Zuckersüße Glücksbringer aus Bruchköbel

Die Bruchköbeler lieben ihr Schokolädchen, die stilvoll wie lecker ausgestattete Confiserie in der Stadtmitte. Zitat eines Kunden: „Ich kauf’ euch lieber den Laden leer, als dass ihr zumachen müsst.“ Die Corona-Einschränkungen haben Volker und Barbara Schadeberg gut überstanden: „Zu Ostern haben wir so viele Bestellungen wie sonst nur vor Weihnachten verschickt“, berichten sie. Dass der Erfolg auch im neuen Jahr an der Hauptstraße 67 erhalten bleibt, dafür sorgt gerade eine ganze Kompanie Schweine.
Bruchköbel – Glücksschweine, versteht sich, die zuckersüßen Glücksbringer, die zum Jahreswechsel die Kundinnen und Kunden aus Plastikhüllen und Tortenglocken angrinsen. Während einen die Nikoläuse im Supermarkt schon nach den Herbstferien verstören, haben die ballförmigen Gesellen eine bescheidene Halbwertszeit. Erst kurz vor der Bescherung an Heiligabend fertigte der Konditor- und Bäckermeister das Borstenvieh, nach Silvester muss es seinen Platz in der Auslage schon wieder räumen.
Schadeberg bringt die rosa gefärbte Mandelmasse durch Rollen zwischen den Handballen in Birnenform. Dann zieht er den Rüssel hoch und drückt ihn auseinander. „Auch Füße, Ohren und Ringelschwänze entstehen aus modellierten Kügelchen und werden an den Leib gesetzt“, beschreibt der Chef seinen Job. Zum Schluss bekommt jedes Schweinchen noch eine Papier-Münze ins Maul geschoben, ein Kleeblatt oder einen Schornsteinfeger aufgesetzt.
Welche Version am besten geht? „Das kommt ganz auf die Veranstaltung an“, analysiert die gelernte Industriekauffrau. „Manche dekorieren die Teller auf der Silvester-Festtafel mit den Schweinen, andere bringen sie als Gastgeschenk mit.“

Der Laden öffnete erstmals vor fast 140 Jahren im Hause. Volker Schadebergs Urgroßeltern führten die Bäckerei noch neben der Landwirtschaft. Heute ehren sie die Urgroßmutter mit ihrem Konterfei an der Tüte mit „Oma Köhlers guude Sonntags-Plätzchen“, und auch der Kräutergeist nach alter Rezeptur trägt ihren Namen. Der Vater von Volker Schadeberg erweiterte das Unternehmen Anfang der 50er Jahre um eine Konditorei. Allein, „in der Corona-Zeit brauchte keiner Torten“, blickt der aktuelle Inhaber auf den Einbruch in der Geschäftstradition zurück. Der Vater war’s auch, der zu Silvester den Schweinchen-Brauch aufleben ließ. Bereits im Herbst hat er Marzipanfrüchte ins Sortiment genommen, „aber die gehen bei uns in der Region nicht“, haben die Schadebergs gelernt, „eher in Norddeutschland“.
Bei Schokolade ist das Nostalgische gefragt
„Unser Beruf ist sehr flexibel, an Jahreszeiten und Feste angepasst“, verdeutlicht die Ehefrau. Zu Valentinstag produzieren sie Herzen aus Schokolade in Schalen, Pralinen, auch Marzipan, zu Ostern gießen sie Eier und Hasen, die schon in den Fünfzigern aus denselben Formen kamen: „Das Nostalgische ist gefragt“, beobachtet der Experte. Dazu gibt’s Eierlikör mit Schoko- oder Orangen-Geschmack oder klassisch sowie selbst gegossene Osterhasen. Die Nikoläuse gießt ein Konditor-Kollege. „Viele Leute wissen gar nicht mehr, wie richtige Schokolade schmeckt“, plädiert der Spezialist für Qualität. „Unser Enkel guckt eine Praline an, riecht dran, nimmt einen kleinen Bissen und lässt ihn auf der Zunge zergehen“, stellen sie den Nachwuchs vor. „Der weiß, wie so was zu schmecken hat.“ Bei Industrieprodukten habe Marzipan oft nur den Mindestanteil an Mandeln und mehr Zucker – daran habe sich die Bevölkerung gewöhnt. Im Schokolädchen ist es umgekehrt, und immer mehr Kundschaft zeige Interesse an Qualität. Sie reisen bis aus Gelnhausen, Oberursel, Friedberg, Gedern und Aschaffenburg an oder lassen sich die Spezialitäten schicken. Ein Münchner hat die Ware aus Bruchköbel einst als Präsent erhalten, „jetzt gibt er ein-, zweimal im Jahr eine Bestellung auf“, erzählt die Verkäuferin. Barbara Schadeberg ist das Gesicht des Lädchens, empfängt jeden Gast und „kann schöner Schleifen binden“, scherzt er. Der Bäcker ist in Produktion, Versand und als Ausfahrer beschäftigt, eben ein „Mädchen für alles“, betitelt er sich selbst.
Im März 2021 haben sie das Sortiment von der nahe gelegenen „Vitrine“ übernommen, nachdem diese geschlossen hatte. Die Abfüllbehältnisse für Essig und Öl und die Delikatessen, diese „schöne Kombination aus herzhaft und süß“, stehen also nun im Schokolädchen – Weine, Liköre, milder Gin und die Kakao-Hausmarke. Allein die süße Sauerei herrscht nur noch am Silvestertag von 10 bis 13 Uhr. Infos im Internet: schokolaedchen.de
Von Michael Prochnow