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„Corona und ich“: Geschichten aus dem Lockdown

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Die zu Papier gebrachten Gedanken Langener Seniorinnen und Senioren können nicht nur bei Küsterin Ursula Mardeck kostenlos abgeholt werden. Sie liegen auch in den Kirchen und Gemeindehäusern aus.
Die zu Papier gebrachten Gedanken Langener Seniorinnen und Senioren können nicht nur bei Küsterin Ursula Mardeck kostenlos abgeholt werden. Sie liegen auch in den Kirchen und Gemeindehäusern aus. © Strohfeldt

Es sind sehr persönliche Erzählungen und Reflexionen, die in der neuen Broschüre „Meine Geschichte – Corona und ich“, versammelt sind. Friederike Geppert, Pädagogin der Evangelischen Kirchengemeinde Langen, begann im vergangenen Frühsommer damit, Briefe an die Seniorinnen und Senioren der Gemeinde zu schicken, in denen sie diese dazu ermunterte, ihre Gedanken und Erfahrungen aus der Zeit des Lockdowns niederzuschreiben.

Langen –„Wir hatten gerade den ersten Lockdown hinter uns gebracht und das Gefühl, in dieser Zeit insbesondere die älteren Menschen ein wenig aus den Augen verloren zu haben“, erinnert sich Friederike Geppert. „Ich wollte wissen, wie es den Leuten geht, was sie umtreibt und was die Isolation mit ihnen gemacht hat“, schildert sie. Geplant war, die auf Papier gebrachten Erzeugnisse im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – doch das weitere Pandemiegeschehen verhinderte dieses Vorhaben. Stattdessen hat es ein Teil der Antworten, die Geppert bekommen hat, nun in die Broschüre geschafft.

Das Lesen der Berichte, die allesamt im ersten Halbjahr 2020 entstanden sind, versetzt einen unmittelbar in eine andere Zeit. Nämlich in die Anfangsphase der Pandemie, als noch nicht absehbar war, wie lange diese andauern wird, als noch nicht die Rede von „Delta“ oder „Omikron“ war, Impfstoffe in so weiter Ferne lagen wie der viel zitierte Satz „Wir werden lernen müssen, mit diesem Virus zu leben“.

Persönliche Einblicke in die Erfahrungen Langener Senioren

Da ist etwa der Bericht der 86-jährigen Ulla Lotzer, die während des ersten Lockdowns nicht nur den Stadtteil Oberlinden, in dem sie schon über fünf Jahrzehnte wohnte, noch einmal neu entdeckte, nachdem sie ihr Auto gegen einen Krankenfahrstuhl mit Elektroantrieb getauscht hatte. Eine jüngere Freundin zeigte ihr außerdem, wie man an Videomeetings teilnimmt. „Es hat sich für mich eine neue Welt aufgetan. Ich habe meinen Computer mit Mikrofon und Kamera aufgerüstet und bin nun digital unterwegs“, schreibt sie. Und sie freut sich über Online-Gottesdienste, ist fasziniert von der Möglichkeit, an Veranstaltungen teilzunehmen, deren Referentinnen Tausende Kilometer entfernt „in New York oder Seoul sitzen“. Ihr Fazit: „Mein Leben ist wieder schön – ich habe mich von belastenden Dingen befreit, viel Neues gelernt und wieder die Erfahrung gemacht: Es geht immer weiter, wenn man Wandel zulässt.“

Etwas ganz anderes hat der Lockdown für eine Familie bedeutet, deren Sohn Epileptiker ist. Statt wie zuvor tagsüber in einer Behindertenwerkstatt zu sein, musste dieser plötzlich rund um die Uhr zu Hause von seiner Mutter betreut werden. „Sie hat gar keine Auszeit mehr. Sie weiß selber nicht, wie sie das schafft. Das weiß keiner“, dokumentierte die Langener Schriftstellerin Stefanie Umbach das Schicksal.

Die Broschüre

„Meine Geschichte – Corona und ich“ der Evangelischen Kirchengemeinde umfasst 25 Seiten. Erhältlich ist sie kostenlos in der Martin-Luther-Kirche, Berliner Allee 31, in der Johanneskirche, Uhlandstraße 24c, im Petrus-Gemeindehaus, Bahnstraße 46 und in der Stadtkirche am Wilhelm-Leuschner-Platz.

Gut zwei Dutzend Seniorinnen und Senioren haben sich Friederike Geppert zufolge an der Aktion beteiligt. Die Hälfte von ihnen stimmte am Ende auch der Veröffentlichung ihrer Beiträge zu. „Die Menschen sind untereinander ins Gespräch gekommen, das aktive Aufschreiben hat sie aus der Passivität geholt, selbst Gemeinschaftsarbeiten von Nachbarn sind entstanden“, freut sich die Pädagogin. In unzähligen Gesprächen mit den älteren Menschen habe sie gemerkt, „dass es vielen ein Bedürfnis zu sein scheint, ihre Gedanken über die Corona-Zeit in Worte zu fassen.“ Die Rückmeldungen zu der Aktion seien ausschließlich positiv ausgefallen und selbst heute erreichten sie noch immer Zusendungen zum Thema. Das liegt auch daran, dass sich die Hoffnung, mit der einer der Beiträge in der Broschüre schließt, bislang leider nicht erfüllt hat. In diesem heißt es: „Das Jahr 2020 sollte für uns alle einmalig sein.“

Von Joel Schmidt

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