Moderner Schatzjäger

Christoph Stemmer aus Langen handelt mit historischen Kameras und anderen Raritäten. Im Porträt gibt er Einblick in seine Faszination fürs Handeln und erklärt, warum alte Analogprodukte heute wieder so angesagt sind.
Langen – „Kommen Sie rein!“ Mit einem Grinsen im Gesicht, angegrautem Haar, giftgrünem Hemd und einer silbernen Armbanduhr am Handgelenk steht Christoph Stemmer in der Eingangstür zu seinem Unternehmen Photographica-Ankauf, das sich im ersten Stock eines unscheinbaren Gebäudes in der Heinrichstraße in Langen befindet. Schon beim Betreten der Räumlichkeiten wird klar: Hier stehen Vintage-Produkte im Fokus. Am Eingang grüßt eine Porträtkamera aus Holz, die Wände sind übersät mit Blechschildern, auf denen traditionelle Unternehmen wie Zeiss, Agfa oder Leica beworben werden. In der Ecke des Vorzimmers steht ein Automat gefüllt mit Rollfilmen, auf dem Tisch stapeln sich Kartons, deren Inhalt darauf wartet, auf die Reise geschickt zu werden.
Stemmer kauft Kameras, Objektive oder andere hochwertige Fototechnik von Privatkunden und verkauft diese anschließend über Ebay an Sammler und Enthusiasten aus aller Welt. „Ich verkaufe mittlerweile sehr viele Kameras und Objektive an TikToker, YouTuber oder auch an Filmemacher aus Hollywood“, berichtet der 56-Jährige. Besonders seltene Objekte bietet der Unternehmer auf speziellen Auktionen an, wo die Raritäten mitunter sogar für sechsstellige Beträge den Besitzer wechseln. Mit alten Dingen Geld verdienen: Damit kennt sich der dreifache Familienvater schon seit seiner Kindheit bestens aus.
Seine Mutter nimmt den damals Siebenjährigen 1972 das erste Mal mit auf einen Flohmarkt in Frankfurt, wo Stemmer neben seiner Leidenschaft für historische Waren den Spaß am Handeln entdeckt: „Ich habe damals begeistert Comics gelesen. Später fing ich an, die Hefte auf Flohmärkten zu kaufen und mit Gewinn wieder abzugeben. Ich erkannte früh, dass sich mit alten Sachen noch Geld verdienen lässt.“
So wühlt sich der Langener früh durch Sperrmüll – immer auf der Suche nach interessanten Raritäten. „Da sind oftmals Sachen dabei, die noch super in Schuss sind“, erläutert Stemmer. „Das ist eine Art moderne Schatzsuche und teilweise wirklich aufregend.“
Langener hat Vorliebe für Kameras vom Opa geerbt
Die Affinität zu Kameras stamme wiederum von seinem Großvater – einem Drogeriehändler aus Berlin. „Er hatte eine riesige Sammlung, die ich als Kind immer bestaunt habe“, so Stemmer. Als sein Großvater verstirbt, erbt der damals 15-Jährige die Hälfte der Kollektion. Angespornt, die Sammlung zu vergrößern, eignet er sich mithilfe von Fachlektüre ein immer größeres Wissen an. Das Fotografieren selbst habe ihn aber nie gereizt, ihn begeistere vielmehr der technische Aspekt hinter den Geräten.
Nach seinem Abitur 1984 an der Dreieichschule entscheidet sich Stemmer für eine kaufmännische Ausbildung beim Chemiekonzern Höchst AG. Danach geht er an die Goethe-Universität in Frankfurt, wo er bis 1989 Betriebswirtschaftslehre studiert. Kurz vor Ende seines Studiums zieht es den damals frisch Verheirateten ins Ausland. Stemmer geht für ein halbes Jahr in die USA, wo er in einem Chemiebetrieb in New-York arbeitet. „Mir war klar, dass man, wenn man handeln will, auch mindestens eine Fremdsprache beherrschen muss.“ Denn während seines Studiums steht der Langener schon regelmäßig auf Flohmärkten und internationalen Fotobörsen und verdient sich etwas dazu.
Nach der Rückkehr nach Deutschland verschlägt es den frischgebackenen Diplomkaufmann für einige Jahre geschäftlich in die ehemalige DDR. „Nach der Wende wurden dort Kaufleute gesucht. Ich habe einige Zeit in einer Unternehmensberatung und später für einen Betrieb gearbeitet, der die dortigen Stadtwerke mitaufgebaut hat“, berichtet Stemmer. Da er und seine Frau aber nicht von Langen in den Osten ziehen wollen, pendelt er für gut drei Jahre. „Das war eine verrückte Zeit, einige Hotels waren teilweise so schäbig, dass ich lieber im Auto geschlafen habe“, erinnert er sich lachend.
Nach seiner Zeit in Ostdeutschland bestreitet Stemmer seinen Lebensunterhalt knapp drei Jahre damit, historische Kameras und mehr in Bananenkisten quer durch Deutschland und bis ins Ausland zu kutschieren und auf Messen und Flohmärkten feilzubieten: „Da ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe und mit riesiger Leidenschaft dabei bin, habe ich das nie als Arbeit empfunden“, sagt er sichtlich zufrieden.

Als er mit 27 das erste Mal Vater wird, entschließt sich Stemmer für einen ruhigeren Lebensstil und eröffnet in der Langener Innenstadt ein Antiquitätengeschäft – damals noch ohne Spezialisierung. „Mir ist dann schnell klar geworden, dass ich mich auf ein Gebiet konzentrieren muss.“ Und so beschränkt er sich fortan auf sein Steckenpferd – Kameras, Objektive und Fototechnik. Nach einem knapp zweijährigen Intermezzo in Darmstadt, wo Stemmers Laden gleich zwei Mal Ziel von Einbrüchen wird, kehrt er nach Langen zurück. Dort widmet er sich ab 2004 ausschließlich dem Ankauf und Online-Handel – ein physisches Ladengeschäft, in dem er Ware zum Verkauf anbietet, existiert somit nicht mehr.
Anfangs wickelt der Familienvater seine Geschäfte noch in den heimischen vier Wänden ab, zieht später jedoch mit seinem Unternehmen für viele Jahre in Räumlichkeiten der Volksbank Dreieich in der Bahnstraße. Dort bleiben er und seine drei festangestellten Mitarbeiter bis 2020, als Corona Stemmer zur Verkleinerung zwingt. Seitdem findet sich Photographica-Ankauf in der Heinrichstraße 2a. „Die Räumlichkeiten dienen als Anlaufstelle für Kunden, die ihre Sachen vorbeibringen, damit ich sie mir ansehen und im Idealfall ankaufen kann“, so der Unternehmer.
Laut dem Diplomwirt habe der Vintage- beziehungsweise Antik-Markt in den letzten Jahren einen deutlichen Aufschwung erlebt – immer mehr Menschen interessierten sich wieder für alte Dinge. „Heute gibt es eine ganze Fülle an austauschbaren Produkten, weshalb viele Menschen, um ihre Individualität herauszustellen, wieder an alten Einzelstücken interessiert sind“, sagt Stemmer. Egal ob Kleidung, Möbel oder Kameras: Er selbst besitze zu Hause fast ausschließlich Vintage-Produkte, auch wenn sich seine einst riesige Sammlung mittlerweile nur noch auf einen Schrank reduziert: „Ich habe mich über die Jahre hoch geschrumpft und hauptsächlich Dinge behalten, die mir, unabhängig vom finanziellen Wert, gefallen.“ Just in diesem Moment klingelt Stemmers Handy – ein Mann möchte seine alte Kamera verkaufen. „Was ist es denn für ein Modell und wie heißt sie?“, fragt er, während sich die Tür zu seinem Büro langsam schließt.
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