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Neuanfang im Kreis Offenbach: Familie nimmt 14 Ukrainer auf

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Haben in Langen (Kreis Offenbach) eine neue Heimat gefunden: Igor, Natalia, Julia (von rechts) und ihre neuen Mitbewohner.
Haben in Langen (Kreis Offenbach) eine neue Heimat gefunden: Igor, Natalia, Julia (von rechts) und ihre neuen Mitbewohner. © kegler

Eine Familie öffnet das Haus der Mutter für Geflüchtete aus der Ukraine. In Langen im Kreis Offenbach finden sie Schutz – und bangen um ihre Heimat.

Langen – Igor, seine Frau Natalia und seine Tochter Julia aus der Ukraine sind vor dem Krieg geflogen und haben in Langen eine neue Heimat gefunden. Sie wurden in einem leerstehenden Haus auf dem Langener Steinberg untergebracht. Mittlerweile wohnen dort vier Familien.

Über 3 500 Kilometer sind sie gefahren. Sie flohen – vor dem Krieg, der Zerstörung, den Bomben. Igor, der seinen Nachnamen aus Sicherheitsgründen nicht in der Zeitung lesen möchte, kommt aus Charkiw. Er lebte mit seiner Frau Natalia und Tochter Julia in einer Wohnung im Zentrum der ukrainischen Millionenstadt. „Es ist vielleicht die schönste Stadt des Landes“, sagt er und meint: Sie war es. Jetzt ist sie zerstört. Zerstört durch Raketen- und Artilleriebeschuss der russischen Armee, mit der Wladimir Putin seit über einem Monat einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt.

Zu Kriegsbeginn flüchtet sich die Familie in den Keller. „Bis dahin gab es keine Bombeneinschläge in Stadtzentrum, sondern nur drum herum“, erzählt Igor. „Wir dachten, wir wären dort sicher.“ Nach fünf bangen Tagen wird es im Bunker unruhig und Aufregung macht sich breit: „Die Bomben kamen näher und näher, deshalb entschlossen wir uns zu gehen“, erinnert er sich. Er packt Natalia und Julia ins Auto und fährt fort. „Wir dachten gar nicht daran, das Land zu verlassen, sondern wollten zu Verwandten nach Nemyriw fahren. Zwei Tage lang harrten wir dort aus. Doch dann gab es auch Angriffe auf die nahe gelegene Stadt Winnyzja.“ Daraufhin fassen sie den Entschluss, die Ukraine zu verlassen.

Lange Reise: Familie aus der Ukraine ist in Langen (Kreis Offenbach) sicher angekommen

Das ist jedoch einfacher gesagt als getan: Igor ist 55 Jahre alt und fällt somit ins wehrpflichtige Alter. Da er aber invalide ist, besorgt er sich eine entsprechende Bescheinigung beim Arzt und macht sich mit Frau und Kind auf den Weg zur Grenze. Seinen 27 Jahre jungen Sohn muss er zurücklassen. Er kämpft jetzt in der ukrainischen Armee.

Die Flucht führt die drei raus aus der Ukraine, über Moldau, Rumänien, Ungarn und die Slowakei bis nach Polen. Sie fahren tagelang und hoffen, bei Verwandten unterzukommen. Igor erzählt: „Dort war es so voll, dass wir einfach keinen Platz zum Bleiben, geschweige denn Schlafen gefunden haben.“ Ein Anruf einer Bekannten macht schließlich Hoffnung. Sie ist auch aus der Ukraine geflohen und gerade in Langen. Igor empfängt ihren Standort und macht sich sofort auf den Weg. Nach vielen Stunden Fahrt stehen sie vor einer Gemeinschaftsunterkunft in einer Kita – dort ist aber kein Platz mehr frei.

Familie aus Langen (Kreis Offenbach) schafft Schlafplätze: 14 Flüchtlinge wohnen in dem Haus

Dennoch bekommt die Familie von der Stadt eine Bleibe vermittelt. Es ist das Haus der Familie Seibüchler. Sie hat sich ad hoc dazu entschlossen, den freien Wohnraum für Geflüchtete aus der Ukraine zur Verfügung zu stellen. „Das Haus gehört eigentlich meiner Mutter. Da sie jetzt aber in ein Pflegeheim gezogen ist, hat sich das einfach angeboten“, erzählt Andrea Seibüchler.

Innerhalb eines Tages hat sie alle persönlichen Gegenstände aus dem Haus geräumt und sich im Rathaus gemeldet. „Daraufhin kam gleich jemand von der Stadt vorbei und hat sich das Gelände angesehen. Noch am selben Tag kam Igor mit seiner Familie“, erinnert sie sich. Am nächsten Tag stießen acht weitere Geflüchtete dazu. Mittlerweile beheimatet das Haus auf dem Steinberg vier Familien mit insgesamt 14 Personen.

„Wir haben dann natürlich den ersten Einkauf übernommen und mussten auch einen neuen Kühlschrank kaufen, weil der meiner Mutter natürlich nicht auf einmal für 14 Leute ausreicht“, so Seibüchler. Die Familie meldet die Kinder im Fußballverein an und besorgt Fahrräder, diese Woche will Seibüchler zudem Schwimmbadkarten für die Ukrainer besorgen. „Demnächst bekommen die Familien auch noch eine Gartenparzelle, um dort Spaß zu haben und etwas tun zu können“, ergänzt die Langenerin.

Flüchtlinge aus der Ukraine bangen in Langen um Heimat: „Viele Freunde sind noch dort“

Unter der Woche besuchen die Ukrainerinnen und Ukrainer außerdem einen Deutschkurs, um sich stärker zu integrieren und in Deutschland zurechtzukommen. „Natürlich denkt man sich anfangs ‚Wer kommt denn da in mein Haus?‘. Aber die Leute sind wirklich super freundlich und sehr eigenständig. Da packt jeder mit an“, berichtet Andrea Seibüchler. „Da ist jeder sehr höflich und ruhig und möchte sich einfach möglichst gut bei uns integrieren.“

Selbstverständlich hat Igor aber auch Kontakt zu Freunden aus der Ukraine und verfolgt täglich die Nachrichten: „Viele Freunde sind noch dort, viele sind aber auch geflohen.“ Auf die Frage, ob er irgendwann wieder zurück in sein Land geht, hat er keine Antwort. „Wir wissen nicht, was morgen oder übermorgen passiert. Vielleicht dauert der Krieg noch zehn Tage, vielleicht auch zehn Jahre. Natürlich wollen wir zurück und helfen, unser Land wieder aufzubauen.“ Einen einzigen Wunsch hat Igor: „Ich wünsche mir, dass Putin stirbt und der Krieg beendet wird. Das ist der größte Wunsch in meinem Leben.“ (Moritz Kegler)

Viele Menschen aus Offenbach wollen Flüchtlinge aus der Ukraine unterstützen, doch es gibt auch Probleme. Erst kürzlich stand die Sparkasse in Offenbach in der Kritik, weil sie die Kontogebühren für Geflüchtete voll berechnet hatte.

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