Bruchköbelerin von Stromanbieter bedrängt

Bruchköbel – Bis zum Jahresende war die Welt von Margie Gilbhard aus Bruchköbel noch in Ordnung. Jeden Monat zahlte sie an ihren Stromanbieter die Abschlagssumme von rund 100 Euro. Das war schon eine ganz ordentliche Summe eingedenk der Tatsache, dass die gebürtige Schottin abends in ihrer Wohnung meist im Dunkeln sitzt und nur bei Kerzenschein Fernseh schaut.
Plötzlich jedoch verlangte der Stromanbieter Ende Dezember, also noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine und der sich dann abzeichnenden Energiekrise, nahezu die doppelte Summe. „196 Euro“, sagt die 72-Jährige und muss erst einmal heftig schlucken. Das Preisanpassungsschreiben erhielt sie am 28. Dezember. Und schon im Januar buchte der Anbieter die doppelte Summe ab. Gilbhard war völlig baff, fragte die Nachbarn, ob sie von ähnlicher Entwicklung berichten konnten. Aber sie war damit offenbar allein gestellt und wusste sich zunächst auch nicht anders zu helfen, als die Summe zu bezahlen. Somit hatte sie bis April rund 800 Euro an den Anbieter überwiesen. „Für mich ist das viel Geld“, sagt die Rentnerin. Dann wandte sie sich in ihrer Not an die Verbraucherzentrale Hessen und musste dort erfahren, „dass ich ganz schön abgezockt worden bin“, sagt sie.
Modus Operandi bekannt
Für die Verbraucherzentrale war dies ein ihr bekannter Modus Operandi des betreffenden Stromanbieters. „Uns sind ähnliche Fälle bekannt“, berichtete die Pressestelle. Und ein großer Teil der Anrufe in der Energiepreishotline der Verbraucherzentrale betraf das Unternehmen, bei dem auch Margie Gilbhard Kundin war. Nach Einschätzung der Verbraucherschützer ignorieren derlei Unternehmen systematisch die gesetzlichen Regelungen zur Preiserhöhung. Dies fange mit der Einhaltung der nötigen Zeit zwischen Ankündigung und Umsetzung der Preiserhöhung an. In Paragraf 41 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) heißt es: „Über Preisänderungen ist […] bei Haushaltskunden spätestens einen Monat vor Eintritt der beabsichtigten Änderung zu unterrichten.“ Auch in den der Verbraucherzentrale bekannten Fällen wurde die erste Preiserhöhung datiert auf den 27. Dezember 2021 herausgeschickt. Die Preiserhöhung sei schon zum 1. Januar 2022 wirksam gewesen. Auf Widersprüche oder Erklärung der Sonderkündigung sei nicht reagiert worden. Oder sie wurden damit beantwortet, dass das Sonderkündigungsrecht nicht mehr erklärt werden könne wegen angeblicher Fristabläufe.
„Ich wurde regelrecht bedroht“
Auf Margie Gilbhard übte das Unternehmen Druck aus: „Ich wurde regelrecht bedroht“, so die Bruchköbelerin. Auch das ist der Verbraucherzentrale bekannt: „Es wurden nach unserer Einschätzung enorme Abschläge verlangt. Sollten diese nicht bezahlt werden, wurde mit Inkasso, Anwalt und/oder Gericht gedroht.“ Nachdem Verbraucher es endlich geschafft hatten, von den Firmen aus den Verträgen gelassen zu werden – dies habe im Regelfall drei bis vier Monate gedauert – hätten die Kunden Schlussrechnungen auf Grundlage der erhöhten Preise erhalten, die nach Rechtsauffassung der Experten der Verbraucherzentrale nicht statthaft seien. Mittlerweile ist Margie Gilbhard raus aus dem Vertrag, aber die Forderungen des Unternehmens bestehen fort. Bei der Verbraucherzentrale erhielt sie den Ratschlag, sich an die Schlichtungsstelle in Berlin zu wenden. „Ich hoffe, dass der Albtraum bald ein Ende hat“, sagt sie. (Von Holger Weber-stoppacher)