Stadtleben neu definieren

„Stadtentwicklung ist eine Sache aller Bürgerinnen und Bürger, das darf man nicht den Projektentwicklern allein überlassen“, sagt Bürgermeister Steffen Ball. In seiner Rede zum digitalen Neujahrsempfang der CDU am frühen Sonntagabend stellt der Verwaltungschef vor allem die Frage, wie groß Heusenstamm noch werden soll und wie es in der Zukunft aussehen kann.
Heusenstamm – Denn bei Stadtentwicklung gehe es auch um die Identität einer Kommune. Mehr als 80 Zuhörerinnen und Zuhörer kann die CDU-Vorsitzende Heide Schwab zu der Videokonferenz begrüßen. Neben Landrat Oliver Quilling und den Abgeordneten Björn Simon und Ismail Tipi zählen Bürgermeister aus Nachbarstädten und Vertreter von Vereinen und Kirchen dazu.
Drei Areale im Stadtgebiet stehen derzeit vor Veränderungen: der Campus an der Jahnstraße, der ehemalige Brückenbauhof an der Industriestraße sowie das Gelände am früheren Fernmeldezeugamt an der Philipp-Reis-Straße. Auf dem Campus passiere derzeit schon viel, berichtet Steffen Ball. Eine sehr gemischte Nutzung werde dort geplant mit Raum für alle Generationen. Büros, ein Hotel, eine Kita, Seniorenwohnungen und eine Pflegeeinrichtung sowie Gastronomie sollen dort einziehen. Der Bürgermeister betont, man sei mit den Investoren dazu in einem intensiven Austausch.
Im Gespräch sei man aber auch mit den Investoren, die den Brückenbauhof und das Zeugamt-Areal erworben haben. Bislang sei für beide Grundstücke vor allem Wohnbebauung und wenig Gewerbefläche vorgesehen, allein an der Philipp-Reis-Straße etwa 600 Appartements, insgesamt rede man bei der derzeitigen Planung von 1000 zusätzlichen Wohnungen.
Doch für so viele Wohnungen müsse die Stadt für alle Infrastrukturkosten aufkommen: Straßen, Beleuchtung, Kindergärten, Schulkindbetreuung. Daher sei auch eine sprudelnde Gewerbesteuer wichtig. „Wir leben in einer Stadt, die von Wald umgeben ist. Wir können nicht einfach neue Gewerbegebiete ausweisen, sind zur Innenentwicklung verdammt. Das heißt, wir müssen bestehendes Gewerbe halten und neue Möglichkeiten eröffnen.“ Sicher sei Wohnen wichtig, es gebe zu wenig und die Preise seien zu hoch. „Aber dürfen wir jede Gewerbefläche für das Wohnen opfern?“ Man benötige auch Platz für Gewerbe und Handel.
Dies biete aber die Chance, das Leben in der Stadt neu zu definieren, aus Heusenstamm vielleicht ein modernes Vorzeigeprojekt zu machen. Die Pandemie habe das Arbeitsleben mit den Möglichkeiten zum Homeoffice verändert. Die Balance zwischen Städten mit ihrer Wohnungsnot und dem Land, von dem die Menschen weggezogen sind, könne man damit vielleicht wieder mehr ins Lot bringen. So werde, vermutet Steffen Ball, zum Beispiel ein Arbeitszimmer für die Wissensgesellschaft bei der Wohnungssuche eine immer größere Rolle spielen. Wohnungen und Häuser müssten mit variablen Nutzungsszenarien geplant werden. Und: „Das Leben in einer Kleinstadt wie Heusenstamm wird ein Comeback erleben.“
Dazu gelte es, Dichte zu reduzieren, Räume für Grün und zur Begegnung zu schaffen. Es brauche künftig eine Nachbarschaftsplanung, die Bedürfnissen zu Mobilitätswende, Klimawandel und sozialer Nähe Rechnung tragen.
Wichtig sei ihm aber auch, dass man bei der Stadtentwicklung an die Geschichte der Stadt denke, ergänzt der Bürgermeister. So sei das Schloss das Herz und wichtiges Symbol Heusenstamms, um das man sich kümmern müsse, das man nicht verfallen lassen dürfe. Auch Schlossgarten und Allee müssten nachhaltig gestaltet werden: „Das wird Geld kosten, aber ich denke, es wird sich lohnen.“
Heide Schwab berichtet am Ende des Treffens, dass die CDU mit einer Umfrage einen Strategieprozess gestartet hat, mit dem über die Zukunft des Schlossstadt nachgedacht werden soll. Sie kündigt an, dass sich alle Interessierten daran beteiligen können. Allerdings werde man damit erst beginnen, wenn es wieder möglich ist, sich persönlich zu treffen. (Von Claudia Bechthold)