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Seit Jahrzehnten Kampf gegen Atomkraft in Langen: „Atomstrom teuerste Option von allen“

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Von: Nicole Jost

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Zu den Mahnwachen am Lutherplatz kommen regelmäßig 30 bis 40 Atomkraftgegner, um für die Energiewende zu demonstrieren. archi
Zu den Mahnwachen am Lutherplatz kommen regelmäßig 30 bis 40 Atomkraftgegner, um für die Energiewende zu demonstrieren. (Archivfoto) © strohfeldt

Der Atomausstieg Deutschlands sorgt für breite Diskussionen. In Langen kämpft ein Mann schon seit Jahrzehnten – und ist inzwischen stinksauer.

Langen – Mit viel Interesse hat Franz Scheidel in den vergangenen Wochen die politischen Diskussionen um den Atomausstieg verfolgt. Inzwischen hat die Regierung ihre Entscheidung getroffen und die Laufzeit der drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke (AKW) in Deutschland um dreieinhalb Monate verlängert. Das hält er für fatal.

Statt die AKW Ende des Jahres vom Strom zu nehmen, werden sie aus Gründen der Stromerzeugungskapazität bis zum 15. April weiter betrieben. „Ein Fehler“, findet Franz Scheidel, der seit Jahrzehnten ein Gegner des Atomstroms ist und seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima mit „Langen gegen Atomkraft“ am Lutherplatz an jedem ersten Montag im Monat eine Demonstration gegen den Atomstrom organisiert. „Es kann auch bis Ende Dezember ein Unfall passieren. Aber jeder Tag, an dem diese Reaktoren in Betrieb sind, die alle drei an der Grenze ihrer Laufzeit sind und Probleme mit Rissen haben, ist ein Tag des Risikos zu viel“, betont der Langener.

Langen: Ukraine-Krieg sollte nicht gegen die Atomkraftgegner ausgespielt werden

Er kritisiert den öffentlichen Umgang mit der Energiekrise aufgrund des Ukraine-Kriegs scharf. Die soziale Frage, wie Strom bezahlbar bleiben kann, werde gegen die Haltung der Atomkraftgegner ausgespielt. „Es wird gerade so getan, als spielten der Atomausstieg und die damit verbundene Energiewende überhaupt keine Rolle mehr. Ich bin verwundert, wie schnell lange geplante Entscheidungen über den Haufen geworfen werden. Zumal Atomstrom der teuerste Strom von allen Optionen ist, insbesondere wenn man die Folgekosten berücksichtigt“, sagt Scheidel. Der Strom sei kein bisschen billiger, weil die AKW am Netz bleiben, lediglich das Risiko sei höher, betont er.

Franz Scheidel kämpft für den Atomausstieg.
Franz Scheidel kämpft für den Atomausstieg. © jost

Überproduktion von Ökostrom: Physikalische Realität sollte beachtet werden

Dass die Energiewende in der Vergangenheit nie mit der Kraft vorangetrieben wurde, die es dringend gebraucht hätte, ärgert ihn massiv. „Wir haben heute an vielen Stellen schon eine Überproduktion von Ökostrom. Einzig das Problem der Speicherung muss gelöst werden“, so der Langener. Dass Deutschland viel Ökostrom produziert, wecke Begehrlichkeiten im Ausland – immer wenn es im Norden windig ist, die Windparks viel Strom erzeugen und die Preise dann sinken, wird der Ökostrom auch in Nachbarländer verkauft.

„Der Strommarkt erlaubt dann das sogenannte Re-Dispatch – da der im Norden produzierte Strom noch gar nicht weite Strecken transportiert werden kann, werde die Leistung der Atomkraftwerke im Süden Deutschlands hoch gefahren und dann Atomstrom über die Grenzen geleitet“, erläutert Scheidel. Mit einer einfachen Anpassung des Strommarktes an die physikalische Realität – nämlich dass nur so viel Strom exportiert wird wie auch transportiert werden kann – könne man das Problem beheben.

Energiewende einzige Option: Aktivist aus Langen kämpft gegen Atomenergie

Anstatt jetzt, wo es so dringend wie nie zuvor sei, all die Energie in Lösungen zur Transportierbarkeit von Ökostrom zu investieren, lasse die Bundesregierung gefährliche Atomreaktoren am Netz. Scheidel fürchtet, dass Atomkraftbefürworter wieder Aufwind bekommen und sich für die nächste Verlängerung der Kraftwerkslaufzeiten positionieren. Es ist für ihn eine Frage der Priorität: Es sei gelungen, 100 Milliarden Euro fürs Militär zu organisieren. „Was hindert uns daran, 100 Milliarden Euro in die Energiewende zu investieren – zumal die Klimakrise für alle existenzgefährdend ist?“

Dass Atomstrom, abgesehen von dem Risiko eines Super-GAUs, kein Modell der Zukunft sei, ließe sich mit einem Blick über die Grenze schnell erkennen: Frankreich, das voll und ganz auf Atomstrom setzt, musste in diesem trockenen Sommer mehrere AKWs abstellen, weil es nicht genug Wasser gab, um die Systeme zu kühlen. Damit wird das Risiko noch höher, die Gefahr von Stromausfällen steigt. Die Energiewende ist für Franz Scheidel die einzige Option. (Nicole Jost)

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