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Niklas Frank spricht mit Schülern über NS-Vergangenheit seines Vaters

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Von: Julia Radgen

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Niklas Frank war erneut zu Gast an der Dreieichschule und las für Oberstufenschüler aus seinen Büchern.
Niklas Frank war erneut zu Gast an der Dreieichschule und las für Oberstufenschüler aus seinen Büchern. © Strohfeldt

Die Dreieichschule Langen hatte den Journalist Niklas Frank zu Gast. Vor Oberstufenschülern las er aus seinen Büchern und sprach über seinen Vater Hans Frank, der im Nürnberger Prozess gegen die NS-Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt wurde.

Langen – Es geht direkt ans Eingemachte: Niklas Frank beschreibt das Knicken des Genicks seines Vaters, als dieser in einer Turnhalle erhängt wird. Dann sei nur noch der „Todesfurz“ zu hören gewesen und sein Vater war hingerichtet. Das erzählt der 83-Jährige Schülern der Jahrgangsstufen zwölf und 13 der Dreieichschule ebenfalls in einer Turnhalle des Gymnasiums. Der Journalist und Autor ist zu Gast, um über sein Lebensthema zu sprechen: seinen Vater, Hans Frank, der unter Hitler Generalgouverneur war und als „Schlächter von Polen“ bekannt, sowie darüber hinaus generell den kollektiven Umgang mit der Nazi-Vergangenheit in Deutschland.

Frank liest zunächst Passagen aus seinen Büchern vor. Sein Werk „Der Vater. Eine Abrechnung“ aus dem Jahr 1987 sorgte damals für einen Skandal, wie Geschichtslehrer Wolfgang Geiger eingangs betont. Das lag nicht nur am brisanten Inhalt, sondern an der oft derben und expliziten Ausdrucksweise. Die Sprache kann die Schülergeneration von heute nicht mehr schocken, der Inhalt schon.

Teil der Reihe „Geschichte hautnah“

Die DSL hat Niklas Frank zum zweiten Mal eingeladen, zuletzt war er vor über zehn Jahren zu Gast, erzählt Geschichtslehrerin Eleni Hensel. „Im Rahmen unserer Reihe Geschichte hautnah versuchen wir immer, Zeitzeugen – besonders aus der NS-Zeit – für Besuche an unserer Schule zu gewinnen“, erklärt Hensel, die den Vormittag mitorganisiert hat. Auf Frank fiel die Wahl, da nun eine neue Schülergeneration vor ihm sitzt und er für Fragen immer sehr offen sei.

Frank schildert prägnante Passagen über seinen Vater und seine Mutter Brigitte. Hans Frank wurde 1946 zum Tode verurteilt. Kurz bevor das Urteil vollstreckt wurde, besuchte die Familie den Vater in seiner Zelle – Niklas Frank war zu diesem Zeitpunkt sieben Jahre alt. Dennoch sei ihm klargewesen, dass sein Vater bald weg sein werde, der hingegen versprach der Familie noch, dass alle zusammen Weihnachten feiern würden. „Das ist wirklich so passiert, wie ich es schildere und ich dachte mir damals: ,Warum lügt er?‘“, erzählt der Autor.

Verwandte zögerten ihr Wissen preiszugeben

Eindrücklich liest Frank eine Szene über seine Mutter, die früher Geschäfte mit Juden gemacht hat, bevor sie „Frau Reichsminister“ wurde und dann auf einen ihr bekannten Pelzhändler trifft, der sie vergeblich um ein Visum bittet. Für sie sei es eine große Ehre gewesen, von Hitler persönlich nach Polen geschickt worden zu sein. Die Familie residiert ab 1939 auf der Krakauer Burg in absurdem Luxus, mit edlen Banketten und Chauffeur – eine Art Parallelwelt. Der junge Niklas Frank wird mitgenommen in die Außenanlagen eines Konzentrationslagers, sieht die Baracken. „Diese Scheißbilder trage ich mit mir rum“, schreibt Frank.

Nach dem letzten gelesenen Text setzt er ab und sagt zu den Schülern mit bayerischem Akzent und lächelnd in die Stille hinein: „Jetzt seid’s ihr dran!“ Die erste Frage kommt aus der Lehrerschaft und bezieht sich auf die Entstehungsgeschichte seines ersten Buches. „Ich habe meiner Frau immer gesagt, irgendwann schreibe ich über meinen Vater“, erzählt Frank. Er habe sich an Verwandte gewendet, um mehr zu erfahren. „Die aufzubrechen war nicht so leicht“, so der Journalist zu den Schülern. Das Thema Drittes Reich und Juden-Vernichtung wurde oft beiseite geschoben. „Ich habe noch nie so viel Kuchen gegessen wie in dieser Zeit“, meint er – denn statt ehrlicher Antworten wurde ihm gedeckter Apfelkuchen serviert. Teil der Recherche war, die Briefe seiner Eltern durchzugehen. „Den einzig wirklich ehrlichen“ nach Franks Meinung habe der Vater an seinen ältesten Sohn Norman gerichtet, aber auch darin „nichts wirklich eingesehen“.

Zur Person

Niklas Frank, geboren 1939 in München, ist Journalist und Autor. Sein Vater Hans Frank (1900-1946) war zwischen 1939 und 1945 Chef des Generalgouvernements für die von Deutschland besetzten polnischen Gebiete und als „Schlächter von Polen“ bekannt, seine Mutter Brigitte Frank als „Königin von Polen“. Sein Vater flüchtete 1945 nach Bayern und wurde dort festgenommen. Er war einer der Angeklagten im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher und wurde im Oktober 1946 zum Tode verurteilt und gehängt.

Niklas Franks Buch „Der Vater. Eine Abrechnung“ (1987, Bertelsmann-Verlag) wurde durch einen Vorabdruck im Magazin Stern bekannt. Er erfuhr dafür viel Kritik, auch von Journalistenkollegen. 2005 und 2013 erschienen die Bücher „Meine deutsche Mutter“ und „Bruder Norman“, es folgten weitere Veröffentlichungen, die jüngste im Jahr 2021. jrd

Wie seine anderen Geschwister mit den Taten des Vaters umgegangen sind, will ein Schüler wissen. Drei seiner vier Geschwistern hätten den Vater als unschuldiges Opfer verteidigt, erzählt Frank. Seine älteste Schwester sei später nach Südafrika gegangen – weil sie die Rassentrennung schätzte. Die andere habe jede Woche um den Vater vor einer Art Schrein getrauert und beging früh Selbstmord. Sein Bruder Michel, der den Autor öffentlich für seine Enthüllungen angegriffen hat, habe bis zu elf Liter Milch täglich getrunken und sei früh gestorben. Norman, der zweitälteste, habe zu ihm gesagt: „Ich weiß, dass Vater ein Verbrecher war, aber ich liebe ihn.“ Er war Alkoholiker, erzählt Frank. „Wenn du die Fakten nicht anerkennst, zieht es dir das Leben raus – oder du verunstaltest es“, resümiert er.

Noch heute schreiben ihm Menschen, die nun die Vergangenheit ihrer (Ur)Großeltern aufzuarbeiten versuchen und auf dieselben Probleme stoßen, antwortet er auf die Frage einer Schülerin – etwa was Konflikte mit ihren Geschwistern angeht, die Frank natürlich hatte. „Nach wie vor wird das Thema in Deutschland unter der Decke gehalten“, findet er – weshalb er nicht müde wird, seine Geschichte zu erzählen. Wie es denn bei den Langener Schülern sei, ob sie jemals nachgefragt hätten, will er vom Publikum wissen. Die Fragestellerin erwidert: „Meine Familie kommt nicht aus Deutschland.“ Franks Antwort: „Haben Sie ein Glück!“

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