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Wie zwei Bruchköbelerinnen per Smartphone Menschen in der Ukraine helfen

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Von: Patricia Reich

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Olga Dzhikidze (links) und Kristina Alekseeva hoffen, dass alles in ihrem Heimatland bald ein gutes Ende findet. Sie haben noch Familie und Freunde in der Ukraine und stehen mit ihnen in engem Kontakt.
Olga Dzhikidze (links) und Kristina Alekseeva hoffen, dass alles in ihrem Heimatland bald ein gutes Ende findet. Sie haben noch Familie und Freunde in der Ukraine und stehen mit ihnen in engem Kontakt. © Patricia Reich

Olga Dzhikidze steht mit dem Telefon am Ohr in ihrem Vorgarten. „Das war meine Mama“, kommentiert sie und läuft zum Nachbarhaus. „Hier wohnen auch Ukrainer, wir sprechen dort.“ Kristina Alekseeva steht in der Küche. Beide Frauen werfen unentwegt einen Blick auf ihr Handy.

Bruchköbel – Seit einer Woche hat auch ihr Leben sich verändert. Sie bangen um ihre Freunde, um ihre Familien, die sich noch in der Ukraine befinden. Warten auf regelmäßige Lebenszeichen. Von zu Hause aus helfen die beiden Mütter, wo sie nur können – über die sozialen Medien. Dass in ihrer Heimat nun der Krieg tobt, dass Russland die Ukraine angegriffen hat, ist für sie unfassbar.

Olga Dzhikidze ist 36 Jahre alt. Ihre Eltern stammen aus Georgien. Aufgewachsen ist sie in Kasachstan und kam mit 16 Jahren in die Ukraine. „Ich habe nur Russisch gesprochen, aber ich wurde in der Schule immer unterstützt und niemand hat mich in der Ukraine deshalb beleidigt oder schlecht behandelt“, erzählt die zweifache Mutter und spielt auf die Behauptung an, in der Ukraine werde das Russische unterdrückt, dem sie aus ihrer Erfahrung heraus nicht zustimmen kann. In Riwne schloss sie ihr Studium zur Finanzfachfrau ab und kam 2008 der Liebe wegen nach Deutschland. „Ich habe mich hier sehr wohl gefühlt und bin deshalb geblieben.“

Auch Kristina Alekseeva hat eine Verbundenheit zu Russland. Die Eltern ihres Mannes stammen von dort. Sie selbst ist in Dnipro geboren und im Alter von zwölf Jahren nach Deutschland gekommen.

Familie und Freunde sind noch in der Ukraine

Alekseevas Mutter befindet sich noch in Dnipro sowie viele ihrer Freunde. Die Familie ihres Mannes lebt in Charkiw. Auch von dort erreichen sie täglich Videos und Berichte. Dzhikidzes Eltern und ihr Bruder sind ebenfalls noch in der Ukraine. „Mein Bruder hat sich freiwillig gemeldet und verteidigt Kiew. Meine Eltern wohnen in einem kleinen Dorf. Dort sind sie zum Glück noch sicher. Mein Vater verteidigt freiwillig die Dorfgrenzen.“

Beide haben Angst um ihre Familien. „Ich habe gesagt, kommt zu uns, aber mein Papa meinte, er ist kein Feigling und bleibt. Sie wollen nicht fliehen“, erzählt Dzhikidze. „Meine Mama sagt, warum muss ich von meinem Zuhause fliehen? Ich musste doch bereits schon einmal aus Georgien fliehen.“ Einen Tag vor Kriegsbeginn telefonierte sie noch mit ihrer Mutter. „Wir glaubten nicht, dass das passieren wird.“

Bomben fallen auf Wohnblöcke

Alekseeva gibt Berichte ihrer Freunde wieder. „Eine Freundin erzählte, dass die Flugzeuge sehr tief fliegen und dann fallen die Bomben. Die werfen Raketen in Wohnblöcke ab.“ Auf dem Handy zeigt sie Videos dazu. „Meine Freundin hat sich auf ihr Kind geworfen, als die Bombe fiel und sagte zu mir, dass sie erst danach realisierte, dass es die letzte Sekunde ihres Lebens hätte sein können.“

Viele Frauen und Kinder fliehen. Männer zwischen 18 und 60 Jahren müssen bleiben. „Es ist ein Albtraum. Von einem Freund sind die Frau und die Kinder heute Morgen mit dem Zug geflohen. Wir haben seit Stunden nichts mehr von ihnen gehört“, sagt Alekseeva und blickt nervös auf ihr Handy. „Die Frauen und Kinder fahren weg und wissen nicht, ob sie ihre Männer und Väter jemals wiedersehen werden. Ihr normales Leben wurde innerhalb einer Woche weggenommen.“

Junge Ukrainer zu Hause aufgenommen

Alekseeva selbst hat drei jungen Ukrainern Obdach gegeben. „Zwei Frauen im Alter von 23 Jahren und ein 29-jähriger Mann sind für einen Wochenendtrip nach Polen geflogen. Sie konnten nicht mehr zurück, haben mich angerufen, und ich habe sie dann in Köln abgeholt.“ Über Facebook suchte sie eine Unterkunft. „Es meldete sich jemand aus Büdingen, dort haben sie nun kostenlos eine kleine Wohnung.“

Die Frauen kennen aber auch einige, die nicht fliehen. „Der Weg ist gefährlich, wenn man nicht direkt an der Grenze wohnt. Meine Mama erzählt von Schüssen auf Busse. Viele wollen es einfach aussitzen“, berichtet Dzhikidze.

Hilfe per Smartphone: „Ganz Facebook bebt“

Die sozialen Medien sind gerade die wichtigsten Kommunikationsplattformen. Denn Dzhikidze und Alekseeva helfen nicht durch Sammlungen von Spenden für Hilfstransporte. Sie koordinieren, vermitteln teils über Landesgrenzen hinweg – per Smartphone.

Kristina Alekseeva und Olga Dzhikidze aus Bruchköbel helfen über Gruppen in den sozialen Medien den Menschen in der Ukraine.
Kristina Alekseeva und Olga Dzhikidze helfen über Gruppen in den sozialen Medien den Menschen in der Ukraine. © Patricia Reich

„Ganz Facebook bebt“, fasst Alekseeva zusammen. „Die Unterstützer sind alle normale Menschen. Wir versuchen von hier aus zu organisieren. Jede Minute kommen Fragen, wir versuchen, jede Sekunde zu antworten.“ Alekseeva nennt ein Beispiel: „Es kam eine Nachricht, dass eine Frau in Charkiw nur im Bademantel bekleidet mit einem Säugling am Bahnhof steht und Hilfe braucht. Wir haben das gleich an alle Bekannten in Charkiw weitergeleitet und ihr wurde geholfen.“ Oder eine Freundin von ihr, die noch in der Ukraine ist, steht kurz vor der Geburt. Alekseeva hat über andere Freunde für sie eine Gynäkologin gefunden, die sich nun um sie kümmert. Sobald eine Nachricht oder ein Hilferuf die beiden Frauen erreicht, werden diese von ihnen in verschiedenen Gruppen im Netz geteilt, weitergeleitet, bis jemand reagiert und helfen kann.

Große Solidarität und Hilfsbereitschaft

Auch wenn jemand in unserer Region Hilfe oder Informationen braucht, stehen die Frauen bereit. „Oftmals werden Ärzte gesucht, an die die Geflüchteten sich wenden können. Es wäre schön, wenn es eine offizielle Liste gäbe.“ Dass im Main-Kinzig-Kreis nun eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet wurde, begrüßen die beiden sehr. „In den ersten Tagen konnte keiner von der Ausländerbehörde uns so richtig weiterhelfen.“ Beide Frauen weisen darauf hin, dass nicht nur in der Ukraine und an den Grenzen, sondern auch hier Vieles wie Kleidung und Essen benötigt wird. „Eigentlich sind wir machtlos. Wir können nicht genug helfen“, fügt Alekseeva mit Blick auf die Situation in der Ukraine traurig hinzu.

Zwischen ihren Erzählungen zeigen sie Videos und Fotos, die sie zugespielt bekommen haben – zerbombte Wohnblöcke oder die zerstörte Schule, in der eine Freundin gearbeitet hat. „Ich habe Freunde gebeten, Videos aufzunehmen, die die Zerstörung zeigen und sie sollten das in russischer Sprache kommentieren. Das habe ich dann an Bekannte in Russland weitergeleitet, in der Hoffnung, dass es viele erreicht. Denn viele Russen glauben der Propaganda von Putin.“ Das ist ihre Form des Widerstandes, des Protests. Dzhikidze steht so oft sie kann in Frankfurt vor dem russischen Konsulat, demonstriert für ihr Heimatland.

Beide Frauen sind stolz auf die Ukrainer, die sich bisher standhaft wehren, und sind dankbar für die große Solidarität und Hilfsbereitschaft, die ihre Landsleute gerade erfahren. “Gott sei Dank!“, wirft Alekseeva plötzlich ein. „Sie haben sich aus dem Zug gemeldet. Alles ist gut.“ Gemeint ist die Familie ihres Freundes. Wenigstens eine gute Nachricht an diesem Tag.(Von Patricia Reich)

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