt sich Pfarrer Christoph Schneider „erschrocken über die Rhetorik aus Moskau“, stößt sich an Putins Worten von der „Entnazifizierung“ und „Entmilitarisierung“, obwohl dieser den Krieg begonnen hat. Das Licht der Kerzen, die viele der rund 200 Personen auf dem Platz entzündet haben, sei ein „schönes, stilles Zeichen“.
Das Gebet drücke auch Protest aus, und „dass immer noch was geht“. Es gehe aber nicht um Sieg, sondern um Frieden. Die evangelische Pfarrerin Kornelia Kachunga weist mit den Seligpreisungen aus dem Matthäus-Evangelium darauf hin, dass Jesus Mitgefühl mit Menschen in großer Angst gezeigt hat.
Oguz Eroglu ist Zweiter Vorsitzender der türkisch-islamischen Gemeinde an der Alexanderstraße und betont, „unsere Gedanken sind beim ukrainischen Volk und bei allen Menschen, die dem Elend des Krieges nicht entrinnen können“. Gläubige seien dem Frieden, „der Liebe zum Geschöpf“ verpflichtet. Leben zu nehmen sei unentschuldbar und nicht zu rechtfertigen, alle seien aufgefordert, „Zeugen der Barmherzigkeit Gottes zu sein und Frieden zu stiften“.
Wer Unschuldigen Leid zufügt, müsse „Rechenschaft vor dem irdischen Gericht und vor unserem Schöpfer ablegen“, sagt er. Auch Angehörige der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde beteiligen sich an der Aktion.
Bürgermeister Manuel Friedrich äußert sich erschüttert. Die erste Familie aus der Ukraine sei bereits in Obertshausen eingetroffen, berichtet er den Zuhörern. Nun sollen „Zeichen der Solidarität und stiller Protest“ in die Welt gesandt werden, die Flaggen seien auf Halbmast gesetzt, das Bürgerhaus in das ukrainische Blau-Gelb getaucht. Die Versammelten beten das „Vater Unser“, Kinder und Erwachsene stellen Kerzen vor dem Gebäude ab und bleiben, um sich auszutauschen. (Von Claudia Bechthold Und Michael Prochnow)