Morgens Bauer, abends Brauer: Wie aus Heusenstamm ein Ort für die Bierherstellung wurde

Deutschland ist ein Biertrinkerland. 1500 Brauereien gibt es hierzulande, eine davon in Heusenstamm. Dort brauen zwei Brüder neben klassischen Sorten auch ganz besondere Kreationen.
Heusenstamm - Die „Großen“ spielen gewiss in einer anderen Liga, doch im Biertrinkerland Deutschland, dem europaweit führenden Land der Bierbrauereien, werden auch die „Kleinen“ geschätzt. Eine von den bundesweit mehr als 1500 Braustätten steht in Heusenstamm. Auf dem Campusgelände brauen die Brüder Thomas und Tobias Frank rund 400 Liter Gerstensaft pro Monat. Und eine Vergrößerung der Nanobrauerei ist schon geplant.

Idee für das Brauen entsteht aus einer Bierlaune
Von Montag bis Freitag arbeiten die Brüder für einen Brauanlagenhersteller im Hunsrück. Doch am Wochenende stehen sie in ihrer Heusenstammer Mikrobrauerei und produzieren ihr eigenes Hopfengetränk. Die Idee zum eigenen Gerstensaft entsteht – wie sollte es anders sein – aus einer abendlichen Bierlaune heraus. Die Männer mieten im Juni 2021 die ehemalige Campus-Küche der Schlossstadt an. Gemeinsam mit Sandra Frank, Ehefrau von Thomas, verbringen sie fast jede freie Minute in ihrer kleinen Brauerei: Das Trio braut, füllt seine Kreationen in Flaschen ab, etikettiert und verkauft das fertige Produkt an den ortsansässigen Rewe oder direkt am Campusgelände. „Natürlich gehört Probieren zwischendrin auch immer dazu“, sagt Tobias Frank.

Dass die beiden Brüder einmal Mikrobrauer werden, hätten sie nie gedacht. Doch wie es der Zufall so will … Seit nunmehr sechs Jahren wohnen Sandra und Thomas Frank zusammen in Heusenstamm. Tagsüber planen und bauen Thomas und Tobias Frank Brauanlagen. Am Feierabend kommen sie irgendwann auf die Idee, zu Hause selbst ihr Bier herzustellen. Eines Tages bringen sie eine Demobrauanlage aus ihrem Arbeitsalltag in ihren Keller und starten dort weitere Brauversuche. Als sie 2021 die Campus-Küche anmieten können, ergreifen sie schließlich ihre Chance: „Wir wussten: Wenn wir es jetzt nicht machen, dann nie“, sagt Thomas Frank über ihre Entscheidung. Was ursprünglich als Hobby anfing, mündete schnell in der Anmeldung eines Gewerbes. In zweieinhalb Jahren haben die beiden Männer bislang etwa 90 Hektoliter Bier gebraut und zählen damit zu den Mikrobrauern, die pro Jahr nicht mehr als 1000 Hektoliter produzieren.
Sauberkeit und Hygiene haben beim Bierbrauen höchste Priorität
Vom köchelnden Sud im Würzekocher bis zum schäumenden Bier in der Flasche dauert es zwischen vier und sechs Wochen. Ob klassische Sorten wie Pils und süßlich-süffiges Helles oder besondere Kreationen wie der trockene „Rote Baron“ oder dem schokoladigen „Coffee Choco Stout“ – eines haben sie alle gemeinsam: Sie bestehen entsprechend dem deutschen Reinheitsgebot aus denselben vier Grundzutaten. „Hopfen, Malz, Hefe, Wasser – mehr braucht man nicht, um ein gutes klassisches Bier zu brauen“, sagt auch Tobias Frank.

Es ist blitzeblank in der Küche, wenn die beiden Brüder das Bier brauen. Sauberkeit und Hygiene haben oberste Priorität. „Bierbrauen ist viel mehr Putzen, als man denkt“, sagt Tobias Frank. Im ersten Schritt werden Malze und Wasser in den Maischbottich gegeben. Pro Sud kann er etwa 50 Liter verarbeiten. Die Anlage braut, maischt und kocht die Masse aus Hopfen, Malz und Wasser. Thomas und Tobias Frank schauen in regelmäßigen Abständen in den Würzekocher und kontrollieren den Sud. „Es gibt etwa 200 Hopfensorten, die zur Aromatisierung eingesetzt werden können“, erklärt Thomas Frank. Das Malz beziehen die Campusbrauer direkt aus einer Kulmbacher Mälzerei. „Für unser Coffee Choco Stout verwenden wir speziell geröstete Malze mit einer Kaffee- und Schokoladennote und Haferflocken“, erklärt Thomas Frank. Das, in Verbindung mit einer speziellen Hefe, endet in einem Geschmack eines leicht gesüßten Milchkaffees. Trotzdem entsteht kein Mischgetränk, da alle Zutaten am Ende vergoren sind.
400 Liter Bier pro Monat werden in der ehemaligen Campusküche hergestellt
Als Nächstes wird der Sud heruntergekühlt und kommt mit der Hefe ins Gärfass. Auch hier gibt es verschiedene Sorten, wie Lager-, Ale- und diverse Spezialhefen. Nun folgt der erste Gärprozess, die Hauptgärung, die zwischen drei und sieben Tagen andauert. Nach weiteren fünf bis zehn Tagen ist auch die Nachgärung abgeschlossen. In diesem Produktionsschritt können weitere geschmackliche Akzente wie fruchtig, grasig, erdig durch zusätzliche Hopfengaben gesetzt werden.

Im dritten Schritt wird der Sud mindestens zwei Wochen zum Reifen gekühlt stehengelassen. Als Letztes wird das fertige Bier in die Flaschen abgefüllt. Etwa 400 Liter Bier brauen die Brüder pro Monat in der ehemaligen Campusküche.
Vom Sud bis zum Etikett wird alles selbst gemacht
Elf Stunden stehen sie pro Schicht an der Anlage. Während das Bier köchelt, kümmern sich die beiden um die Gärung, sterilisieren Behälter, überwachen den Brauprozess, bereiten Hefe vor oder reinigen Fässer: „Es gibt immer etwas zu tun. In einer Brauerei steht man nie still“, sagt Thomas Frank. Da beide Vollzeit arbeiten, wird nur am Wochenende gebraut. Vor Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern ist auch mal die eine oder andere Nachtschicht dabei. Zwar haben sie ein Standardprogramm, bestehend aus Pils, hellem Bier und Festbier. Doch immer dasselbe brauen sie nicht, das wäre ihnen zu langweilig, sagen sie. Besonders Tobias Frank experimentiert gerne in der Brauküche. „Das ist der Vorteil einer Mikrobrauerei: Wenn es schiefläuft, ist es nur ein Verlust von 50 Litern – nicht wie bei größeren Brauereien, wo schnell mal 5000 Liter in den Abfluss gegossen werden“, sagt er. Denn der Fokus der Brüder liegt nicht auf dem Geld, sondern auf der Freude am Brauen. Thomas Frank stellt deshalb auch klar: „Wir hören auf, wenn es keinen Spaß mehr macht.“

Trotzdem verstehen sich die beiden auch als Unternehmer mit einem hohen Qualitätsanspruch. „Vom Sud bis zum Etikett machen wir alles selbst. Deswegen geht hier nichts raus, womit wir nicht selbst zufrieden sind“, sagt Tobias Frank. Schließlich muss die Balance zwischen Absatz und Produktionsmenge stimmen. Momentan scheint die Resonanz positiv auszufallen. Die Kundschaft ist durch alle Generationen gemischt: „Vom Craft-Beer-Nerd bis zum Couch-TV-Rentner haben wir alles dabei“, sagt Thomas Frank. Am Verkaufsstand steht das ältere Pärchen, das gern den „roten Baron“, ein rotweinähnliches Bier mit Kirschsaft und Champagnerhefe, genießt, neben dem Sour-Bier-Liebhaber, der sein Hopfengetränk gern als Sauerbier mit zum Beispiel schwarzer Johannisbeere trinkt.
Mindestens sechs Sorten pro Verkaufstag gibt es in Heusenstamm
Die Campusbrauer wollen jeden Biergeschmack bedienen: „Wir fühlen uns lokal verbunden und möchten etwas zur Schlossstadt beitragen“, sagt Thomas Frank. Er schätzt die Nähe zum Kunden, etwa wenn viele nach ihrem Einkauf noch für einen Plausch dableiben und Feedback geben. Sein Bruder ergänzt: „Wir brauen klassisch. Wir brauen lokal. Wir brauen für den Ort. Und weil es einfach Spaß macht.“

Mindestens sechs Sorten bieten die Campusbrauer pro monatlichem Verkaufstag an. Das klassische Pils, das unter den mehr als 6000 Biersorten weltweit unangefochten das beliebteste ist. Auch die Campusbrauer haben bisher von allen Geschmacksrichtungen am meisten vom klassischen Bier hergestellt. Pünktlich zum Maifest brauen die Brüder derzeit etwa 140 Flaschen „Maibock“. Die Flaschen können einzeln oder als Sixpack gekauft werden. Eine Mischkiste zum Kennenlernen verschiedener Geschmacksrichtungen kostet im Schnitt 10,90 Euro – je nachdem, welche Sorten gerade vorhanden sind.
Über 1500 Brauereien gibt es in Deutschland
Den Campusbrauern ist bewusst, dass der deutsche Biermarkt „ein hart umkämpftes Pflaster“ ist, immerhin gibt es über 1500 Brauereien, die neben den ausländischen Herstellern den hohen Bedarf der Deutschen an durchschnittlich 91,6 Liter Bier pro Kopf und Jahr abdecken wollen. Mit diesem Bierkonsum liegt Deutschland nach Tschechien und Österreich weltweit auf Platz drei. Seit 1990 sinkt der Absatz allerdings hierzulande kontinuierlich. Gerade in Zeiten von Coronavirus-Pandemie und Ukraine-Krieg steigen die Herstellungskosten, und somit auch die Preise im Supermarkt. So seien beispielsweise die Einkaufskosten für Malze seit 2021 um 50 bis 70 Prozent teurer geworden, bedauert Tobias Frank. Hinzu kommt: „Je kleiner man ist, desto schwieriger ist es, das Bierbrauen erfolgreich umzusetzen“, sagt Thomas Frank.

Auch wenn der Weg manchmal schwer ist, haben die Brüder ein großes Ziel: Sie wollen sich vom Nebenjob zum Hauptberuf brauen. Viele haben diesen Schritt schon geschafft: Die Vorbilder der Campusbrauer, Oliver Wesseloh aus Hamburg, eine „echte Ikone im Craft-Beer-Sektor“, oder die Brauerei Lemke in Berlin um nur ein paar zu nennen. Thomas und Tobias Frank sagen stolz: „Wir wachsen langsam, aber wir wachsen.“ Der nächste Schritt in Richtung professionelle Brauerei ist ihr Umzug ins Hinterhaus des Campusgeländes in diesem Jahr.

Heusenstammer Bier auch bereits im Handel erhältlich
Das Bier der Campusbrauer steht übrigens bereits in den Supermarktregalen des Heusenstammer Rewe Tekin (Frankfurter Straße 14) und beim Edeka Ermel in Rodgau (Hegelstraße 3). Außerdem stehen die drei Gründer selbst jeden ersten Samstag im Monat von 9 bis 13 Uhr am Campus Heusenstamm (Jahnstraße 64). Dort können Interessierte das Bier nicht nur vor Ort verköstigen und kaufen, sondern auch persönlich mit den Braumeistern in Kontakt kommen, um sich auszutauschen.
Lisa Mariella Löw