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Von Bruchköbel in aller Herren Länder

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Von: Holger Weber-Stoppacher

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Für die UEFA fährt Helmut Huhn Eventmaterial durch ganz Europa: Auch beim Europapokal-Spiel der Eintracht in Donezk war er einst dabei.
Für die UEFA fährt Helmut Huhn Eventmaterial durch ganz Europa: Auch beim Europapokal-Spiel der Eintracht in Donezk war er einst dabei. © -

Bruchköbel/Hammersbach – „Bald wieder daheim.“ Dass Helmut Huhn beim Überfahren der hessischen Landesgrenze seine Ankunft in Bruchköbel mit einem Post auf Facebook ankündigt, kommt bei dem Berufskraftfahrer eher selten vor. Am Sonntag hat er es gemacht, weil auch für ihn eine besondere Tour zu Ende ging. Huhn war Teil des sieben Fahrzeuge umfassenden Konvois der Spedition Maintaler, der rund 150 Tonnen Hilfsgüter für die Ukraine in den polnischen Grenzort Przemysl transportiert hat (wir berichteten mehrfach).

Mehr als 2500 Kilometer in drei Tagen. Das ist unter normalen Bedingungen nicht zu schaffen. Doch wenn es sich um Hilfsgüter handelt, dürfen die Trucker länger hinter dem Steuer sitzen, müssen also die gesetzlich vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten nicht einhalten. Eine solche Tour geht jedoch an die Substanz, sagt Huhn, der sich jetzt zu Hause in Hammersbach ein wenig ausruht, bevor er wieder auf Achse geht.

Für den 61-Jährigen war die Fahrt eine emotionale Angelegenheit. Vier Jahre lang hat er für den europäischen Fußballverband (UEFA) Eventmaterial nach Kiew und Charkiw gefahren, wo der ukrainische Fußballmeister Shakhtar Donezk seit dem Konflikt im Donbass seine Heimspiele in der Champions League austrug. Huhn hat in Kiew Bekannte, bei denen er auch übernachtete, wenn er wieder im Land war. Die Bilder, die ihm seine Bekannten derzeit aufs Handy schicken, seien schockierend. „Noch viel schlimmer als das, was man im Fernsehen sieht“, sagt er. Das Restaurant, in dem er zuweilen zum Essen ging, ist nur noch Schutt und Asche.

Für seinen Chef Markus Grenzer, der selbst einen der LKW im Konvoi steuerte, war es deshalb klar, dass Huhn bei der Tour vorneweg fährt. „Seine Erfahrung ist da sehr wichtig“, meint Grenzer. Auf den Straßen gen Osten war eine regelrechte Karawane mit Hilfsgütern unterwegs, nicht nur Lkw, sondern auch vollbepackte Kleintransporter und Pkw zogen an dem Bruchköbeler Konvoi vorbei. Die Folge: Auf den Rastplätzen in Polen war für die Bruchköbeler kein Platz mehr zu bekommen. „Wir wollten in der Nacht ja zusammenbleiben.“

Durch Kontakte von Markus Grenzer fand man schließlich auf dem Gelände eines Renaulthändlers abseits der Autobahn und knapp 300 Kilometer vor dem Ziel ein Quartier. Sehr professionell sei dann die Übergabe der Hilfsgüter vonstattengegangen, zeigt sich der Hammersbacher beeindruckt von der Logistik vor Ort. An der Grenze wurden die Hilfsgüter direkt in die Wagen einer ukrainischen Spedition umgeladen. Von dort sollte die Fracht nach Lemberg gehen und in einem Zentrallager noch einmal sortiert und schließlich ins Kriegsgebiet verfrachtet werden. Die Wut und das Entsetzen bei den ukrainischen Fahrern sei groß gewesen. „Aber nicht auf die Russen generell, sondern nur auf Putin“, erzählt der Trucker. Gebraucht werden im Krisengebiet vor allem medizinische Artikel: Verbandszeug, Medikamente. Und auch Lebensmittel sowie Trinkwasser.

Für den Hammersbacher ist der Konvoi ein weiteres Kapitel seiner mit Geschichten gespickten Trucker-Karriere. Für Huhn ist das Lkw-Fahren kein Job, es ist vielmehr eine Lebensart, für die sich der gelernte Bilanzbuchhalter („mit Abitur“) vor 20 Jahren entschied, weil er keine Lust mehr hatte, jeden Tag mit Anzug und Krawatte ins Büro zu gehen.

Das Führerhaus seines Lkw ist seitdem nicht nur sein Arbeitsplatz. Es ist auch so etwas wie sein Zuhause geworden. In der Koje hinter dem Fahrersitz verbringt er mehr Stunden als in seinem Bett in Marköbel.

Baku, Istanbul, Malmö – Europa und den nahen Orient kennt Helmut Huhn nicht nur von der Autobahn. Am schönsten seien die Strecken abseits der großen Verkehrsadern, in denen man Land und Leute kennenlerne. Mit Englisch, Französisch und vor allem mit viel und gutem Willen sei er bisher noch überall gut durchgekommen.

Erst am Tag bevor in der Spedition in Bruchköbel mit der Planung des Hilfskonvois für die Ukraine begonnen wurde, war Huhn von einer vierwöchigen Spanien- und Portugal-Tour heimgekehrt. Nicht selten ist er über mehrere Wochen unterwegs. Und wenn er mal nach Hause kommt, dann meist nur, um eine Maschine Wäsche anzustellen. Das Leben auf dem Asphalt gefällt ihm, auch wenn es im Laufe der Jahre immer härter geworden ist und für Lkw-Fahrer auch gefährlicher. Vor allem auf den Rastplätzen, wo man jetzt angesichts der astronomisch steigenden Spritkosten fürchten müsse, „dass sie einem nachts den Diesel aus dem Tank zapfen“. Auch komme es immer wieder vor, dass Kollegen in ihren Führerhäusern betäubt und ausgeraubt oder Teile der Ladung gestohlen würden. Einmal wurde er auf dem Weg nach England kurz vor Calais von einer Gruppe verzweifelter Migranten überfallen, die illegal über den Ärmelkanal auf die Insel wollten.

Als Frankreich im vergangenen Jahr wegen der rasanten Ausbreitung der Delta-Variante die Häfen schloss, steckte Huhn mit seinem Wagen mehrere Tage in Dover fest – glücklicherweise nicht auf der Autobahn, wie so viele Kollegen, sondern auf einem Parkplatz kurz vor dem Fähranleger. Das Leben auf der Straße ist aber auch einsam. Vereinsleben, Treffen mit Freuden – das alles gehört zu den Entbehrungen eines Truckers. Dagegen findet Huhn Befriedigung auf seinem Motorrad, das er bei den langen Touren immer auf dem Schlepper festzurrt. Auf dem Bike erkundet er Städte und Landschaften. Das ist seine Freiheit, die Huhn immer wieder in die Ferne treibt.

Von Holger Weber

Übergabe der Hilfsgüter in Polen: Medikamente, Hygieneartikel und Lebensmittel gingen nach Lemberg.
Übergabe der Hilfsgüter in Polen: Medikamente, Hygieneartikel und Lebensmittel gingen nach Lemberg. © -
Dem Ziel schon nahe: Der Konvoi biegt Richtung Grenzort Przemysl ab.
Dem Ziel schon nahe: Der Konvoi biegt Richtung Grenzort Przemysl ab. © -

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