1. Startseite
  2. Region
  3. Langen

Praxisstreik im Kreis Offenbach: Ärzte sehen „wohnortnahe Versorgung gefährdet“

Erstellt:

Von: Julia Radgen

Kommentare

In Langen streiken am Mittwoch viele Ärztinnen und Ärzte. Sie sind sauer auf die Politik und die Krankenkassen und sehen die Versorgung der Patienten gefährdet.

Langen – Viele Patienten werden am morgigen Mittwoch vor verschlossenen Türen ihrer Ärztinnen und Ärzte stehen, weil immer mehr Praxen sich dem Protest anschließen und ihrem Unmut gegenüber der Politik und der Krankenkassen Ausdruck verleihen wollen. Der Hausärzteverband Hessen (HÄVH) und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sowie weitere Berufsverbände haben abermals zum Streik aufgerufen.

Der Vorstand des Medizinischen Qualitätsnetzes Langen-Dreieich (MQLD), in dem sich Ärzte aus den Kommunen zusammengeschlossen haben, sieht gleich mehrere Gründe für die Notwendigkeit des Streiks – denn wenn sich nichts ändert, sind die Aussichten für die ärztliche Versorgung in der Region seiner Meinung nach nicht gut: „Wir sehen die bewährte wohnortnahe ambulante medizinische Versorgung massiv gefährdet.“

Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen sei da die Nachwuchsproblematik, wie Dr. Matthias Scholz, Vorsitzender des MQLD und zugleich Mediziner in der Internistischen Gemeinschaftspraxis im Fachärztezentrum Langen, die sich erstmals dem Streikaufruf anschließt, ausführt.

Praxen in Langen: Drastische Folgen für Patienten befürchtet

„Viele niedergelassene Ärzte stehen am Ende ihrer Laufbahn und finden keine Nachfolger. Es gibt zu wenig Studienplätze und die Zulassung bestimmt das Einser-Abitur und nicht die Eignung für den Arztberuf“, moniert Scholz. Auch wenn sich in Langen und Egelsbach die angespannte Situation etwas entschärft habe – neben dem Ärztehaus auf der Bahnstraße hat mit Mansur Sultan ein neuer Hausarzt in der Innenstadt eröffnet und die Praxis von Dr. Bernhard Maxeiner in Oberlinden will der Internist Patrick Kutegeka weiterführen – steht in Buchschlag bereits eine Kassenarztpraxis allein da.

Doch das Problem beziehe sich auch auf das Personal: Der Fachkräftemangel bei den Medizinischen Fachangestellten (MFA), früher Arzthelfer genannt, stellt Praxen vor Probleme. „Wir haben erstmals keine Auszubildenden, das gab’s noch nie“, sagt Scholz für seine Praxis. Für die Patienten hat die Situation drastische Folgen: Lange Wartezeiten auf Facharzttermine und Aufnahmestopp bei vielen Hausärzten.

Rezept und Stetoskop (Symbolbild)
Am Mittwoch bleiben viele Hausarztpraxen in Hessen geschlossen (Symboldbild). © Symbolbild/dpa

Einer der Kritikpunkte der Ärzte sind Regressandrohungen und Honorarkürzungen. „Manche Krankenkassen beschäftigen externe Dienstleister, die die Abrechnungen und Verordnungen der Ärzte auf mögliche Fehlverordnungen prüfen. Zum Teil werden Rezepte und Leistungsabrechnungen regressiert, die über zehn Jahre alt sind“, berichtet Scholz. Er weiß von wöchentlichen Rückforderungen in Höhe von zehn bis 20 Euro – „sodass man sich fragt, ob der Verwaltungsaufwand die Mittel rechtfertigt“. Durch die sogenannten Rabattverträge zwischen Kassen und Herstellern sei die tatsächlich bezahlte Summe für Ärzte und Apotheker nicht transparent. „Die ständige Bedrohung durch Sanktionen durch die Kassen und die Kassenärztliche Vereinigung verleidet die Freude an der ärztlichen Tätigkeit und hält den Nachwuchs von der Niederlassung ab“, kritisiert Scholz.

Langen: Ärzte sitzen nach Sprechstunde vor Papierbergen

Hinzu kommt die gestiegene Bürokratie. „Die bürokratische Überfrachtung sämtlicher Abläufe mit zum Teil vollkommen unsinnigen Vorgaben führt dazu, dass Ärzte nach jeder Sprechstunde mindestens ein bis zwei weitere Stunden über Papierbergen sitzen“, ärgert sich Scholz. Zugleich wurde unter Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn die Ausweitung der Sprechstundenzeiten eingeführt. Die Forderung der gesetzlichen Krankenkassen sei, dass die Medizin ausreichend und wirtschaftlich sein soll. „Die Ärzte befinden sich in einem dauernden Spannungsfeld zwischen der Krankenkasse, die Sparsamkeit einfordert, und den Patienten, denen wir eine optimale Therapie anbieten wollen“, schildert er den Spagat.

Er und seine Kollegen fordern daher: „Es braucht endlich eine faire, transparente und angemessene Honorierung der Leistungen.“ Die Sparpläne der Krankenkassen speisten die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte dieses Jahr mit einer Honorarerhöhung von zwei Prozent ab – zugleich stiegen für die Ärzte die Kosten. Viele Praxen würden dann ihr Angebot reduzieren müssen, Personal abbauen oder Aufnahme-Stopps verhängen, befürchtet Scholz. Das könne nicht im Sinne der Entscheider sein.

Ändert sich nichts, sieht der MQLD-Vorstand die Gefahr, dass die Arztlandschaft weiter ausdünnt. Das bedeute für Patienten erheblich weitere Wege zur nächsten Praxis, vielleicht sogar einen Gesundheitskiosk (ohne ärztliches Personal) oder ein von privaten Investoren getragenes medizinisches Versorgungszentrum, in dem immer wechselnd angestellte Ärzte arbeiten. „Dann verkommt das Arzt-Patient-Verhältnis, das vertrauensvoll sein soll, zur bloßen Dienstleistung“, so Scholz. (jrd)

In Langen gab es zuletzt gute Neuigkeiten die ärztliche Versorgung betreffend: Dr. Bernhard Maxeiner führt seine Hausarztpraxis in Langen doch noch bis März weiter. Danach könnte der Frankfurter Internist Patrick Kutegeka übernehmen.

Auch interessant

Kommentare