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Im fünften Stock gestrandet: Seniorin enttäuscht von Feuerwehr

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Von: Nicole Jost

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Eine Frau ist im fünften Stock gestrandet. Die Feuerwehr scheint die letzte Instanz, sie aus der misslichen Lage zu befreien. Doch die Einsatzkräfte kommen nicht.

Langen – Inge Rössler verlässt ihre Wohnung im zweiten Stock in der Lutherstraße derzeit nur in Begleitung. Zu tief sitzt der Schock über ihren Notfall vor ein paar Tagen, bei dem sie nicht die Hilfe bekommen hat, die sie erwartet. Die 88 Jahre alte Frau, die auf einen Rollator angewiesen ist, ist enttäuscht von der Reaktion der Feuerwehr.

Bei großer Hitze steht Rössler vor Kurzem mehr als zwei Stunden im Treppenhaus und wird letztlich unter großem Risiko für alle Beteiligten in einem Rollstuhl drei Stockwerke herunter getragen. Ohne ihre netten Nachbarn und einen engagierten Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt (AWO), der die Verantwortung übernommen hat, würde die alleinlebende Seniorin vermutlich noch immer im fünften Stock stehen.

Gerne steigt Inge Rössler nicht mehr in den Aufzug in dem Haus in der Lutherstraße ein.
Gerne steigt Inge Rössler nicht mehr in den Aufzug in dem Haus in der Lutherstraße ein. © Jost

Langen: „Es geht ja nicht um Leben und Tod, aber ein Notfall war es für mich trotzdem“

Aber von vorn: Gemeinsam mit ihrer Tochter kommt sie am Samstagmittag gegen 13.30 Uhr vom Einkaufen zurück. Beide steigen in den Aufzug – allerdings hält er nicht, wie bestellt, im zweiten Stock – sondern fährt in die fünfte Etage hoch und bleibt dort ruckelnd stehen. „Die Tür ging auf und mit Hilfe meiner Tochter konnte ich die kleine Stufe nach oben bewältigen. Danach ging die Tür wieder zu und der Aufzug tat keinen Mucks mehr“, erzählt die bis auf ihre Gehbehinderung sehr rüstige Seniorin. Gemeinsam mit Nachbarn, die inzwischen aus den Wohnungen kommen, überlegen sie, was zu tun ist. Der herbeigerufene Hausmeister tut, was er kann. Er legt den kaputten Aufzug still.

Inge Rössler reagiert ruhig und besonnen. Sie hat ein AWO-Notfallband, dessen Knopf sie drückt. Thomas Kunz (56). Mitarbeiter der Langener AWO ist schnell da. Alleine, ohne Rollstuhl, kann er nichts ausrichten. Die Idee, die Kundin gemeinsam mit einem Nachbarn am Arm die Stockwerke nach unten zu begleiten, lehnt Rössler ab. „Das ist mir einfach zu gefährlich, ich kann mich mit meiner kaputten Hüfte nicht halten“, sagt sie. Kunz entscheidet sich für einen Anruf bei der Feuerwehr. „Wir haben für solche Fälle die direkte Nummer der Rettungsleitstelle in Dietzenbach. Es geht ja in diesem Moment nicht um Leben und Tod, aber ein Notfall war es für mich trotzdem“, sagt Thomas Kunz.

Langen: Frau im Rollstuhl kein Notfall für Leitstelle des Rettungsdienstes

Die Rückmeldung des Mitarbeiters der Leitstelle ist ernüchternd. Ihm wird wörtlich gesagt, dass Feuerwehr und Rettungsdienst Menschen aus Notsituationen abholen, sie aber nicht nach Hause bringen. Außerdem wird er gefragt, wer denn die Kosten eines solchen Einsatzes tragen würde. Kunz fährt zurück zur AWO-Zentrale am Wilhelm-Leuschner-Platz, um zumindest schon mal einen Rollstuhl für Inge Rössler zu besorgen. Sie ist nicht in der Lage, so lange zu stehen und auch der Rollator ist nicht zum stundenlangen Sitzen gedacht.

Sie retten jede Katze aus dem Baum, aber ich bleibe im fünften Stock stehen!

Inge Rössler aus Langen

Nach Rücksprache mit seinem Vorgesetzten, der auch noch mal bei der Feuerwehr anruft, und die gleiche Antwort bekommt, fährt Kunz mit dem Rollstuhl zurück. „Ich habe das reichlich schwere Gefährt dann nach oben in den fünften Stock geschleppt. Ich war schweißgebadet“, berichtet der AWO-Mitarbeiter. Inge Rössler ist indes entsetzt von der Nachricht, dass es keine Hilfe von der Feuerwehr gibt: „Sie retten jede Katze aus dem Baum, aber ich bleibe im fünften Stock stehen!“ Sie ärgert sich darüber, weil Feuerwehr oder Rettungsdienst die richtigen Hilfsmittel für eine solche Aktion gehabt hätten.

Kreis reagiert: Einsatzkräfte in Langen haben Richtig gehandelt

So wird es zu einem gefährlichen Kommando, für das Thomas Kunz die Verantwortung übernimmt. „Wenn etwas passiert, bin ich der Depp!“, sagt er. Der geschulte Fachmann erklärt einem sportlichen Nachbarn, wie er den Rollstuhl mit Inge Rössler heben muss, damit er sich nicht weh tut. Ein zweiter Nachbar läuft vorne weg, damit der rückwärtslaufende Mann nicht ins Leere tritt. „Stufe für Stufe haben sie mich dann die Treppe heruntergetragen. Ich hatte Angst und habe mich am Rollstuhl festgehalten. Ich bin Herrn Kunz und den Nachbarn so dankbar, dass sie dieses Risiko eingegangen sind und mich sicher nach Hause gebracht haben“, sagt Inge Rössler. Was bleibt, ist ein gewisses Erstaunen, dass es in einer solchen Situation wirklich keine Hilfe von Feuerwehr oder Rettungsdienst gibt. „Es ist eine organisierte Verantwortungslosigkeit“, sagt einer der Nachbarn.

Ursula Luh, Pressesprecherin des Kreises Offenbach, bestätigt das richtige Verhalten der Mitarbeiter in der Leitstelle in Dietzenbach. „So tragisch das in diesem Moment für die Frau natürlich ist. Aber die Aufgabe der Feuerwehr ist es, Menschenrettung durchzuführen. Und dieser Fall in Langen war keine Menschenrettung“, sagt Luh auf Anfrage. Derzeit seien die Feuerwehren im ganzen Kreis besonders angespannt, weil sie ständig in Alarmbereitschaft wegen der erhöhten Waldbrandgefahr stehen. Der Aufzug, dessen Schachttürverriegelung verstellt war, ist übrigens inzwischen wieder in Betrieb. (Nicole Jost)

Für Inge Rössler aus Langen kam keine Hilfe. Anders gestaltete sich die Situation in Hanau nahe Langen, wo ein Polizist einen behinderten Jungen zehn Stockwerke hinauftrug.

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