Als Helmut Schmidt Bruchköbels Wald rettete

Bruchköbel – Schon Wochen vorher gab es Gerüchte. Die Amerikaner, so hieß es, planten den Ausbau des Fliegerhorsts in Langendiebach. Heute genau vor 50 Jahren, am 6. Dezember 1972, ließ die US Army dann die Katze tatsächlich aus dem Sack. Bei einer Besprechung im Landratsamt in Hanau bestätigte General Lee Surut, damals Standortältester der Hanauer US-Militärgemeinde, dass die amerikanischen Dienststellen in Heidelberg bereits im November ein Ersuchen zum Ausbau des Airports an die zuständigen Bundesbehörden gerichtet hätten.
Dass es dann letztlich nicht dazu gekommen ist, ist auch dem späteren Bundeskanzler und damaligen Finanz- und Wirtschaftsminister Helmut Schmidt (SPD) zu verdanken.
Der Plan der Amerikaner: die Landebahn von damals 915 Meter auf 1220 Meter zu verlängern. Für die Baumaßnahme sollte kein neues Land angekauft werden. Das Flughafengelände reiche für die geplante Erweiterung aus, erläuterte der General, dafür müssten auf einer Fläche von 14 Hektar die Kronen der Bäume abgeschnitten werden, weil dieses Gebiet des Bruchköbeler Waldes als Einflugschneise benötigt werde.
Dabei blickte der General in eine Reihe verdutzter Gesichter, die sich an jenem Morgen in Hanau auf Einladung der Amerikaner eingefunden hatten. Darunter unter anderem Landrat Martin Woythal, Bruchköbels Bürgermeister Walter Schreiber sowie dessen Amtskollegen aus den Anrainer-Kommunen, Erich Wörner (Erlensee) und Ehrenfried Kling (Neuberg). Landrat Woythal hielt mit einer scharfen Reaktion auf die Ankündigung auch nicht lange hinter dem Berg, wie der HANAUER ANZEIGER am Folgetag der Konferenz berichtete: „Ich halte die deutsch-amerikanische Partnerschaft für gefährdet“, fürchtete der Landrat bereits diplomatische Verstimmungen auf höchster Ebene. Und auch die Vertreter der Umwelt- und Bürgerinitiativen protestierten auf Schärfste und sparten in ihren Äußerungen nicht mit Superlativen: „Nicht nur Tausende, sondern Zehntausende von Bürgern werden gegen die Maßnahmen Sturmlaufen“, prognostizierte der Sprecher der Bürgerinitiative „Bruchköbeler gegen Fluglärm“.
Und Dr. Kappes, damals Leiter des Forstamtes, wies auf die Konsequenzen hin, die das Abschneiden der Baumkronen mit sich brächten: Ohne Krone könne kein Baum weitergedeihen. Dies käme einer Abholzung gleich, weil die Pflanzen absterben würden. Unterstützung erhielt der Kappes von einem Vertreter der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald: Dr. Messer machte deutlich, dass die Region ohnehin nur mit sehr wenig Wald beschenkt worden sei. Und der Bruchköbeler Wald stehe auch noch seit 1957 unter Schutz, ergänzte Bruchköbels Bürgermeister Walter Schreiber. Zudem hätten die Lärmemissionen für die Bürger ohnehin schon die Grenzen des Erträglichen erreicht.
Immerhin widersprach der General Lee Surut Gerüchten, wonach sogar amerikanische Düsenjets in Langendiebach starten und landen sollten. Langendiebach sollte jedoch von „Hochleistungsflugzeugen“ angeflogen werden können, ergänzte der General, ohne dabei in technische Details zu gehen.
Der Grund für die Ausbaupläne in Erlensee lag eigentlich in Ockstadt im Kreis Friedberg. Dort sollte der US-Heeres-Flugplatz wegen des Baus der Bundesstraße 3a verlegt werden. Als eine Möglichkeit, den Flächenverlust auszugleichen, zog das US-Hauptquartier in Heidelberg den Ausbau des Fliegerhorsts in Erlensee in Betracht.
Die kommunalen Verhandlungsführer wiesen auch darauf hin, dass der Bruchköbeler Wald bereits zuvor zweimal für den Ausbau des Fliegerhorsts gerodet worden war. In den 50er Jahren waren dem Airport 70 Hektar Wald zum Opfer gefallen. Und 1964 wurden auf zehn weiteren Hektar die Bäume abgeholzt.
Der damalige Bruchköbeler CDU-Stadtverordnete Herbert Hörnisch hat den Schriftverkehr jener Tage aufbewahrt. Daraus geht hervor, welche Strategie man gegenüber den Amerikanern verfolgte, um ihnen das Erweiterungsprojekt auszureden. Der damalige „Rechtsdirektor“ warnte davor, militärisch begründeten Landanforderungen der Amerikaner zu widersprechen, und befürchtete, dass das Militär im Gegenzug auf den Stationierungsvertrag pochen und eine kompromisslose Linie einschlagen könnte. Stattdessen solle man auf die „extremen Umweltverhältnisse im Ballungsraum Hanau“ verweisen, die eine Erweiterung in einem dünner besiedelten Gebiet sinnvoller erscheinen ließe, so sein Vorschlag. Dies, so der Rechtsdirektor, müsse auch die Verhandlungstaktik des Bundesministers Schmidt sein, den Martin Woythal um Hilfe bat. In dem Brief an den Finanz- und Wirtschaftsminister betonte Woythal also vor allem die Beunruhigung der Bevölkerung, die „außerordentlich das Zusammenwirken mit den amerikanischen Streitkräften und Dienststellen“ belaste. „Ich bin sicher, keine Fehlbitte zu tun, wenn ich darauf vertraue, dass der Schutz unserer Bürger vor unerträglicher Lärmbelästigung und die Verteidigung dieses für den Umweltschutz hochwichtigen Waldareals bei Ihnen in guten Händen liegt“, schrieb Woythal an den Parteifreund.
Mit großem Erfolg, wie sich dann herausstellen sollte. Per Erlass lehnte der spätere Bundeskanzler den Antrag des US-Militärs ab und begründete seine Entscheidung damit, dass die Verlegung der Basis Ockstadt von Erlensee keinen Ausbau des Airports erforderlich mache und der Bruchköbeler Erholungswald nicht derartig beeinträchtigt werden dürfe.
Wahrscheinlich seien Schmidt und die Widersacher vor Ort auch deshalb erfolgreich gewesen, weil sich nach dem Vietnamkrieg die strategische Ausrichtung der Amerikaner verändert habe, glaubt der Buchautor und Lokalhistoriker Werner Kurz („Deckname Briefwaage“, der Fliegerhorst Langendiebach 1936 bis 1945). Statt Flugzeugen wurden in den 70ern vor allem ohrenbetäubende Hubschrauber auf dem Militärflughafen stationiert. „Damit begann die Leidenszeit der Langendiebacher erst richtig“, meint der Lokalhistoriker. Ruhig wurde es erst 2008 mit dem Abzug der US-Streitkräfte aus Langendiebach.
Von Holger Weber-stoppacher
