Gutes aus dem Mini-Garten: Parzellen „mieten“ und Gemüse anpflanzen in Langen

Auf einem leer stehenden Grundstück an der Georg-August-Zinn-Straße startet Udo Rach ein besonderes Projekt: Beim „Essbaren Quadratmeter“ kann jeder selbstgezimmerte Parzellen „mieten“ und darin Gemüse anpflanzen.
Langen – Langfristig soll der Gemeinschaftsgarten aber auch zum Treffpunkt werden. „Was machen Sie denn da?“, will eine ältere Frau mit Rollator von Udo Rach wissen, der gerade in Latzhose an den Holzbauten auf der Wiese werkelt. „Sie können hier ein Beet übernehmen und darin etwas anpflanzen“, erklärt der 74-Jährige und zeigt auf die selbstgezimmerten Holzkästen mit jeweils einem Quadratmeter Fläche. Wie teuer das sei, will die Frau wissen. Alles zum Selbstkostenpreis, entgegnet Rach. Die Passantin nickt interessiert und mustert das Grundstück. „Okay, wir sprechen noch mal, ich muss jetzt zum Bus“, sagt sie und zieht weiter. Solche Gespräche hat Rach in den vergangenen Wochen unzählige Male geführt. Senioren, Erwachsene mit Kindern, Nachbarn der umliegenden Häuser und Jugendliche, die auf dem Spielplatz abhängen, wollen wissen, was der Senior auf der eingezäunten Brachfläche zwischen Zinn- und Sophie-Scholl-Straße treibt. „Ich wurde schon gefragt, was für ein merkwürdiges Bauwerk ich hier denn schaffe“, erzählt Rach schmunzelnd.
Der Ginkgo-Haus-Bewohner, der auch in dessen Trägerverein sowie im hiesigen NABU engagiert ist, möchte auf dem Grundstück einen Gemeinschaftsgarten begründen. Bei seinem „Essbaren Quadratmeter“ kann jeder ein Beet oder Hochbeet betreuen und darin Gemüse, Salat oder Kräuter anpflanzen. 440 Quadratmeter groß ist das Areal, rund die Hälfte ist als Pflanzfläche nutzbar. Rach hat schon einige Beet-Quadrate aufgebaut. Holzpflöcke markieren die späteren Wege und die ersten Pflänzchen recken schon ihre Köpfe aus der Erde. Zehn Hochbeete sind bereits geplant, für sie sind die Materialkosten etwas teurer. Was jeder Pate in seinem Abteil pflanzt, ist ihm überlassen.
Zudem hat Rach noch mehr Ideen: Für Tomaten will er ein Zelt aufstellen, in denen sie vor der Witterung geschützt sind. „Im hinteren Teil wollen wir Kartoffeln pflanzen und zum Gehweg hin soll ein Blumenstreifen entstehen – für Insekten und Bienen“, erzählt er. Weil die Zauneidechsen vom benachbarten Garten auf das Grundstück gewandert sind, will Rach auch für sie ein Domizil anlegen. „Wir wollen darauf achten, dass sich auch Kleintiere wie Igel wohlfühlen.“
Auf die Idee gekommen ist Rach, als er das rheinland-pfälzische Andernach mit seinem Konzept der „Essbaren Stadt“ besuchte. Über Kontakte kam er dann an das Grundstück. Mit dem Eigentümer wurde zunächst ein Vertrag auf drei Jahre abgeschlossen – mit Option auf Verlängerung. Mehr als 20 Leute haben sich schon fürs Projekt angemeldet. „Gebrauchen können wir aber 50“, sagt Rach lächelnd. Kürzlich hat er bei einem Infoabend im Ginkgo-Haus 2 seine Pläne vorgestellt. „Da haben sich direkt acht Neue angemeldet“, freut sich der Initiator.

Die interessierten Hobby-Gärtner sind zum einen ältere Bewohner aus dem Ginkgo-Haus, aber auch Nachbarn haben sich schon Parzellen gesichert. „Einer möchte nur Zucchini und Sträucher anpflanzen“, erzählt Rach. Eine Mutter von zwei Teenager-Töchtern habe ihm erzählt, dass sie dann ihre Mädchen mitbringt, die sich in der Fridays-for-future-Bewegung engagieren und gerade intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. So konfrontiere man die Städter wieder mit der Herkunft der Lebensmittel. „Wer mitmacht, bekommt Nahrungsmittel in Bioqualität aus eigenem Anbau“, schwärmt Udo Rach. Nachhaltigkeit wird beim „Essbaren Quadratmeter“ großgeschrieben: „Wir achten sehr auf Bioqualität beim Gemüse und wollen Plastik so gut es geht vermeiden“, unterstreicht der Initiator. Abgesehen von Gießkannen etwa soll alles aus Holz und anderen natürlichen Materialien sein, Plastikbehälter sind tabu.
Bevor es richtig losgehen kann, muss jeder die Erde auf seinem Quadratmeter pflanzfertig machen. Denn momentan sprießen in einigen Parzellen noch Grashalme, Gänseblümchen und wildes Vergissmeinnicht. Aber nichts verkommt. Im hinteren Teil hat „Kompost-Udo“ – wie Rach liebevoll von den Ginkgos genannt wird – zwei selbst gebaute Komposter und eine Kompost-Trommel aus Holz – eine Eigenkreation – aufgestellt. Damit kann der Kompost gesiebt und als natürlicher Dünger genutzt werden. Außerdem züchtet er im Keller des Hauses eine ganze Heerschar an Kompostwürmern. „Wenn die Temperaturen entsprechend sind, können wir in jedes Beet eine Handvoll Würmer setzen, die dürfen sich dann durchfuttern“, sagt Rach lächelnd. Der Boden sei aber auch sehr gut. „Hier standen früher mal Schrebergärten“, weiß er.
Seit dem Start vor gut zwei Monaten hat Rach schon etwa 40 Stunden Arbeit in die Fläche investiert, schätzt er. Noch ist viel zu tun. Es fehlen noch Wasserbehälter. Die Kosten für diese und das Wasser werden auf die Teilnehmer umgelegt. Der Nachbar habe aber vorerst kostenlose Versorgung über seine Zisterne zugesagt. Zudem will Rach mit der Stadt sprechen, ob er den vorhandenen Hydranten anzapfen darf.
Doch es soll nicht jeder nur vor sich hin gärtnern. „Dieses Grundstück soll ein Treffpunkt werden, das ist uns sehr wichtig“, sagt Rach. Im vorderen Bereich sollen deshalb Sitzgelegenheiten aus Holzpaletten entstehen. „Dann können Leute auch einfach mal vorbeikommen und zugucken“, so Rachs Vision nach Corona. Wenn viel Ernte anfällt, kann das Gemüse einfach verteilt werden – in der Gemeinschaft oder zum Beispiel an die Bewohner der Demenz-WG im Ginkgo-Haus. Rach hofft, dass durch das Projekt die Wertschätzung für die Natur steigt. „Auf die Grundstücke hier in der Gegend wird öfter mal achtlos Müll geworfen“, weiß er. „Ich hoffe, dass die Menschen den Lebensraum in ihrer Stadt wieder mehr zu schätzen lernen“.
Kontakt
Wer ein Beet bewirtschaften möchte, erreicht den Initiator Udo Rach per Mail an udo.rach@gmail.com. Die Aktion läuft vorerst trotz des Coronavirus weiter: Die Teilnehmer sollen aber beim Gärtnern einen Mindestabstand von drei Metern einhalten.
VON JULIA RADGEN